Erster Advent

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Last Christmas, i gave you my heart
But the very next day you gave it away
This year, to save me from tears
I'll give it to someone special

Die Schneeflocken tanzten ununterbrochen vor dem großen Zugfenster herum, und hatten längst die Wiesen und Wälder in eine dichte, weiße Decke eingehüllt.
Der Zug war sehr langsam, wir tuckerten in einem Bummelbahntempo durch die friedlich, stille Landschaft, aber ich wünschte mir nichts mehr als Regen und ein schnell fahrender Zug.

Warum mussten alte Schulfreunde auch an die Ostseeküste am Ende der Welt ziehen?
Ich hatte ein Date heute Abend, was selten vorkam und ich war verdammt aufgeregt.

Die Schneeflocken tanzten pausenlos und in der Empfang war echt beschissen hier draußen, deshalb gab es nur mich und den Schnee. Es war der erste Advent, genauer gesagt der dritte Dezember 2023.
Meine Kopfhörer gaben wütend klingende Rockmusik von sich, ein Protest gegen die ganze Weihnachtsscheiße, die da draußen abging.

Die tobende Schneeflocken störte es nicht.
Meinen Zug noch weniger, warum war der denn auch so langsam?

Genervt drückte ich meine Nase gegen die Scheibe und ein Funken der kindlichen Aufregung stob in mir auf. Ich stellte die Musik lauter, ich wollte nicht glücklich wegen weißem Zeug werden, welches nur nass und kalt war. Aber der vierjährige Stegi hätte das hier geliebt.

Seufzend zwirbelte ich meine blonden Haare zu einer Strähne und drehte die Musik noch etwas lauter.
Der Zug wurde langsamer und langsamer.

Dann gab es ein kleines Rucken und der beschissene Hurensohn von einem Zug blieb stehen.
Also so komplett.

Ich ließ mich wütend zurück in meinen Sitz fallen, mit einem frustrierten Aufstöhnen.
Die alte Dame gegenüber schaute mich derart vorwurfsvoll an, das ich mich fragte ob sie gleich auf mich losgehen würde.
In den lauten Sprechern knackte es ein wenig, dann räusperte sich eine Stimme.

„Sehr geehrte Fahrgäste, leider müssen wir aufgrund des starken Schneefalls unser Fahrt abbrechen. Dieser Zug fährt noch bis Berlin Hauptbahnhof, wo ihnen vor Ort alles weitere erklärt wird. Für Unterkunft wird gesorgt, ebenso können sie in ihrer Bahnapp eine Entschädigung für diese Fahrt beantragen..."

Fassungslos starrte ich nach draußen, in die weite weiße Welt. Es wirkte alles so friedlich und seltsam fremd.
Als würde nichts von Leiden auf diesem weißen Planeten existieren. Aber auch keine Freude, einfach nur purer Frieden.

Stille, weiße Welt da draußen.
Wütender, rotwangiger Stegi drinnen.
Es klang wie der Anfang eines Weihnachtscomics.

Der Zug bewegte sich unfassbar langsam in Richtung Berlin und ich konnte nur nach draußen starren, den Schneeflocken beim Schneien zusehen.
Ich würde mir in Berlin ein Hotel suchen müssen, dann würde ich dort einen Tag bleiben und gleich wieder nachhause fahren, so lange konnte das doch sicher nicht dauern mit dem Schnee.

Auf gar keinen Fall würde ich Basti fragen, auf gar keinen Fall.
Völlig ausgeschlossen.
Obwohl ein Teil von mir sich nichts sehnlicher wünschte, weil ich wusste, er würde nicht nein sagen, weil ich diesmal wirklich eine Unterkunft benötigte.

Aber ich wollte ihn nicht zu Dingen drängen, die er normalerweise nicht wollte.
Er hatte mir schon tausend Mal nein gesagt, ich wollte nicht das tausendundeintemal eine Ablehnung von meinem besten Freund kriegen.

Mein Handybildschirm leuchtete auf und seufzend entsperrte ich es.
Eine Nachricht von Basti. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel sich nach oben schoben, als ich sein Profilbild anschaute, mit seinem Namen dahinter und dem kleinen Herz. Es war ein kleiner Link zu einer Nachrichtenseite die irgendetwas über Schneechaos berichtete. Dann sah ich, dass er tippte und gespannt wartete ich ab, immer noch dämlich grinsend.

Chaos-Stegighg (Weihnachtsff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt