2. Kapitel - Schlechter Start, guter Tag?

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Es hatte mich einige Sekunden, ach was, Minuten gekostet, bis ich wieder im Hier und Jetzt angekommen war. Der Kerl hatte mich völlig aus dem Konzept gebracht. Dennoch sammelte ich mich in Gedanken wieder zusammen und verlies mit meiner Büchertasche in der Hand die WG. Wenn schon. Hatte er eben gewonnen. Meine Zeit würde noch kommen, das wusste ich. Und bis dahin konnte ich genauso gut in die Vorlesung gehen. Auf dem Weg nach draußen fragte Sebastian mich noch, ob ich nun zur Uni gehen würde, aber mehr als ein "mhm" bekam er nicht von mir. Das musste reichen. Garantiert würde ich ihm jetzt nicht das Gefühl geben, dass ich ihm hinterherlaufe. Nein, soweit würde es nicht kommen. So verlies ich also allein und zufrieden die Wohnung.

Unterwegs gönnte ich mich noch einen Java Chip Frappucino von Starbucks bevor mein Tag so richtig starten konnte. Zwar war ich nach diesem Morgen definitiv wach, trotzdem fand ich auf den ganzen Trubel konnte ein leckerer Eiskaffee nicht schaden. Zumal ich heute noch zwei weitere Mitbewohner kennenlernen sollte, die es wohl nicht vor den Vorlesungen für nötig gehalten hatten in der Wohnung aufzukreuzen. Naja, mir sollte es recht sein, so hatte ich die Möglichkeit gehabt, mir das schönste Zimmer auszusuchen.

Zwar war ich nicht spät dran, doch sobald ich den Vorlesungssaal betrat, war ich wohl eine der letzten. Im Gegensatz zu meinen ersten Semestern war der Kurs nun gut um 80 % geschrumpft. Es hatten vielleicht noch 60 Studenten Platz. Rückblickend gefiel mir da die Anonymität eines großen Studiengangs schon besser. Niemand kannte dich und es war allen egal wer gerade kam oder ging. In Zukunft würde jeder jedes Gesicht kennen, wenn auch nicht den Namen, aber zu mindestens das Aussehen eines jeden Einzelnen. Das würde eine Umgewöhnung werden. Während ich so vor mich hin sinnierte und meinen Blick durch die Reihen, auf der Suche nach einem freien Platz, schweifen lies, richteten sich immer mehr Augenpaare auf mich. Sie checkten mich genauso ab wie ich sie. Es war wie eine gegenseitige Beutebeschau. Kenne ich dich? Mochte ich dich in den vergangenen Semestern? Weiß ich irgendwas über dich? Ja, es war super. Endlich erspähten meine Augen einen freien Platz und ich bewegte mich mit schnellen Schritten darauf zu. Sobald ich einen Platz hatte, wäre ich den anderen wieder egal, das war mein Ziel. Im Mittelpunkt stehen konnte schon ganz nett sein, aber nicht so. Ich fand Aufmerksamkeit nur dann gut, wenn ich sie explizit wollte, zum Beispiel beim Feiern gehen in einem heißen Outfit, aber nicht an einem Montagmorgen mit nachlässig gebundenem Dutt und einem zusammengewürfelten Outfit, weil man den Karton mit den Klamotten noch nicht gefunden hatte.

Schnell ließ ich mich auf den freien Stuhl fallen. Geschafft. Endlich durchatmen! Ich schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem Rauschen in meinen Ohren. 21. 22. 23.
"Sag mal, stalkst du mich?". Erschrocken riss ich die Augen auf. Hatte ich mich verhört? Bestimmt hatte ich mich verhört. Jede einzelne Faser in mir wünschte sich in diesem Moment einfach einen anonymen Fremden auf dem Platz neben mir. Bitte, bitte, bitte sei ein Fremder, bitte lass mich einfach halluzinieren. Langsam - verdammt langsam - drehte ich meinen Kopf nach links. Ach verdammt! Ein erzwungenes Grinsen, getoppt von einem genervten Schnauben, mehr hatte ich für Sebastian nicht übrig. "Was machst du denn hier?". "Sag bloß du freust dich nicht mich zu sehen? Obwohl wir uns vorhin so gut unterhalten haben.". Am liebsten hätte ich ihm dieses süffisante Grinsen aus seinem Gesicht befördert, aber leider war ich durch und durch Pazifistin. Naja, bei ihm überlegte ich es mir vielleicht nochmal - und die Lampe war vermutlich auch anderer Meinung, aber ich verlor hier schon wieder den Fokus. Darum ging es gerade gar nicht. Stattdessen sollte ich mir lieber eine schlagfertige Antwort einfallen lassen. Komm schon, denk nach! Wo war nur mein Sarkasmus abgeblieben, wenn ich ihn einmal brauchen konnte.
"Ja, du hast Recht. So gut, dass ich jetzt erst mal eine Pause von dir und dieser Unterhaltung brauche, also warum gönnst du sie mir nicht und suchst dir einen anderen Platz?". Okay, nicht meine beste Leistung, aber es würde wohl fürs erste reichen müssen. "Also um fair zu sein, ich war zuerst hier, warum suchst du dir nicht einen anderen Platz, wenn ich dich so einschüchtere?". Er wusste, was er tat, verdammt er wusste es ganz genau. Warum spielte er seine Karten nur so viel besser als ich meine? Auf keinen Fall würde ich ihm diesen Sieg auch noch gönnen, aber was wäre sein Sieg? Hätte er gewonnen, wenn ich gehe oder wenn ich nicht gehe? Oder hatte er mich gerade Schach-Matt gesetzt? Vermutlich letzteres. Klasse. Na gut, du wolltest es so. Ich drehte mich nun vollständig zu ihm, streckte mein Kreuz durch, straffte die Schultern und setzte mein arrogantestes Lächeln auf - ja, sowas hatte ich - "Sei nicht albern! Mich einschüchtern? Das hättest du wohl gerne! Ich dachte nur für deine Konzentration wäre es besser, wenn du dich woanders hinsetzt. Aber gut, dann bleib eben hier." Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es mir völlig egal. Sehr gut gemacht!
"Wieso sollte es mich...", dann folgte sein Blick meinen Fingern, die gerade geschickt und natürlich völlig zufällig etwas Sonnencreme auf meinem Dekolleté verteilten. Ich dankte Gott, dass ich tatsächlich ein Shirt mit Ausschnitt und den schwarzen Push-up-BH mit Spitze angezogen hatte. Mir war natürlich klar, dass man so eigentlich keinen Krieg gewinnen sollte, aber irgendwie lies mir dieser Kerl keine andere Wahl. Bei niemandem sonst hätte ich solche Register gezogen, die vermutlich auch noch hochgradig toxisch und schlecht für die Frauenrechte waren, andererseits verlangten besondere Umstände besondere Maßnahmen und dieser Typ war ein besonderer Umstand. Niemand, den ich je getroffen hatte, war so heiß und gleichzeitig so von sich selbst überzeugt. Sein Blick lag immer noch auf meiner sich hebenden und senkenden Brust, während ihm eine Strähne seines dunkelbraunen Haars in sein markantes Gesicht fiel. Sein Kiefer spannte sich an - verdammt sah das heiß aus. Dann benetzte er mit seiner Zunge seine Unterlippe. Super! Jetzt wollte ich diese Zunge spüren. Wo war mir egal, Hauptsache auf meinem Körper. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von diesen weichen und vollkommenen Lippen lösen. Wieso waren sie mir nicht vorhin schon aufgefallen?
"Guten Morgen! Schön, dass Sie alle hier sind!". Der Professor riss uns beide aus unserer Starre. Ein kurzer, peinlich berührter Blick wurde ausgetauscht, bevor wir beide unsere Laptops aufklappten und uns dem Unterricht widmeten.
Wow! Diese Mission hatte ich mal gründlich versaut. Mission: Sebastian mit weiblichen Reizen aus dem Konzept bringen - gescheitert! Alles woran ich die nächsten 90 Minuten denken konnte war seine Zunge, wie sie über meine nackte Haut glitt, seine Küsse, die jeden Zentimeter meines Körpers bedeckten und seine langen, kräftigen Finger die kleine Kreise auf meine Bauchdecke zeichneten und mich in die Ektase trieben.

Zwischen Verdammnis und absoluter DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt