Der erste Strahl des Mondes, der durch das dichte, grüne Blätterdach streift, trifft den Pfeil, der aus dem Mittelteil des weißen Pferdes ragt. Das Blut, das aus der Wunde austritt, glänzt und wirkt so durchscheinend, wie es ist, fast silbern.
Das Einhorn ist auf den Waldboden gestürzt und die Glieder zucken wie verrückt. Daraufhin tritt jedoch auch ein strahlendes, helles, weißes Leuchten aus dem Horn an seiner Stirn aus und umschließt den massigen Pferdelaib.
An deren Stelle liegt wenig später die zarte Gestalt einer jungen Frau auf dem weichen Moosbett. Ihr langes, weißes Haar fließt in feinen Wellen um ihr winziges Gesicht, auf deren Stirn die sieben Mondphasen blutrot anstelle des Horns prangen. Die Hände der Frau liegen über der Wunde auf der rechten Hüfte, die inzwischen getrocknet und nur noch als Narbe zu erkennen ist. Der Pfeil, der daraus emporgeragt ist, ist verschwunden. Doch das Zittern, das nun die Frau erbeben lässt, ist geblieben. Es ist aber wohl mehr der Kälte geschuldet als der einstigen Wunde, denn sanft streichelt sich die weißhaarige Frau über die schlanken, nackten Arme und verschränkt sie fröstelnd über der nackten Brust.
>>Was...<<, probiert sie wispernd ihre neue Stimme aus und erschreckt sich selbst an der menschlichen Tiefe davon. Doch als sie das Knacken eines Astes hinter sich hört, ist der Schreck über die eigene Stimme vergessen und wandelt sich in den Schreck über die Begegnung eines Fremden um. Dieser Fremde ist ein junger Mann mit schwarzem Haar und dunklen Augen, der nun hinter einem Baum hervortritt. Am Körper trägt er eine braun-grüne Kluft aus Leder, die ihn im Wald gut tarnen würden, hätte die junge Frau ihn nicht gerade eben bemerkt.
Eine Armbrust unter den Arm geklemmt kommt er langsam und sehr verwundert auf die weißhaarige Frau zu und setzt dazu an etwas zu sagen, doch er schließt den Mund so schnell wieder, wie er ihn geöffnet hat. Dagegen kniet der schwarzhaarige Mann sich jetzt vor die nackte Frau hin und blickt ihr tief in die grasgrünen Augen. Sie erwidert den Blick, wenn auch äußerst wiederwillig und ängstlich. Doch sie kann weder fliehen noch sich wehren. Mit diesem neuen Körper weiß sie nicht, umzugehen und während das Zittern dieses immer heftiger wird, fühlt sie sich immer hilfloser.
Eine verdammt lange Zeit starren sich die beiden aufgrund dessen demnach einfach nur an. Doch wie immer kann die Zeit nicht endlos verstreichen, ohne dass etwas getan wird. Deshalb fasst sich der Mann ein Herz und bewegt seine linke Hand langsam auf die rechte Schulter der Frau zu. Diese zuckt nicht zurück, aber wirkt misstrauisch. Als er ihre Schulter dann berührt, schießt jedoch urplötzlich ein Schmerz durch den Körper, den sie sich habhaft gemacht hat, dass sie so laut aufschreit, dass im Baum über ihnen ein Schwarm Vögel aufgescheucht wird. Daraufhin lässt der Mann ihre Schulter abrupt los und sieht von ihr weg, den davonschwebenden Vögeln hinterher.
Sie beobachtet ihn schweigend und zuckt beinahe noch heftiger zusammen, als der Mann zu sprechen beginnt. >>Alles in Ordnung?<<, fragt er und zieht dabei die buschigen, schwarzen Brauen irritiert zusammen. >>Kann ich vielleicht helfen?<<
Er hat sich noch immer nicht zu ihr gedreht, aber das muss er auch nicht. Seine Stimme ist warm und samtig und sie würde ihr, zugegeben, gerne so lange wie möglich lauschen. Doch das geht nicht, das weiß sie. Ewig ist nichts. Besonders nicht die kleinste Banalität.
Und die Stimme eines Menschen würde sie als so etwas bezeichnen, ist sie doch nur Mittel zum Zweck der Kommunikation zwischen dieser Spezies.
>>Hier!<<, sagt er nun und reißt sie damit völlig aus ihrer Gedankenspirale, >>Vielleicht hilft das gegen die Kälte?<<
Der Mann hielt ihr seinen langen, braunen und ledernden Mantel hin. Unter diesem trägt er jetzt nur noch ein dickes, weißes Baumwollhemd, über dem eine braune Wildlederweste passend sitzt.
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Am Ende des Mondstrahls
Historia CortaWeiß reflektiert, ähnlich wie Schwarz. Nur ist Schwarz der Kontrast, der etwas verbirgt; der lügt. Einhörner sind so rein weiß, dass sie Lügen nicht kennen. Sie sind immer auf der Suche nach der Wahrheit. So auch das letzte Einhorn, das auf der Suc...