22.12. I

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Faouzia - Bad Dreams (Stripped)
Kristen Bell - The Next Right Thing

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Schneeflocken waren mir zuwider geworden. Und obwohl es hier in der Großstadt gar keinen richtigen Schnee, sondern höchstens matschigen Schneeregen gab, krampfte sich jedes Mal mein Herz zusammen, wenn ich in den Himmel schaute und die pappigen, weißen Klumpen hinabsegeln sah.
Ich hatte versucht, zu entkommen. Hatte mich kopflos in die Stadt gestürzt, ein neues Leben gestartet und versucht, zu vergessen. Doch alles war schief gelaufen und nun fiel der Dezember wieder über mich herein wie ein heimtückischer Räuber und mit ihm der Schnee, der mich an Dinge erinnerte, an die ich nie wieder erinnert werden wollte.

Und so fiel natürlich auch dann ein gnadenloser Schneeregen, als ich früh am Morgen eines Vorweihnachtstages in die Arme zweier berauschter Kerle geriet. Vielleicht hatten sie mich schon eine Weile auf der Straße verfolgt. Vielleicht war ich aber auch einfach nur ein unglückliches zufälliges Opfer, das nachlässig genug gewesen war, sich von seiner inneren Unruhe in die problematischen Randbezirke der Stadt treiben zu lassen, anstatt sich irgendwo mit einem Pappbecher in die Innenstadt zu setzen und damit zu zeigen, dass ihr zumindest noch der letzte Rest an Selbsterhaltungswille geblieben war, seit der emotionalen Katastrophe nun auch die finanzielle gefolgt war.

So oder so hatte ich die beiden Männer nicht kommen sehen und wurde von ihnen überrumpelt. Plötzlich waren sie da. Berge von Frust und Gier. Ich roch den Alkohol in ihren Atem und sah die Boshaftigkeit in ihren irren Augen, als eine stählerne Hand meinen Arm umklammerte und eine andere mich gegen die kalte Wand eines verlorenen Kiosks drückte. Sie waren so nah. Zu nah. Sofort flutete mich die pure Angst, denn ich wusste genau, was sie von mir wollten. Und dass sie sich genau das nehmen würden. Ohne Rücksicht und ohne Gnade.

Für einen Moment reagierte ich gar nicht und gab den Kerlen damit die Chance, mich zwischen sich und der Betonwand einzuquetschen. Dann meldete sich doch noch ein verzweifelter Überlebensinstinkt in mir und ich begann, mich unter ihrem Griff zu winden. Ich drückte mich mit aller Kraft gegen die Kioskwand, um möglichst viel Abstand zwischen mich und ihre lüsternen Körper zu bringen und begann, mich mit allem, was ich hatte, zu wehren, was die Männer in ihrem Alkoholrausch zumindest ein wenig aus dem Konzept brachte.

Es waren ein paar glücklich platzierte Tritte, die mir schließlich die Erlösung schenkten. Als ich mit rasendem Herzen und vor Grauen zugeschnürter Kehle vor meinen brüllenden Angreifern floh, flog mir noch der abgebrochene Hals einer Bierflasche hinterher, traf mich an der rechten Wade und riss einen schmerzhaften, blutigen Schnitt in meine Haut.

***

Ich rannte und rannte und rannte durch den ungnädigen Vorhang aus Regen und Schnee, bis die eisige Luft mir in die Lungen stach und meine Kehle nach Blut schmeckte. Endlich ebbte der unmittelbare Horror ein wenig in mir ab und meine Schritte wurden langsamer. Stehen zu bleiben wagte ich jedoch noch nicht, stattdessen schleppte ich mich mit schmerzendem Bein noch ein Stück weiter und schaute dabei immer wieder über meine Schulter, in der Befürchtung, die Kerle könnten plötzlich wieder auftauchen.

Die Nässe fraß sich zunehmend durch meine Kleidung und drohte, mich vollkommen zu durchdringen, was im Winter ohne Unterkunft lebensgefährlich wäre. Besonders an einem Tag wie heute, wo der Atem aller Passanten in der Luft zu erfrieren schien. Und so bog ich schließlich in eine mäßig befahrene Straße ein, in der zumindest vereinzelten Menschen auf den Bürgersteigen unterwegs waren und mir damit so etwas wie ein Sicherheitsgefühl verliehen. Ich entdeckte einen kleinen Dachvorsprung vor dem Schaufenster eines leer stehenden Ladens, der mir zumindest ein wenig Schutz vor dem Wetter bieten konnte. Zigarettenstummel und Scherben lagen auf dem Boden herum, die ich notdürftig zur Seite fegte, bevor ich mich langsam niederließ. Ich drückte meine Schläfe gegen das kühle Glas, während ich darauf wartete, dass mein noch immer heftig pochendes Herz sich beruhigte und der Horror aus meinen Gliedern kroch. Vorsichtig streckte ich schließlich mein Bein aus und inspizierte die Wunde, die anscheinend nicht sonderlich tief war, aber dennoch ordentlich blutete. Mein Körper zuckte zusammen, als mein Finger abrutschte und der Schmerz durch meine Wade stach und unwillkürlich wurde meine Brust eng. Mit aller Macht versuchte ich, die Fassung zu bewahren, während ich mit verkrampften Händen meinen Schal vom Hals löste und notdürftig versuchte, ihn um den Schnitt an meinen Bein zu wickelte. Das abebbende Adrenalin, gepaart mit der Kälte, ließ mich jedoch so heftig zittern, dass ich trotz mehrmaligen Versuchens keinen vernünftigen Knoten zustande brachte. Frustriert schleuderte ich den Schal von mir weg, dann zog ich meine Beine an und vergrub das Gesicht in meinem Schoß, als ich plötzlich realisierte, was da gerade beinahe passiert wäre. Stumme, heiße Träne kullerten über meine eiskalten Wangen und bahnten sich ihren Weg bis zu meiner Nasenspitze, bevor sie schließlich auf den schmutzigen Asphalt fielen. Für einen kurzen Moment drohte die Wucht an Trauer und Verzweiflung, die ich nun schon monatelang immer wieder sorgsam in mir verstaut hatte, mich zu überwältigen. Mit aller Kraft jedoch zwang ich sie wieder zurück in mich hinein, sammelte mich und hob schließlich den Kopf. Ich rieb mir mit dem Ärmel meiner Winterjacke über Augen und Nase, strich mir ein paar feuchte Haarstähnen aus dem Gesicht und atmete tief durch, bis die Panik und Verzweiflung schließlich nachließen und dafür einer düsteren, schweren Leere Platz machten. Müde bettete ich meinen Kopf auf meine angezogenen Knie und blickte auf die Straße vor mir.

SchneewarmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt