Friesin - Kapitel 01

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Emuthen (etwa 850 n. Chr.)

„Fenna, nu tau! Mock en bittje gau, tau!"

Fenna vernahm Wiebkes vertraute polternden Schritte den Flur entlang zu ihr herüberkommen. Sie biss gereizt die Zähne zusammen und konzentrierte sich weiter auf ihren Kampf mit der roten Zottelbestie auf ihrem Kopf.

„Schkiet!", entfuhr es ihr, gerade als Wiebke das kleine Kämmerchen betrat.

Sofort stemmte ihre Pflegemutter ihre (für ihre gesamte Körpergröße ungewöhnlich kleinen) Hände in die breiten Hüften und schnalzte missbilligend mit der Zunge.

„Na, na, na junges Fräulein! Was gibt's denn gleich zu fluchen?"

Fenna drehte sich hilfesuchend mit dem Oberkörper zu ihr um, sodass Wiebke sehen konnte, wie es ihr irgendwie gelungen war, ihre Finger in den Haaren so fest zu verknoten, dass sie die nicht wieder heraus bekam. Prustend trat Wiebke näher an ihre Tochter heran.

„So etwas kann auch nur dir passieren! Wie hast du denn das geschafft?", fragte sie, während sie sich daran machte, Fennas Finger aus ihrem zerzausten Lockenschopf zu befreien.

„Ich weiß es ja selbst nicht!", jammerte Fenna, worauf Wiebke abermals losprustete.
„Ich dachte, ich könnte es wenigstens für heute irgendwie hinkriegen dieses elende Vogelnest nach etwas wenigstens ein bisschen Schönen aussehen zu lassen - autsch!"

„Tut mir leid, Liebes!"

„Macht nichts. Vielleicht helfen ein paar Haare weniger sogar, dieses Zottelbiest auf meinem Kopf zu bändigen.

„Sprich nicht so davon!", sagte Wiebke mit einer Spur sanfter Strenge in ihrer Stimme, „Dein Haar ist etwas Besonderes! Niemand sonst im Ort hat hier solch rote Locken wie du."

„Und wird wegen seiner Haare so oft aufgezogen!", erwiderte Fenna und wickelte sich missmutig eine Strähne um ihren frisch befreiten Finger.
Wiebke entzog ihr die Strähne flink, bevor sich ihre Tochter in ihrer Gedankenlosigkeit erneut darin verhedderte, schnappte sich den Kamm, der neben ihr auf dem Bett lag, und Begann damit durch Fennas Haar zu fahren.

„Diese Mädchen sind doch im Grunde genommen nur eifersüchtig auf deine Lockenpracht.", meinte Wiebke, legte den Kamm wieder beiseie und fing an Fennas Haare zu flechten, „Und diese anderen Torfköppe sind in eben jene Mädchen verguckt, die dich ärgern."

Eine Weile schwiegen sie. Plötzlich sagte Fenna leise: „Vola Onnen hatte mal herumtratschen wollen, dass du eine Hexe seist."

„Was hat sie aufgehalten?", fragte Wiebke neugierig.

„Ihre Mutter.", sagte Fenna und konnte sich nur schwer ein Grinsen verkneifen, „Ich war wegen der Arnikasalbe für das Handgelenk ihres Vaters gekommen, da habe ich den Tumult nebenan aus der Küche mitbekommen. Sie hat Vola anscheinend einen Satz heiße Ohren verpasst und ihr gedroht, sie an den Torfbauern Weeko da hinten bei Twixlum zu verheiraten, wenn sie ihren Schnabel über unsere Heilerfähigkeiten nicht ein für alle mal für sich behält. Ich glaube, sie will nicht, dass wir schlimmstenfalls aus Emuthen verbannt werden, aber im Grunde ihres Herzens ist sie auch davon überzeugt, dass wir Hexen seien."

„Das wundert mich nicht.", erwiderte Wiebke schulterzuckend, „Diesen Ruf hat man nun mal als gute Heilerin und sogar als Hebamme. Erst recht, wenn man obendrein einen Juden geheiratet hat."

„Du meinst wohl messianischen Juden.", betonte Fenna und beide lächelten.

Salomon bestand immer auf diese besondere Betitelung. Für Fenna, Wiebke und eigentlich auch den ganzen Rest des Dorfes war dies einerlei, da Salomon Löwemann der einzige Jude im gesamten Ort war.

Die FriesinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt