"Ist sie nicht zuckersüß?", quiekte Der Mann mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht. Die Mutter legte mürrisch ihren Kopf schief, drehte das Baby mal nach links und mal nach rechts, um es von allen Seiten zu betrachten. Dann runzelte sie kritisch die Stirn, was sie aber mit Schrecken wieder sein ließ. Nicht, dass sie noch Falten bekam! Das wäre zu schrecklich. "Mhm...ich finde es hat eine große Nase", sagte sie dann abfällig. Dabei hatte sie doch so gehofft, dass sie ein schönes Kind bekam. Das schönste Mädchen überhaupt, das alle lieb hatten. "Sie ist so...spitz!". Dabei hatte die Mutter nicht unrecht. Das kleine, Neugeborene, hatte wirklich eine merkwürdige Nase. Sie sah beinahe aus, wie die krummen Metallhaken, auf dem man seine Geschirrtücher aufhängte, wenn man mit dem Abtrocknen fertig war. Nur war die Nase dieses Babys nicht grau und spitz genug um etwas aufzuspießen wohl kaum. Und auch die Haare, die für ein Neugeborenes ungewöhnlich lang waren, standen in merkwürdigen, kleinen Büscheln vom Kopf ab. "Ach...", gab der Mann leise bei. Ob es der Vater war, kann wohl niemand so genau sagen. Selbst die Mutter war sich da nicht ganz so sicher. Aber das würde sie wohl nicht vor ihm und erst recht nicht öffentlich zugeben wollen. Und da war er schon mal da, da konnte er auch der Vater sein. Alleine wollte sie sich ganz sicher nicht um die kleine kümmern. "Man kann von so einem kleinen Geschöpf doch nicht erwarten, dass es schön aussieht", fing er an zu erklären. „Taubenbabys sind auch nicht gerade niedlich. Die sehen aus wie zerfledderte kleine Bälle. Oder schau dir erst einmal Kaulquappen an! Dieser riesige Kopf!", sagte er und schüttelte sich bei der Vorstellung von den kleinen schleimigen Dingern, die gerade einmal so Beine hatten. "Eine Kaulquappe möchte ich wirklich nicht sein!"
Die Mutter schaute das Kleine noch einmal kritisch an, bevor sie sein winzigen Kopf mit einem schön bestickten Tuch bedeckte und es zurück in die Wiege legte. Schon viel besser! Nun sah das Kind beinahe normal aus. Beinahe. Die krumme Nase sah man immer noch, aber die Haare waren wenigstens nicht mehr zu sehen. Die Mutter musste lächeln. Ein normales Baby. Das war es, was sie wollte. Das war es, was sie haben würde. Sie würde Hexe gut erziehen und jeder würde sie mögen. Sie und natürlich auch ihre Eltern. Bald schon würden auch die Verwandten kommen und darüber reden, welch niedliches Wesen, sie zur Welt gebracht hatte. Sie würden ihr kichernd Grimassen schneiden, ihre Wiege schaukeln und viele tolle Geschenke bringen. So wie es bei normalen Familien nun einmal üblich war. Und wenn sie keine normale Familie waren, was dann?
„Wie nennen wir sie denn eigentlich?", fragte der Mann auf einmal. „Was?", die Mutter war verdattert und schüttelte ihren Kopf, als könnte sie so ihre alten Gedanken loswerden. Auf diese Frage hatte sie sich nicht vorbereitet, wo sie doch eben noch so vollkommen in Gedanken versunken war. „Na wie wir sie nennen?", erklärte der Mann. „Welchen Namen wir ihr geben wollen?!" Darüber hatte sie sich wirklich noch keine Gedanken gemacht. „Mhh...wie wäre es mit Blume? Der klingt doch irgendwie niedlich. Oder Hannah oder Elise? Eher etwas klassisches..." „Elise? Na ich weiß ja nicht. Der Name klingt irgendwie merkwürdig. Außerdem heißt so jede zweite in der Stadt", meinte der Mann. „Na dann schlag doch was Besseres vor!", sagte die Mutter gereizt. Hatte das etwa zu genervt geklungen? Sie wollte doch eigentlich gar nicht genervt klingen. Aber der Mann konnte wirklich mal selbst etwas vorschlagen! Schließlich war er ja eventuell der Vater! Dieser schaute währenddessen nachdenklich an die Decke und überlegte und überlegte. Witzig sah er dabei aus, fand die Mutter. Dann erhellte sich seine Miene, als hätte er soeben einen Geistesblitz gehabt. „Was hältst du von dem Namen Hexe?", fragte er leise. Hexe? Der war wirklich gar nicht so schlecht. Vielleicht hatte sie denn Mann doch unterschätzt. Sie schaute einmal auf das Baby und stellte es sich mit diesem Namen vor. Sie stellte sich vor, wie sie nach ihr rief, wie andere ihren Namen aussprachen. Hexe. Das passte wirklich ausgesprochen gut! Natürlich muss dazu gesagt sein, dass der Name Hexe damals noch keinen so schlechten Ruf hatte, wie er ihn heute hat. Wenn heutzutage ein Kind Hexe genannt werden würde, würde dies nur noch als Beleidigung angesehen werden, nicht als ein Spitzname oder gar als ein Namen, wie es beim besagten Kind der Fall war. Dann stand es also fest. Sie würden ihr Kind Hexe nennen, denn kein anderer Name hätte besser zu diesem kleinen, sonderbaren Mädchen gepasst, wie dieser. „Willkommen in unserer wundervollen Familie, Hexe", begrüßte die Mutter sie lächelnd und hob das kleine Kind hoch, das nun mit seinen kurzen Armen und Beinchen zappelte und vergnügt quiekte.
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Das Pfefferkuchenhaus
AdventureGretel: eine Zicke, die größte Besserwisserin der Welt und wenn es nach ihr gänge, immer im Recht! Hänsel: Naiv, ein etwas dümmlicher Mittläufer, hat aber nichts desto trotz ein gutes Herz. Hexe: Feministin, Außenseiterin und bedauerlicherweise von...