»Kapitel 4«

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Voll beladen mit den Einkaufstüten vom Supermarkt schleppte sich Penelope die Stufen zu ihrer Wohnungstür hinauf. Gerade als sie versuchte den Schlüssel aus ihrer einen Jackentasche zu kramen, klingelte ihr Handy aus der anderen. Schnell sperrte sie die Wohnung auf, stellte alles auf der Küchentheke ab und warf ein Blick auf ihr Display. Das Gesicht ihrer kleinen Schwester grinste ihr entgegen.

„Hey, Jess! Was gibt's?"

Als sie nur ein leises Schluchzen am anderen Ende hörte, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Jessica, was ist los?"

Endlich schien ihre kleine Schwester ihre Stimme wieder gefunden zu haben, auch wenn sie nur ein leises Flüstern hervorbrachte.

„Dad ist mal wieder besoffen heim gekommen...irgendwas ist wohl bei ihm auf der Arbeit passiert. Deswegen haben Mum und er angefangen zu streiten, du weißt schon..."

Ja, Penelope wusste, was Streit zwischen ihren Eltern bedeutete. Normale Eltern fuhren sich mal gegenseitig mit harschen Worten an. Ihr Vater allerdings wurde sofort handgreiflich. Viele Jahre lang, in denen Penelope noch zuhause gewohnt hatte, wurde sie Zeuge von der seltsamen Liebe, die ihrer Mutter noch für ihren Versager von Vater übrig hatte. Aus diesen Jahren hatte sie gelernt, dass sich nichts mehr an deren Beziehung ändern würde und ihre Mutter nie den Mut aufbringen würde, ihren Dad zu verlassen. Früher hatte sie der Gedanke daran belastet, doch jetzt nicht mehr. Seitdem sie ausgezogen war, schaffte sie es von Tag zu Tag eine größere Distanz aufzubauen, die nur dann immer wieder zu bröckeln anfing, wenn sie Anrufe von ihrer Schwester bekam. Am liebsten hätte sie ihre Eltern dem Jugendamt gemeldet und Jessica zu sich geholt, doch als sie dieser den Vorschlag gemacht hatte, verneinte diese. Sie hatte noch den klitzekleinen Funken Hoffnung, den Penelope vor ein paar Jahren bereits verloren hatte. Die Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten ändern würde. Die Hoffnung auf eine normale Familie. Und solange Jess diese Hoffnung noch hatte, konnte Penelope nichts an der Sache ändern, dass sie immer noch mit einem Fuß in der Vergangenheit festhing.

„Okay, ganz ruhig...alles wird gut. Sperr dich einfach in deinem Zimmer an und warte bis es vorbei ist, ich bleib so lange am Handy."

„Dieses Mal ist es anders. Ich hab Dad noch nie so gesehen, Penelope. Ich hab Angst, dass er ihr etwas antut. Ich weiß du hast es, aber kannst du bitte vorbei kommen? Bitte..."

Das Flehen in Jessicas Stimme war nur schwer zu ignorieren. Sie war ihre große Schwester und sie hatte sich immer geschworen für sie da zu sein, egal was auf sie zukam.

Penelope schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch.

„Gut, bleib wo du bist. Ich bin so schnell wie möglich bei dir."

Zwanzig Minuten später bog Penelope in die Straße ein, in der sie aufgewachsen war. Nichts hatte sich verändert. Der Teer war immer noch an den gleichen Stellen aufgerissen. Immer noch sahen die Fassaden der meisten Häuser verblasst aus. Sie stellte ihr Auto vor dem Haus mit der blauen Haustür ab und schnappte sich ihre Tasche vom Beifahrersitz.

„Na dann wollen wir mal..."

Bereits wenige Schritte vom Eingang entfernt, konnte sie die Stimmen ihrer Eltern hören. Jetzt gab es kein zurück mehr und immerhin ging es hier nicht um sie. Es ging um ihre kleine Schwester.

Sollte sie einfach klingeln oder sollte sie einfach den Ersatzschlüssel benutzen, der wahrscheinlich immer noch unter dem gruseligen Gartenzwerg versteckt war. Penelope entschied sich für die erste Variante. Zögerlich drückte sie die Klingel.

Augenblicklich verstummte der Lärm auf der anderen Seite der Mauer und schwere Schritte bewegten sich in ihre Richtung.

Die Tür wurde aufgerissen und ihr Vater vor ihr. Unrasiert, unterlaufenen Augen und immer noch gekleidet in seinem Overall aus der Autowerkstatt, in der er arbeitete. Wie immer begleitete ihn auch die altbekannte Alkoholfahne.

The Cure | Trent Alexander-ArnoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt