Friesin - Kapitel 06

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Seit einer Weile hatten Fennas Füße nun begonnen zu protestieren. Sie ignorierte den Schmerz und versuchte noch ein wenig schneller zu laufen.

„Es ist nicht mehr weit!", wiederholte sie immer wieder in Gedanken und schöpfte sich jedes Mal aus der Hoffnung des Satzes neue Kraft, „Ich werde bald da sein! Es ist ist nicht mehr weit! Ich werde bald da sein!"

Der Saum ihres Kleides strotzte etwa eine Hand breit nur so vor Schmutz. Dazu gesellten sich gleich darauf ein paar Flecken Moorwasser, als Fenna sich einen Weg durch den letzten Sumpf bahnte, der sie noch von ihrem Heimatort trennte.

Als sie diesen dann hinter sich gelassen hatte, konnte sie endlich aus der Ferne Emuthen ausmachen. 

Doch dann blieb sie abrupt stehen und blickte erschrocken zu den kleinen Häusern, von denen plötzlich Rauch aufstieg. Sie spürte, wie ihr Herz sich zusammen zog.

„Nein!", flüsterte sie atemlos.

Die Wikinger waren vor ihr da!
Salomon! Wiebke!

Irgendwie schaffte es Fenna, ihre letzten Kräfte zu sammeln und den restlichen Weg nach Emuthen zu rennen. Es war ihr egal, dass sie Muskeln in ihren Beinen mittlerweile wie Feuer brannten und sie allmählich Blutgeschmack im Mund bekam. 

Und es war ihr egal, dass es in ihrem Dorf vor Wikingern nur so wimmelte! Sie musste ihre Eltern finden und sie irgendwie da rausholen, koste es, was es wolle!

Emuthen war nicht mehr wiederzukennen. Die Gassen, durch die Fenna schlich, waren wie ausgestorben, abgesehen von den Wikingern, die hier und dort entlang stapften und Fenna jedes Mal sich kurz vorher im Schatten der Häuser verstecken musste, um nicht entdeckt zu werden. 

Aus der Nähe betrachtet, waren es alle Männer die mindestens so groß waren, wie die Friesen und wären ihre seltsame Kleidung, das lange Haar und die Waffen nicht, so hätte Fenna wahrscheinlich sie kaum von ihren eigenen Landsleuten unterschieden. 

Was diese Menschen dort jedoch klar erkennbar zu Nordmännern machte, war ihr Inneres, welches in den Augen und Mienen, der ein wenig anders geschnittenen Gesichtern zum Vorschein kam. Fenna konnte darin keine heitere Menschlichkeit, wie bei den Friesen, erkennen und gerade jetzt schon gar kein Erbarmen, kein Mitleid und keine Reue.

Bei einigen Häusern hatten sie bereits die Reetdächer angezündet, welche mittlerweile lichterloh brannten und die Luft mit beißenden Rauchgestank erfüllten.

Als Fenna den Marktplatz erreichte, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Der Marktplatz, auf dem das ganze Dorf gestern um diese Zeit getanzt, gelacht, geschmaust und sich des Lebens erfreut hatte, war nun ein einziges Schlachtfeld. Der Kampf, der sich dort vor nicht allzu langem dort ereignet zu haben schien, war aber offensichtlich nicht zugunsten der Friesen ausgefallen.

Über ein dutzend toter Körper lagen auf dem Platz verstreut, alles Männer aus Emuthen, Menschen, die Fenna ihr Leben lang gekannt hatte.

Fenna merkte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. 

Auch Wiard Ubben war unter den Leichen.

Das Blut der Toten hatte bereits fast den gesamten sandigen Boden des Marktplatzes dunkelrot gefärbt und verteilte seinen Geruch, sowie den aufgeschlitzter Gedärme, allmählich in allen Gassen. 

Fennas Nasenflügel zitterten und sie spürte, wie ihr langsam, vermischt mit dem Gefühl des Entsetzens, speiübel wurde. 

Schnell wandte sie sich ab und schlich vorsichtig weiter zum Haus ihrer Eltern. Sie hatte Salomon unter den Toten auf dem Marktplatz nicht gesehen und das gab ihr Grund zu hoffen, dass er und Wiebke es irgendwie geschafft haben mussten, sich zu verstecken. 

Die FriesinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt