Kapitel 2: Gottkomplex

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In der düsteren Ecke eines Cybermarkts in Nightcity, weit weg von den glänzenden Türmen und neonbeschienenen Hauptstraßen, fand Kai sich vor einem klapprigen Stand wieder. Das LED-Licht flackerte, und der Verkäufer, ein Mann mit einem mechanischen Auge, das in einem unheimlichen Grün schimmerte, lächelte ihn schief an. „Suchst du nach etwas Besonderem, Junge?", fragte er und zeigte auf ein kleines schimmerndes Implantat.

Kai, angezogen von der schieren Kraft, die das Implantat auszustrahlen schien, nickte zögerlich. "Was ist das?"

Der Verkäufer lehnte sich vor. "Macht. Reine, unverfälschte Macht. Aber nicht für schwache Nerven."

Ohne eine weitere Erklärung zu benötigen, kaufte Kai das Implantat und suchte einen Ripperdoc auf, um es implantieren zu lassen.


Nachdem das Implantat eingesetzt war, bemerkte Kai sofort seine veränderten Fähigkeiten. Er konnte die tiefsten Ängste und Wünsche der Menschen um sich herum spüren und sie manipulieren. Er experimentierte zuerst klein: Er ließ einen Betrunkenen sein gesamtes Geld ausgeben oder einen Dieb sich selbst anzeigen. Aber wie bei einer drogeninduzierten Euphorie wollte Kai immer mehr.

Das erste Mal, als er einen rivalisierenden Gangster kontrollierte und ihn dazu brachte, sich selbst ins Bein zu schießen, war ein Rausch der Macht, den Kai zuvor noch nie erlebt hatte. Blut spritzte, und der Mann schrie vor Schmerz. Das Adrenalin, das durch Kais Adern pumpte, war intensiver als jede Droge, die er je genommen hatte.

Doch mit jeder Benutzung kamen Nebenwirkungen. Jedes Mal, wenn Kai das Implantat aktivierte, fühlte er ein stechendes Ziehen in seiner Schläfe und ein darauf folgendes Nasenbluten. Er ignorierte die Schmerzen und den Blutverlust, besessen von der Macht, die das Implantat ihm verlieh.

Doch die Nebenwirkungen verschlimmerten sich. Er bekam schreckliche Migräneattacken, die ihn stundenlang lähmten. Sein Freund Ryo, der von Kais neuem Spielzeug wusste, wurde besorgt und führte ihn zu einem erfahrenen Ripperdoc.

Der Ripperdoc, ein älterer Mann namens Dr. Ito, untersuchte Kai gründlich. Nachdem er eine Reihe von Scans durchgeführt hatte, zog er seine Augenbraue hoch. "Das Implantat... Es ist wie eine Droge für dein System. Je mehr du es benutzt, desto stärker wird der Schaden. Du bist auf dem besten Weg zu einer vollständigen Cyberpsychose. Du musst es entfernen lassen."

Kai schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht. Die Macht... Ich kann nicht ohne sie leben."

Als die Wochen vergingen, verschlimmerte sich Kais Zustand. Er wurde paranoid, aggressiv. Er kontrollierte nicht mehr nur Feinde, sondern auch Unschuldige. Einmal brachte er eine Frau dazu, sich von einem Gebäude zu stürzen, einfach weil sie ihm nicht schnell genug Platz gemacht hatte. Ryo versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen, wurde aber nur wütend zurückgewiesen.

Die Tiefen, zu denen Kai sank, waren schrecklich. Eines Tages, nachdem er drei Männer dazu gebracht hatte, sich gegenseitig in einer blutigen Raserei zu zerfleischen, stolperte er, überwältigt von Schmerz und Erschöpfung, in Dr. Itos Klinik.

Der alte Ripperdoc seufzte tief. "was ist passiert?", flüsterte er. "Das Implantat hat dich vollständig übernommen oder?."



Kais Augen waren leer, fast als wären sie die Fenster zu einer Seele, die sich in der Dunkelheit verirrt hatte.

„Was hast du getan, Kai?", fragte Dr. Ito leise, während er das schimmernde Implantat in Kais Nacken untersuchte. Es pulsierte gefährlich, und von ihm ging eine kalte, unheimliche Energie aus.

Kai antwortete mit einem Flüstern, seine Stimme rau und zerbrochen. „Es kontrolliert mich... Ich kann nicht widerstehen..."

Dr. Ito, der die verheerenden Auswirkungen der Cyberpsychose kannte, wusste, dass er schnell handeln musste. Während er versuchte, einige Diagnosewerkzeuge vorzubereiten, probierte er heimlich mit seinem Kommunikator, Ryo zu kontaktieren. Ryo müsste über Kais Zustand informiert werden, er war immerhin sein engster Freund und die beste Chance, ihn aus diesem Zustand herauszuholen.

Doch als der erste Piepton des Kommunikators ertönte, schoss Kais Kopf herum. Seine Augen waren wild, und er starrte Dr. Ito an, als hätte er ihn bei etwas erwischt. „Was tust du?", knurrte er.

"Du bist also eine kleine Labertasche? Dann stopf ich dir eben dein Maul!"


Ohne zu antworten, versuchte Dr. Ito, sich zu entfernen, aber Kais Reflexe waren übermenschlich. Bevor der Ripperdoc reagieren konnte, hatte Kai die Kontrolle über ihn übernommen. Er benutzte das Implantat, um Dr. Ito zu zwingen, seine eigene Hand zu essen. Die verzerrten Schreie des Arztes füllten den Raum, während Kai nur zusah, seine Atmung schwer und unregelmäßig.

 Ehe er sich versah, verlor er die Kontrolle über seinen eigenen Körper. Kai zwang ihn, sich zu einem chirurgischen Besteck zu beugen und damit sich selbst Stück für Stück zu verletzen und Fleisch von sich zu nehmen. Das metallische Aroma von Blut durchzog den Raum, und ein schreckliches Schmatzen vermischte sich mit den verzweifelten Schreien des Ripperdocs.

Die Tortur dauerte Stunden, und als Kai schließlich von Dr. Ito abließ, war von dem einst so respektierten Ripperdoc nur noch ein zitterndes, blutüberströmtes Bündel Elend übrig. Die Gräueltat, die Kai begangen hatte, war selbst für die dunkelsten Ecken von Nightcity beispiellos.

Rauschhaft und mit einem Gefühl der Macht, das ihn beinahe übermannte, verließ Kai die Klinik und tauchte tief in den verregneten Straßen von Nightcity ab.

Cyberpunk: Suicides under the Neon LightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt