Lonely // Juliet

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Müde lehnte Juliet aus den Kopf ans Autofenster. Regentropfen klatschten dagegen, Häuser zogen vorbei. Ihr Vater starrte geradewegs auf die Straße vor ihm, würdigte sie keines Blickes. Ihr war es recht so. Das machte es zumindest einfach, weiter sauer auf ihn zu sein. Nie war er zuhause, nie hatte er Zeit für sie und jetzt schob er sie einfach ab. Zu der Frau, die er vor acht Jahren einfach so verlassen und Juliet gleich mitgenommen hatte. Ihrer Mutter. Juliet wusste schon nicht mehr, wann sie sie zuletzt gesehen hatte. Es musste schon  fast drei Jahre her sein. Wage erinnerte sie sich noch daran wie es war, als ihre Eltern noch zusammen gewesen waren. Sie hatten in einer kleinen Wohnung, in der nähe des Pacific Beach gelebt. Fast jeden Tag war Juliet am Strand gewesen. Zusammen mit Cassy. All die Jahre über hatte Juliet die Gedanken an ihre Kindheitsfreundin verdrängt, hatte sich gezwungen sie zu vergessen. Nur das dumme Freundschaftsarmband trug sie immer noch. Sie hatte es nie übers Herz gebracht es wegzuwerfen. Sie wusste selbst nicht warum. Schließlich war es Cassy gewesen, die ihre Briefe nicht mehr beantwortet hatte. Plötzlich einfach so Funkstille. Dabei hatten sie es sich doch geschworen. Und Juliet war sich so sicher gewesen, dass Cassy sich an den Schwur halten würde. Sie brach niemals ihre Versprechen. Niemals. Zuerst hatte Juliet sich Sorgen gemacht, dass Cassy etwas passiert sein könnte, doch letztendlich hatte ihr Vater ihr die schmerzliche Wahrheit klargemacht: Freundschaften auf diese Distanz funktionierten einfach nicht. Und irgendwann hatte sie aufgehört, jeden Morgen enthusiastisch zum Briefkasten zu rennen. Sie hatte die ganzen Fotoalben tief in ihrem Kleiderschrank vergraben. Sie hatte sämtliche Erinnerungen an Cassy verdrängt, hatte so getan als hätte es sie niemals gegeben, als hätte es Kalifornien nie gegeben, als hätte sie schon immer mit ihrem Vater in der Villa in Anchorage gelebt. Sie hatte so getan als wäre sie schon immer einsam gewesen. Sie hatte sich verboten darüber nachzudenken wieso Cassy nicht mehr antwortete. Das war lange nachdem sie bereits aufgehört hatte Briefe nach San Diego zu schicken. Ihr Vater parkte. Wortlos stieg Juliet aus, holte ihre Koffer aus dem Kofferraum und lief in den Flughafen hinein. Ohne auch nur ein einziges mal zurückzuschauen. Wenn ihr Vater beschlossen hatte, dieser Geschäftsreise zuzustimmen ohne an sie zu denken, dann hatte er es nicht verdient dass sie jetzt an ihn dachte. Während des Fluges redete Juliet sich ein, dass die Chancen Cassy jemals wiederzusehen gen null gingen, entweder um sich zu beruhigen oder nicht enttäuscht zu werden. Sie wusste es selbst nicht so genau. Sie hätte nur einen Blick auf ihr Handy werfen müssen, um zu sehen wie falsch sie lag, doch als Juliet das Flugzeug verließ, war die Nachricht bereits wieder gelöscht worden und der Absender war nicht mehr erreichbar.


Am Flughafen entdeckte Juliet ihre Mutter nicht sofort. Sie wollte sich gerade ein Taxi rufen, schließlich war es nicht dass erste mal dass ein Elternteil vergaß sie abzuholen, da tippte ihr jemand auf die Schulter. Juliet fuhr herum und blickte in die blauen Augen ihrer Mutter, die ihren so ähnlich saßen und immer schelmisch funkelten. Anstatt sie zu umarmen, nahm ihre Mutter ihre Hand und küsste jede einzelne ihrer sechs Fingerspitzen, die Juliet so verhasst waren. Bei dem vertrauten Ritual wurde ihr warm ums Herz. Sie spürte wie Tränen sich in ihren Augen sammelten und biss die Zähne zusammen. Sie würde nicht weinen. Juliet weinte nicht. Ihre Mutter betrachtete sie lächelnd. "Mein süßes Mädchen. Du bist so groß geworden." sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann legte sie Juliet einen Arm um die Schulter. "Erzähl, wie ist es dir in der letzten Zeit ergangen?", fragte sie. Juliet hob die Schultern: "Ganz... gut.". Sie war wirklich eine miserable Lügnerin. Eilig wechselte sie das Thema. "Wie geht's Christina?". Ihre Mutter runzelte die Stirn. "Ich dachte du wolltest nichts mit ihr zu tun haben?" . Ganz unrecht hatte sie damit nicht.

 Vor drei Jahren noch, war das der Fall gewesen. Doch damals war sie zwölf gewesen. Damals hatte sie einfach jemanden gebraucht, den sie für die Trennung ihrer Eltern verantwortlich machen konnte. Jemand anderen als sich selbst. Und so hatte sie sich geweigert, mit der Freundin ihrer Mutter zu reden. Sie hatte sich geweigert zu glauben, dass ihre Mutter sich erst nach der Scheidung mit Christina getroffen hatte. Etwas anderes hätte bedeutet, dass sich ihr Vater nicht von ihrer Mutter getrennt hatte, weil sie jemand anderen liebte, sondern weil er nicht mit der Tatsache leben konnte, dass ihre Mutter auch Frauen mochte. Und mit dieser Tatsache hätte Juliet nicht leben können. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sie  gerade begonnen zu merken, dass sie mehr mit ihrer Mutter teilte, als ihr lieb war. 


Hills burn in CaliforniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt