„Bogenschützen", hallte das Kommando über den Burghof und gespannt hielten die Zuschauer den Atem an. „Vortreten!"
Die Männer bezogen ihren Platz. Acht Mann, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Guy von Gisborne drehte den Pfeil in seinen Händen, streifte die Befiederung zurecht und legte ihn dann auf seinem Handrücken ab. Sein Blick glitt zur Seite, zu den anderen Männern, die es in diese Runde geschafft hatten. Keiner interessierte ihn ... bis auf einen.
„Ist es Kohlestaub und Ei?", fragte Guy raunend den Mann zu seiner Rechten, der ihm unter seinem Hut keines Blickes würdigte.
Wie dreist konnte man sein? Dachte Robin denn wirklich, er würde ihn nicht erkennen? Nur wegen dieser lächerlichen Verkleidung und geschwärztem Haar? Oder war er tatsächlich so arrogant, dass es ihm egal war? Glaubte er denn, er würde ihn nicht verraten, nur, weil sie vor Jahren einmal Freunde gewesen waren?
„Walnussschalen und Ziegenfett", erklang die Stimme neben ihm, während der Schütze den Bogen einmal spannte und entspannte - vermutlich um ein Gefühl für den Bogen und die Zugkraft der Sehne zu bekommen.
„Das ist der lächerlichste falsche Bart, den ich jemals gesehen habe", knurrte Guy zur Seite und sein zürnender Blick legte sich auf den dreisten Dieb, der ihnen allen mit dieser lächerlichen Verkleidung auf der Nase herumtanzte! Der Bart war dermaßen falsch, dass es jedem hätte auffallen müssen. Was hatte er dafür benutzt? Baumharz und das Fell irgend eines Tieres? Es sah so lächerlich aus, dass Guy sich fragte, was sich der Idiot dabei gedacht hatte!
Spielerisch drehte Robin den Pfeil in den Händen. „Ich habe nun mal leider nicht den gleichen dichten Bartwuchs deines Vaters."
„Immer noch neidisch, Hood? Diesmal auf meine Herkunft?" Wie ungezwungen und dreist der Dieb mit ihm sprach. Er hatte nicht einmal versucht, seine Identität vor ihm zu verschleiern. Hatte Robin etwas gewusst, dass Guy ihn durchschauen würde? Und trotzdem war er hier? Nach allem, was er getan und wie er Marian in Gefahr gebracht hatte? Was hatte er vor? Sich nach dem Bogenschießen die Verkleidung vom Leib reißen, um ihn sowie seinen Vater und den Earl zu verspotten? 'Haha, der berüchtigte Dieb Robin Hood ist ihnen direkt unter der Nase herumgetanzt, und keiner hat es bemerkt!' Guys Körper spannte sich und sein Zorn kochte heiß und brodelnd. „Und was sollte mich davon abhalten, dich auf der Stelle verhaften zu lassen, Robin Hood?"
Da drehte sich Hood zur Seite, kein Lächeln auf den Lippen und kniff kurz die Augen zusammen.
„Weil ich weiß, dass dir etwas an Marian liegt", antwortete Robin und sein Blick glitt an Guy vorüber zu besagter Lady. „Du wirst ihr Fest sicherlich nicht mit Blut beschmutzen. Genau wie ich wirst du nicht vollen, dass wir ihren Geburtstag ruinieren. Ich bin nur hier, um euch etwas zu zeigen." Dabei zog der Mistkerl die übertrieben buschigen Augenbrauen höher, die genauso falsch waren, wie sein lächerlicher Bart.
„Sir von Gisborne?", der Herold trat ein wenig verlegen auf der Stelle und räusperte sich schon das dritte Mal. „Ihr seid an der Reihe." Der gute Mann mit der großen Feder an seinem Hut deutete auf die Zielscheibe. Beide Männer waren so vertieft in ihre geraunte Fehde gewesen, dass sie die Schüsse der anderen vier Kontrahenten vor ihnen nicht einmal bemerkt hatten.
Guys Blick huschte kurz erneut zu Robin, dann nahm er den Pfeil fester in die Hand und der Herold ging auf Abstand, als Guy an die Schusslinie vortrat. Sein Blick war entschlossen und fokussiert, als er den Bogen hob und ansetzte. Ein kleiner, lauer Wind wehte. Es wurde bis auf einige wenige Zurufe still auf dem Platz, als er den Atem anhielt und den Pfeil schließlich freigab. Die Sehne erzitterte, als schauerte sie selbst gespannt auf das Ergebnis.
Der Pfeil zischte durch die Luft und traf den von Marians so nah, dass beide an der Scheibe erzitterten. Ein lautes Jubeln und Klatschen brach aus, als Guy seinen Bogen senkte und seine Brust vor Stolz schwoll. Die graublauen Augen blitzten zufrieden und Guy warf einen Blick zu Marian. Das Lächeln auf ihren Lippen war ihm Bestätigung und Lohn gleichermaßen und setzte ein angenehmes Kribbeln in seinen Bauch. Als er an Robin vorüber schritt, war sein Blick hart und warnend, vor allem jedoch siegessicher. Die Spitze seines berührte haarscharf die von Marians Pfeil.
„Nun? Ich rufe die Wachen nur nicht, weil ich dich verlieren sehen will. Du hast keinen Platz mehr hier an diesem Hof", zischte Guy und Robin gluckste.
Seine Brust bebte, weil er es sich zurückhalten musste, nicht direkt in schallendes Lachen auszubrechen. „Ich denke, dass dies nicht in deiner Hand liegt, mein Freund. Wie üblich", meinte Robin und Guy zog so scharf die Luft ein, dass sogar Robin das Eis knacken hören konnte. Dann drehte er sich um und verneigte sich äußerst schwungvoll, während er den Pfeil wie eine Reliquie präsentierte. „Diesen Pfeil, widme ich der bezaubernden Lady De Burgh", verkündete er laut und schallend, sodass es ein jeder hören konnte. Doch nur einer einzigen Person galt danach sein Blick: Maid Marian. Anschließend machte er auf dem Absatz kehrt und blieb an der Linie stehen, die in den Boden gezogen worden war. „Und diesen Schuss widme ich der Königin von Pfeil und Bogen", rief er laut und zog dabei die Bogensehne zurück.
Robin erinnerte sich an die unendlich vielen Male, in denen er diesen Schuss geübt hatte. Doch es wollte ihm nie gelingen. Der Pfeil ging daneben. Er rutschte ab, entglitt und sprang zur Seite. Es hatte Jahre gebraucht, bis er sein Ziel treffen konnte. Das Pfeilende lag in seinen Fingern und die Federn bebten unter seinem Atem. Dann floss die Zeit langsamer und die Welt um ihn wurde still. Kein Gelächter, kein Klang von Musik oder Trommeln. Kein Raunen und selbst der Wind verstummte. Kein Gedanke und auch kein Atemzug. Nur das Ziel und er.
Robin schnalzte laut mit der Zunge, dann wandte er sein Blick vom Ziel ab und sah zur Tribüne. „Staunt. Denn ich bin der beste Schütze, den England je gesehen hat!" Dann ließ er los und schoss blind ohne zu zielen. Der Pfeil flog wie ein Schatten, ungebremst von Wind und Bangen.
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Die Königin von Pfeil & Bogen
Historical Fiction[WATTYS 2023-WINNER/Fesselndste Welt] ** Marian, stehlende Adelstochter mit großem Herzen trifft auf Robin Hood, verwegener Dieb mit gewaltigem Ego. Werden sie alten Schmerz, Vorurteile und schließlich den grausamen Sheriff von Nottingham überwinden...