Trauerspiel aus Glas

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Als ich nach Hause komme, erwartest du mich bereits. Mit überschlagenen Beinen sitzt du auf meiner Couch und schaust auf den schwarzen Fernseher vor dir. Nachdenklich, still, bewegungslos. Wie jeden Tag. Und wie jeden Tag spreche ich dich nicht an. Ich habe mich mit der erdrückenden Stille in meiner Wohnung abgefunden. Ein Stern am Nachthimmel könnte einsamer nicht sein, als ich es bin. Zumindest denke ich das.

Ich stelle meine Tasche auf den Boden und ziehe meinen Mantel aus. Dann setze ich mich zu dir aufs Sofa, wie ich es jeden Abend tue, und schalte den Fernseher ein. Ich fasse dich nicht an, wage es nicht, dich zu berühren aus Angst, du würdest unter meinen Fingern zerbrechen. Ich will die Scherben meines Lebens nicht aufsammeln. Einmal zerbrochen würde es nie mehr so werden, wie es einmal war. Ein kaputtes Glas wird nie wieder makellos sein.

Eine Träne läuft meine Wange hinunter und ich wische sie energisch weg. Ach, liebliche Nostalgie, zeige mir einen Ausweg, trage mich fort aus dem Jetzt zurück in eine Zeit, wo Stille noch Gelächter war, Abstand noch Sehnsucht und er und ich ein wir.

Schau mich an, denke ich, während ich dein Seitenprofil betrachte, so wie du es früher getan hast. Berühr mich, küss mich. Meinen Namen, sag ihn. Flüster ihn in mein Ohr, während du schwer atmend über mir liegst. So wie du es früher getan hast, mit deiner Stimme voller Leidenschaft. Gib mir Gewissheit, dass wir für immer sind und deine Gefühle keine Einbildung.

Aber du wirst nichts der Gleichen tun. Nie mehr, nie wieder. "Was hab ich getan", flüstere ich, aber die Nachrichtensprecherin übertönt jedes meiner Worte. Wie jeden Tag.
Ich bin nicht stark genug, sie dir ins Gesicht zu sagen. Wird deine Bettseite heute wieder kalt sein?
Die Minuten ziehen sich. Ich weiß, ich, ich... Es sind die Tage mit, doch ohne dich, die Alkohol so ansprechend machen. Die Flasche steht auf dem Couchtisch, direkt vor mir, zusammen mit einem Glas. Warum nimmst du mich nicht wahr? Ich greife nach der Flasche. Warum bist du mir so fern? Meine Hand zittert. Wieso? Ich verfehle die Flasche. Wieso? Werfe stattdessen mein Weinglas um. Wieso? Tausend Scherben. Wieso? Ich schließe die Augen, versuche mich zu beruhigen. Mein Atem kommt stoßweise. Mein Herzschlag ist viel zu schnell. Als ich mich zu dir umdrehen, schaust du mich an.

Ich stehe auf - meine Augen immer noch auf dich gerichtet - knie mich auf den Boden und sammel hastig die Glasscherben zusammen. "Es ist alles gut", murmel ich vor mich hin. "Es ist alles gut!" Ich wage nicht aufzuschauen und so bleibe ich einige Minuten bewegungslos auf dem Boden sitzen, Glasscherben in meiner Hand. "Du sollst doch nicht trinken", höre ich dich sagen. "Das ist das Einzige, was du noch tust"-
Es tut mir leid.

Abrupt stehe ich auf. Die Glasscherben fallen mir aus der Hand, zurück auf den Boden. "ES TUT MIR LEID!", schreie ich dich an, Tränen in meinen Augen. "Hilf mir..." Du trittst einen Schritt auf mich zu. Machen dir die Scherben gar nichts aus?

Du stehst nun direkt vor mir. Ich spüre deine Hände an meine Taille. Sanft, als wären sie gar nicht da, wie eine ferne Erinnerung. Du schaust mich eindringlich an. Deine Konturen sehe ich nur verschwommen durch meine Tränen. Und dann umarmst du mich. Wirklich unwirklich. Du bist kalt. Als du sprichst, ist deine Stimme erfüllt von Traurigkeit. "Würde ich. Würde ich. Aber..." Ich versuche dich wegzuschieben. Kein Wort mehr! Schweig! Aber du hörst nicht auf mich und während ich mich noch gegen deine Umarmung wehre, höre ich deine ruhige Stimme an meinem Ohr. "Liebling, zwischen uns, sind nur ein paar Scherben aus Glas."

Incandescent lyricism [English/German]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt