Not über den Wolken

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"Ich glaub, ich geh nochmal schnell..."
"Man, Xander, du warst doch erst vor fünf Minuten, außerdem, das Boarding beginnt gerade, ich hab echt keinen Bock, dass wir... ausgerufen werden... oder so. Und überhaupt: wie kannst du eigentlich schon wieder müssen?"
"Ich muss ja gar nicht, aber ich dachte mir... nur so zur Sicherheit... damit ich nicht im Flugzeug muss."
"Und wenn schon, was muss, muss."
Mit diesen Worten und einem Zwinkern überzeugte mich Sam, meine bessere Hälfte und Liebe meines Lebens, nicht auf mein Bauchgefühl zu hören und den - zugegeben, minimalen - Druck auf meiner Blase zu ignorieren und mich mit demm in die länger werdende Schlange zum Boarding einzureihen. Ich bin normal nicht so, aber ich hasse es einfach, im Flugzeug aufs Klo zu müssen. Pinkeln zu müssen ist für mich etwas sehr intimes. Alleine mit mir oder zweisam mit einer Partnerperson weiß ich den Reiz des drängenden Gefühls in der Blase und auch des loslassens durchaus zu schätzen. Aber im Flugzeug pinkeln müssen würde bedeuten, Leute darum zu bitten, mich aus der Reihe zu lassen. Und dann unter den Augen aller zum Klo zu gehen. Das ganze Flugzeug wüsste, dass meine Blase drückt und dass ich gleich pinkeln würde. Mich machte allein der Gedanke daran als ich mit Sam in dieser Schlange stand schon so nervös, dass ich es fast schon spüren konnte, wie weitere Flüssigkeit in meine Blase floss und das kaum wahrnehmbare Gefühl des Müssens sanft verstärkte. Nervös wanderte mein Blick zur Toilette. Sie war keine 5 Meter entfernt. Die Schlange wurde zwar schon kürzer, aber wenn ich jetzt sofort gehen würde, würde ich es vielleicht noch schaffen.

"Wie lang fliegen wir nochmal?"
"2h"

Wie immer war Sam mein wandelndes Orga-Orakel. Dey hatte immer alles von A bis Z so durchgeplant, dass ich mich komplett entspannt und ahnungslos auf die Reise begeben konnte.
2 Stunden also. Eine Zeitspanne, die rational betrachtet kein Problem sein sollte. So überzeugte ich mich schließlich auch selbst davon, dass es absolut unsinnig wäre, jetzt nochmal aufs Klo zu rennen.

Im Flugzeug angekommen nahmen wir unsere Plätze ein. Ich hatte einen Fensterplatz ergattert, Sam hatte den Platz direkt neben mir. Bevor ich meinen Rucksack unter dem Sitz verstaute, packte ich noch schnell meine Kuscheldecke aus, schnallte mich an, und breitete die Decke über mir uns Sam aus. Ich weiß was ihr denkt: voll kitschig. Aber so sind wir eben.

Beim Anschnallen drängte sich meine Blase wieder in den Vordergrund meiner Gedanken. Warum müssen diese Flugzeuggurte eigentlich immer exakt auf Höhe der Blase sitzen? Aber das Flugzeug, das langsam zur Startbahn rollte, brachte mich schnell wieder auf andere Gedanken. Gebannt starrte ich aus dem Fenster. Ich liebe es, durch das Fenster zu beobachten, wie das Flugzeug abhebt und dann die Welt immer kleiner wird, bis man irgendwann durch die Wolkendecke bricht und im gleißenden Sonnenlicht baded. Sam nahm beim Abheben kurz meine Hand in deren und ich lächlte demm kurz zu.

Als wir über den Wolken waren und das Anschnallsymbol verschwand, ließ Sam meine Hand wieder los und schnappte sich die Getränkekarte des Flugzeugs. Auch mein Mund war mittlerweile ganz trocken von der Flugzeugluft und getrunken hatte ich seit der Sicherheitskontrolle nichts mehr. Trotzdem war ich mir unsicher. Der Sicherheitsgurt sorgte nun dafür, dass ich meine Blase dauerhaft spürte. Kurz hielt ich nach den Flugzeugtoiletten ausschau. Nur für den Fall.

"Ich glaube, ich nehm mir ne Cola, was willst du?" fragte Sam und schaute mich erwartungsvoll an. "Ehm... ja. Für mich auch eine." lenkte ich ein.

Kurze Zeit später kam auch schon der Getränkewagen angerollt und Sam bestellte zwei Cola. Und man tat das gut, in wenigen Schlucken hatte ich die Flasche auch schon geleert - und hatte immernoch Durst. Sam, entspannt an seiner Cola nippend, sah mich belustigt an.

"Na, du hast ja heute einen Zug drauf."
"Die Lust ist halt echt trocken, mein Mund fühlt sich an wie Staub"
"Hier, nimm, ich hab nicht so viel Durst. Zur Not kann ich uns auch noch mehr bestellen."

Omorashi KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt