Max hieß die Ruhe sehr willkommen. Er ging zurück zum Sofa, ließ sich darauf sinken und legte die Füße auf den Couchtisch. Seine Haushälterin Sally hatte ihn zwar gebeten, das nicht mehr zu tun, weil die edle Glasoberfläche sonst vielleicht Kratzer abbekam. Aber das musste das Ding abkönnen, wenn es schon 5000 Dollar gekostet hatte.„Licht dämpfen", sagte er laut, und die Beleuchtung dimmte sich automatisch und wechselte zu einem warmen Orangeton. Das bildete einen wundervollen Kontrast zum dunklen Abendhimmel draußen. Max liebte es, um diese Tageszeit aus dem Fenster zu sehen und einfach nur die Szenerie zu genießen. Allein dafür hatte sich der Kauf des Penthouse gelohnt. Die Wolkenkratzer um ihn hoben sich hell vor dem tiefblauen Hintergrund ab; ein unregelmäßiges, glimmendes Mosaik, schön und doch kühl, fern. Die Lichter reflektierten vom polierten schwarzen Marmorboden und schufen kleine Seen aus Helligkeit, auf dem das große helle Ledersofa schwamm wie ein Boot auf einem See. In Momenten wie diesen fühlte es sich an, als würde das Penthouse schwerelos irgendwo im Himmel schweben, losgelöst vom Rest der Welt, weit weg von seinen Sorgen.Ganz langsam, während er mit halb geschlossenen Augen dalag und der Ruhe lauschte, fiel die Anspannung von Max ab. Ersetzt wurde sie durch Erleichterung und unterschwellige Heiterkeit. Ehrlich gesagt war er froh. Rebecca Spencer war ein weiterer in einer langen Reihe von Fehlgriffen, aber er hatte seinen Fehler rechtzeitig erkannt. Fünf Monate waren eine lange Zeit, aber er hatte sich schon schlimmer verkalkuliert.Früher hatte er oft versucht, seine gescheiterten Beziehungen aufrecht zu erhalten, sie durch seinen Einsatz wiederzubeleben. Aber irgendwann war ihm die Lust daran vergangen; seine Bemühungen waren jedes Mal ins Leere gelaufen. Die letzte lange Beziehung war wohl Leta gewesen. 5 Jahre war das her, und er hatte nach 14 Monaten Schluss gemacht. Auch bei ihr wusste er nicht mehr, was ihn eigentlich gefesselt hatte, obwohl sie ein aufstrebendes Model war. Eines Morgens war er neben ihr aufgewacht, hatte sie angesehen und ... nun, gar nichts gefühlt. Das Ärgerliche daran war, dass sie im Bett immer viel Spaß gehabt hatten. Wenn er es so recht bedachte, war das noch nie das Problem gewesen, auch bei Becky nicht. Gerade wünschte er, sie hätte ihm diese letzte Nummer noch gegönnt. Vielleicht hätte sie noch mal diesen Anzug tragen können, um der alten Zeiten willen. Aber jetzt war es wohl zu spät dafür.Nun, wenn er am Dienstag aus Los Angeles zurück war, würde er sich wohl wieder in den Clubs umsehen. Vielleicht hatte er ja Glück. Es gab schließlich so viele Frauen auf der Welt, irgendwann würde er schon der Richtigen über den Weg laufen. Aber nicht mehr heute. Alles, was ihm zum Abschluss des Tages fehlte, waren ein Glas Whiskey und eine Rückenmassage. Dann würde er vermutlich ganz gut schlafen können.Als hätte er seine Gedanken gelesen, trat James ein und gesellte sich, leise wie eine Katze, an seine Seite. Er wartete ab, bis Max das Wort an ihn richtete.„Sie ist weg?"James nickte, sein Gesichtsausdruck wie immer neutral, völlig professionell. „Ich habe ihr ein Taxi gerufen, sie war nicht in der Verfassung, selbst zu fahren." Er sprach sehr sanft und gedämpft; Max bevorzugte leise Konversation, wenn er sich gerade entspannte.„Was ist mit ihrem Wagen?" Eigentlich interessierte Max sich gar nicht dafür. Er wollte nur, dass James sich weiter mit ihm unterhielt; seine Stimme war angenehm, beruhigend.„Der Chauffeur bringt ihn gerade zu ihrer Wohnung. Ich habe Sally eine Notiz hinterlassen, dass sie Miss Spencers Eigentum gleich morgen früh aussortieren soll. Ich nehme an, dass sie bis zu ihrem 9-Uhr-Termin mit allem fertig sein wird."„Werden Sie ihr helfen?"James erlaubte sich ein schmales Lächeln. „Sie wird froh sein; wenn Ihre Gäste zum Lunch eintreffen, soll schließlich alles perfekt sein."Max nickte. „Man müsste meinen, inzwischen würde sie ein einfacher Lunch nicht mehr so nervös machen. Aber ja, unterstützen Sie sie ruhig. Behalten Sie nur die Zeit im Blick, ich brauche meine Präsentationsunterlagen pünktlich."„Natürlich, Sir. Wünschen Sie noch etwas?"Das war typisch James; es war längst Zeit für seinen Feierabend, aber er ließ keine Silbe darüber verlauten. Max hätte ihn normalerweise nicht weiter behelligt, aber er wollte nicht ausgerechnet heute Abend allein sein.„Ehrlich gesagt, ja: Whiskey, einen Doppelten. Den brauch ich nach all diesem Stress", sagte er, hob jedoch die Hand, bevor James davon eilen konnte. „Halt, Moment, Kommando zurück." Max rappelte sich auf, nahm die Füße vom Tisch und rutschte von seiner ausgestreckten wieder in die sitzende Haltung. „Ist Mr. Peters Paket angekommen?"„Ja, Sir, heute Morgen", antwortete James. „Ich habe es in Ihrem Umkleidezimmer abgelegt, aber ich kann es herholen."„Ja, bitte tun Sie das."Während James davoneilte, trommelte Max mit den Fingern ungeduldig auf das cremefarbene Leder des Sofas. Vielleicht würde ihn das unfehlbare Stilgefühl seines liebsten Parfümeurs aufheitern können. Seine Mutter, auch eine Liebhaberin von ausgesuchten Düften, hatte ihn empfohlen, und inzwischen nahm Max seine Dienste regelmäßig in Anspruch. Vielleicht war es eitel und, na ja, ein bisschen egozentrisch, aber andererseits hatten ihn Design, Mode, und alles, was damit zu tun hatte, schon immer interessiert. Vielleicht lag es daran, dass er sich damit immer wieder neu erfinden konnte, vor allem, wenn er wieder einmal einen Schlussstrich ziehen musste. Wenn er einen Duft fand, der ihm gefiel, konnte er zum Beispiel gleich Beckys aufdringliches Eau de Toilette aus seinem Penthouse vertreiben.Es dauerte nicht lange, dann kam James mit einer gravierten Holzschachtel unter dem Arm zurück. Praktisch im Vorbeigehen passte er mit ein paar geschickten Fingergesten die Beleuchtung auf dem Smart Home-System an, sodass die indirekte Beleuchtung unter der Decke genug Licht spendete. Dann öffnete er die Box und platzierte sie auf dem Couchtisch. Sie war mit dunklem Samt ausgeschlagen und besaß 10 Vertiefungen, die für jeweils fünf Mal zwei Parfumproben vorgesehen waren, dazu Kaffeebohnen zur Neutralisierung des Geruchssinns und ein Bündel Teststreifen. Allerdings waren vier der Vertiefungen leer; zwei der Probensets fehlten.„Hat sich Peters Enthusiasmus inzwischen aufgebraucht, oder warum ist das nur die Hälfte?", fragte Max irritiert.James lächelte schmal. „Ich habe mir erlaubt, eine Vorauswahl zu treffen. Die anderen zwei wären nicht nach Ihrem Geschmack gewesen."„Ach?" Max hob eine Augenbraue. Es geschah selten, dass James sich solche Entscheidungen über seinen Kopf hinweg erlaubte.„Die Kopfnote war sehr blumig", erklärte James gelassen. „Aber wenn Sie wollen, kann ich die Auswahl wieder vervollständigen."Max winkte ab. James kannte seinen Stil und wusste, dass er zu feminine Noten in seinen Parfums vermied; er hätte nichts aussortiert, wenn er sich nicht absolut sicher gewesen wäre.„Dann bin ich mal gespannt."Max entnahm das erste Set und griff sich dann den Zerstäuber, der deutlich größer und mit einem goldenen Ornament von dem zweiten abgesetzt war. Das war sein eigener Duft, und er hatte eine recht genaue Vorstellung davon, was er suchte. Er wollte etwas Ausdrucksstarkes, Maskulines. James reichte ihm unaufgefordert einen Teststreifen. Max besprühte das spitz zulaufende Ende, um zunächst einen neutralen Eindruck zu bekommen. Er begann immer mit seinem Duft; nur, wenn er von diesem überzeugt war, widmete er sich dem Gegenstück in dem kleineren, schlichteren Zerstäuber, das für James bestimmt war. Seine Pendants waren immer androgyner als Max' Parfum, leichter, weniger aufdringlich. Aber beide mussten zusammenpassen, das war wichtig. Max hatte eine empfindliche Nase, und er hatte James immer in seiner Nähe. Nichts hätte ihn mehr gestört als der aufdringliche Gestank eines billigen Deodorants, wenn er gerade versuchte, seine Arbeit zu erledigen oder sich zu Hause zu entspannen. Und wenn sie unterwegs waren, war es schlicht eine Frage der Außenwirkung. Max ließ sich Zeit und neutralisierte immer wieder seinen Geruchssinn mit den Kaffeebohnen. Das erste und das dritte Set überzeugten ihn nicht wirklich. Das eine war selbst für seinen Geschmack etwas zu durchdringend, bei dem anderen gefiel ihm James Pendant einfach nicht. Er war nicht so streng, wenn es um die Zusammensetzung seines Parfüms ging, aber zu feminin oder süßlich durfte es nicht ausfallen. Der zweite Duft war allerdings vielversprechend. Holzig, würzig, sehr edel und maskulin. James Pendant war ähnlich gelagert, aber leichter, pudrig und warm. Zeit für eine eingehendere Betrachtung. Max sprühte sich seinen Duft aufs Handgelenk und bedeutete James, dasselbe zu tun. Darauf bestand er; es war sinnlos, die letztendliche Entscheidung darauf basierend zu treffen, wie sich die Düfte auf einer kalten, geruchlosen Oberfläche verhielten. Er würde beobachten, wie sich das Profil über die nächsten Stunden und die Nacht hinweg entwickelte.Max neutralisierte sich wieder mit den Kaffeebohnen und prüfte dann seinen Duft erneut. Ja, daran konnte er sich gewöhnen. Sogar noch edler als seine letzte Auswahl. Er meinte, einen Hauch Lavendel zu riechen, und das erinnerte ihn an Frankreich und weckte fast ein wenig Wehmut in ihm. Er sah zu James auf, der ebenfalls ernst und konzentriert sein Pendant prüfte.„Was meinen Sie?"James lächelte schmal. „Aus meiner begrenzten Perspektive würde ich sagen, dass Mr. Peters wieder eine ausgezeichnete Wahl getroffen hat."„Darf ich?" Er hielt James die offene Hand hin, und James legte sein Handgelenk hinein. Max beugte sich näher und nahm den Duft mit geschlossenen Augen in sich auf. Ja, das war gut; in Harmonie mit James, seinem Körpergeruch, seiner Ausstrahlung. Wie sich der Duft wohl entwickeln würde? Gut, dass James mit ihm zusammen reisen würde, dann konnte er sich innerhalb der nächsten 48 Stunden direkt ein Bild davon machen.Max öffnete die Augen und sah zu seinem Assistenten auf. James lächelte weiterhin, aber einen Moment lang meinte Max, etwas Angestrengtes in diesem Lächeln wahrzunehmen. So, als würde er sich zurückhalten, einer Meinung Ausdruck zu verleihen. James schien seine Irritation bemerkt zu haben, denn sofort wandelte sich seine Miene zu Gelassenheit.„Ihr Eindruck, Sir?", fragte er höflich.„Wenn ich nach diesem Wochenende immer noch zufrieden bin, würde ich sagen: Ist gekauft", antwortete Max und ließ sein Handgelenk los, reichte ihm den Zerstäuber. „Legen Sie die Nummer 2 für uns zurück. Ach ja, und übermitteln Sie Peters meinen Dank."„Natürlich, Sir, ich erledige das morgen gleich als Erstes", erwiderte James und sortierte alles sorgfältig wieder in die Holzschatulle ein. „Soll ich Ihnen jetzt Ihren Whiskey servieren?" „Ja, tun Sie das. Nehmen Sie den Michters."„Sicher, Sir. Wollen Sie noch etwas dazu essen? Sie haben ihr Abendessen vorhin kaum angerührt."Max stutzte, aber dann erinnerte er sich; natürlich hatte James recht. Die Nervosität hatte ihm den Appetit verdorben. Er hatte ja schon geahnt, dass Becky ihm eine Szene machen würde. Typisch für James, dass er das nicht nur bemerkt hatte, sondern sich jetzt auch darum sorgte, dass sein Boss nicht auf leeren Magen trank. Ehrlich gesagt konnte ein kleiner Snack aber auch gar nicht schaden.„Hat Andrea was von vorhin aufgehoben?", fragte er unbedacht und musste nicht erst James schmunzeln sehen, um zu wissen, dass das eine alberne Frage war. Manchmal vergaß er schlicht, dass seine Mahlzeiten in Einzelportionen frisch gekocht und die wenigen Reste entsorgt wurden.„Nein, Sir", antwortete James. „Aber sie hat den Kühlschrank erst gestern wieder aufgefüllt, ich stelle Ihnen eine Auswahl passend zum Whiskey zusammen."„Wird ein Käsetoast dabei sein?" Er wusste, dass er James damit zum Lächeln brachte, so auch heute.„Ich sehe, was sich machen lässt, Sir", erwiderte er sanft und war im nächsten Moment schon davon geeilt, geschäftig wie immer. Max sah ihm amüsiert hinterher und lehnte sich wieder auf dem Sofa zurück. Sein Blick schweifte über das riesige Wohnzimmer und dann zurück nach draußen, zu seiner fantastischen Aussicht. Er glaubte nicht, dass er sich jemals daran sattsehen würde. Alle Welt sagte immer, dass man sich so schnell an einen extravaganten Lebensstil gewöhnte, aber wenn es diesen Effekt wirklich gab, setzte er bei ihm nur schleichend ein. Dann und wann ertappte er sich immer noch dabei, dass er morgens aufwachte und sich fragte, ob er noch kalte Pizza vom Vortag da hatte. Bodenständig hätten andere das wohl genannt, aber bei ihm war es wohl eher ein peinlicher Mangel an Anpassungsfähigkeit. Gestern zum Beispiel hatte er endlos in den Kühlschrank gestarrt und einen Becher Joghurt gesucht. Andrea hatte hoch und heilig versprochen, ihm welchen zu besorgen. Er hatte nach einem Plastikbecher mit irgendwelchen künstlichen Früchten drauf Ausschau gehalten, bis James ihm auf die Sprünge geholfen hatte. Dass sein Bio-Naturjoghurt fertig zubereitet, mit frischem Obst und Nüssen garniert in einer versiegelten Schale für ihn bereitstand, hatte er ja nicht ahnen können. Es war wirklich köstlich gewesen, aber er hatte trotzdem das Aroma von künstlichen Erdbeeren vermisst.Gerade deshalb war er so froh, dass James immer bei ihm war. Sie kamen beide aus einfacheren Verhältnissen, und James wusste so oft ganz genau, was in Max vorging. Seine Anmerkungen waren immer sanft, aber er hatte Max schon mehrmals eine Blamage erspart, und das ganz ohne, dass Max sich fühlte, als würde James ihn dafür weniger respektieren. Vielleicht, weil sie von einander gelernt hatten, die zu sein, die sie jetzt waren. James war schließlich auch nicht als perfekter Personal Assistent bei ihm aufgetaucht. Er war ein Rohdiamant gewesen, der erst nach einer Weile angefangen hatte, zu strahlen.
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Whiskey Sour (ManxMan/Gay/Trans)
RomanceEs gibt Dinge, die man selbst als Millionär nicht kaufen kann ... Maximilian Bacall hat einfach alles: Eine liebende Familie, eine gut laufende Firma, ein luxuriöses Penthouse und vor allem mehr Geld, als er ausgeben kann. Nur wenn es um die Liebe g...