Kapitel 4 - Finneas

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Ich erinnere mich noch an den Tag, als wir vier gemeinsam an genau diesem Ort schworen, uns nie aus den Augen zu verlieren, egal was kommt. Wir alle stammen aus irgendwelchen beschissenen Situation und hatten es nicht immer leicht, weswegen es auch gerade so bedeutsam war, dass wir füreinander da waren. Als ich Dave kennenlernte, steckte seine Mutter gerade mitten in der Scheidung und vernachlässigte ihn dabei total. Wenn es zuhause Probleme gab, kam er oft zu mir rüber und wir verbrachten den ganzen Tag, manchmal bis spät in die Nacht miteinander. Ab und zu kam auch Adeena vorbei und wir spielten Verstecken im Wald.

Joana war die letzte, die zu uns kam, vor knapp drei Jahren. Sie war neu auf der Schule und Adeena bot ihr an, sie rumzuführen. Da ihre Eltern oft beruflich umziehen mussten, hatte sie es nie leicht, Freunde zu finden oder sich an einen Ort zu gewöhnen. Hier jedoch lief es anders, als sie in unseren Freundeskreis kam. Jetzt sind wir vier unzertrennlich. Egal was geschieht, wir würden uns auf einander verlassen können. Und wenn unser Schwur durch gewisse Umstände zerstört wird, würden uns auch die Jahre und Meilen nicht voneinander trennen. Für so eine Freundschaft lebt meine Hoffnung an das Gute in dieser Welt. Das es noch Menschen gibt, die aufeinander Rücksicht nehmen.

Ein Zirpen und Rascheln begleitet die Stille um uns herum, als Dave sich von seinem Platz am flachen Stein neben dem Wasser erhebt und die Hände hinter dem Nacken übereinander faltet. ,,Hey, Leute?“, er erhält unsere Aufmerksamkeit, als er sich uns zuwendet. ,,Wisst ihr, irgendwann wird es das letzte Mal sein, dass wir alle miteinander rumhängen. Finn und ich verlassen bald die Schule, wer weiß, was danach kommt.“ Das sorglose Lächeln auf Joanas‘ Lippen weicht davon, sobald die Worte seinen Mund verlassen. Die bittere Realität, gewissermaßen. ,,Buh, Dave, zieh uns doch jetzt nicht so runter.“, augenrollend lässt sie sich auf das Gras fallen und schnippst einen Kieselstein davon.

,,Nein, im ernst, wir würden nie wissen, wann es das letzte Mal ist, das alles so problemlos ist.“ Problemlos würde ich das nicht gerade bezeichnen, aber ich bringe ein zögerliches Nicken hervor, was meinen Kiefer unbeabsichtigt knacken lässt. ,,Naja ich will mich nur ungerne an unser letztes spektakuläres Treffen erinnern mit dem Wissen, dass es nur eine Schulstunde war, die wir geschwänzt haben. Wir sollten demnächst was richtiges unternehmen. Vielleicht wieder verreisen.“, werfe ich mit ins Boot und hebe die Achseln als ich Adeenas erfreuten Blick auf mir spüre. ,,Ja, wieso nicht? Vielleicht wieder in die Winterlodge, oder ans Meer, was meint ihr?“, auch sie scheint von der Idee begeistert. Daves‘ ursprünglich deprimierter Ausdruck erhellt sich nun zu einem optimistischem Grinsen. ,,Das machen wir.“

Das Knacken der Äste unter unseren Füßen kündigt unseren Rückweg durch das Dickicht des Waldes an. Joana war gerade dabei, von ihrer Urlaubsreise zu erzählen als Dave bereits einen schandhaften Blick auf die Uhr warf, der uns bedauerlicherweise zurück in das Hier und Jetzt holte. Denn eigentlich sollten wir längst in der Schule sein.

Es war nicht das erste Mal und es wird auch nicht das letzte sein, bei dem uns die Lehrer beim Schwänzen erwischt haben. Inzwischen glaubt man uns nicht mal mehr die Ausreden, egal wie gut durchdacht sie waren. Einmal gaben wir dem Bus die Schuld, der wohl nie ankam, was sogar gar nicht so unrealistisch ist. In unserer Kleinstadt ist schon lange nichts mehr los. Ein anderes Mal hatte Joana angeblich einen ganz üblen Schwindelanfall, weswegen Adeena bei ihr bleiben musste, denn ihre Eltern waren nicht daheim. Aber ohne Adeenas' Mutter, die ein Auto hat, komme ich nicht zur Schule. Daves' Fahrrad ist beim letzten Sturm komplett demoliert wurden. Und zu Fuß bis nach Duncan zu gehen, die nächste größere Stadt, in der sich unsere Schule befindet, dauert mindestens zwei Stunden.

Es stellt sich also schon ziemlich schwer heraus, jedes Mal pünktlich anzukommen, denn einige dieser Ereignisse sind auch schon wirklich so vorgekommen. Aber je öfter man sie erzählt, desto weniger bleiben sie glaubhaft. Lange muss ich es sowieso nicht mehr dort aushalten, bis ich meinen Abschluss habe. Den Moment kann ich kaum abwarten. Wer weiß, vielleicht lasse ich mir gemeinsam mit Dave noch einen letzten guten Streich einfallen, bringe Adeena bei, wie man die Lehrer zur Weißglut treibt, ohne von der Schule zu fliegen, wobei sie allerdings schon genug unter meinem schlechten Einfluss steht, oder sage dieser verdammten Miss Brungoth, in anderen Worten, die schlimmste Lehrerin, die es überhaupt gibt, was ich von ihr halte. Die Zeichnungen von kleinen Dämonen mit ihrer gigantischen Nase und runden Brille sollten dabei helfen.

Doch gerade als ich mich über ihr hoch rot anlaufendes Gesicht innerlich lustig machen will, spüre ich eine kleine Berührung auf meiner Schulter, die zärtlicher wohl kaum sein könnte. Ich muss mich nicht mal umdrehen, als ich ihren schwarzen Haarschopf bereits im Augenwinkel erkenne. ,,Ist alles okay? Du bist so ruhig.", so schnell wie Adeenas‘ kleine Hand auf meiner Schulter lag, ist sie auch schon wieder verschwunden. Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, als ich ihrem bohrenden Blick nachgebe. ,,Klar, denke mir nur gerade einen geschmeidigen, erinnerungswürdigen Abgang von der Schule nach dem Abschluss aus.", involviere ich sie in mein Vorhaben.

Als wäre das das Signal, bahnt sich auch auf ihren Lippen ein diabolisches Grinsen an, was nur bedeuten kann, dass sie gerade genauso am Grübeln ist, wie ich. Verdammt, wir hängen eindeutig zu viel miteinander rum. ,,Mir kommen da schon ein paar Ideen. Wie wäre es, wenn wir ein paar Ratten in der Tasche des Direktors verstecken? Er hasst die Biester. Oder wir helfen Mister Wilfried bei seinen Verdauungsproblemen und sprengen jede Kloschüssel im Gebäude? Oh, oder wie wäre es, wenn wir die Glasscheiben der Aula mit Graffiti besprühen? Ich habe irgendwo zuhause noch ein paar Flaschen stehen, wenn wir nachts hingehen, sieht uns keiner.", sprudelt es geradezu aus ihr heraus und mit jedem Wort ziehen sich meine Brauen weiter in die Höhe und ich mustere sie mit Staunen in den Augen. Ein Wort jedoch, fasziniert mich besonders.

,,Wir?", hake ich nach und grinse schief, als ich sie anstupse. Ich habe ein Biest erschaffen. Und ich bin wahnsinnig stolz darauf. ,,Na klar, was denkst du denn? Dass ich den Spaß verpasse?", schmunzelt sie als sie sich nach Joana und Dave umschaut, die wohl in ihren eigenen Gesprächen vertieft sind. ,,Ich kann dafür nach dem Abschluss nicht mehr in Schwierigkeiten geraten, du schon, wenn du erwischt wirst.", sie bremst mich, als sie mir einen vielsagenden Blick zuwirft. ,,Falls- ich erwischt werde.", korrigiert sie mich und hebt den Finger dozierend. ,,Was nicht passieren wird, weil wir obercoole, schwarze Tarnkleidung tragen werden, damit uns niemand nachts im Gebäude bemerkt. Kapuzen, Sonnenbrillen, vielleicht Perücken, wer weiß. Wir könnten auch versuchen, so auszusehen, wie die Lehrer selbst.", fährt sie strahlend über beide Ohren fort, worauf ich mir krampfhaft ein Lachen unterdrücken muss.

,,Und was ist mit deiner ausbesserungswürdigen Aufmerksamkeit?", necke ich sie, als ich gerade einen herabhängenden, dünnen Ast zur Seite halte, da dieser sonst im Weg wäre. ,,Die habe ich im Griff.", gibt sie fast schon explodierend von Selbstüberzeugung zurück. Sie hat es nicht anders gewollt. Achselzuckend lasse ich den Ast zurückschwanken, nachdem ich diesen zur Seite dehnte, woraufhin er Adeena seitlich direkt in die Magengegend trifft. Ohne sie zu verletzen, aber genug, um sie schreckhaft quietschen zu lassen. Doch als ich mich auf ihren Blick kaum noch wieder einkriegen kann, erhalte ich einen strafenden Blick und eine Faust gegen den Oberarm. ,,Idiot.", höre ich sie in sich hinein murmeln, was mich nur noch mehr auflachen lässt.

Doch der Spaß endet, als wir die Straße fast erreichen und ein motoren- artiges, lautes Geräusch, sowie die tiefen, brummenden Stimmen einiger Männer, meine Aufmerksamkeit erhält. Mit ausgestrecktem Arm bringe ich meine Freunde zum Anhalten und ducke mich hinter einem der dichteren Sträucher als auch Adeena sich neben mich kniet. ,,Was ist los?", wispert sie kaum hörbar. Ich recke meinen Kopf, um mehr erkennen zu können, durch die Löcher und Lücken im Gebüsch. Dave steht an einer günstigeren Stelle und gibt mir ein bestätigendes Nicken auf die Vermutung, die ich noch nicht ausgesprochen hatte. ,,Soldaten. Ein paar Wachmänner.", flüstere ich, als ich ihre Uniformen erkenne. Was wollen die hier?

Sie sind normalerweise nur in Großstädten an bestimmten Ecken zu sehen, wie sie dort rumlungern oder Gebäude bewachen, in denen sich Mitglieder der Südrebellen zu den Zeitpunkten versammeln. Martin Beckham hat seine Leute fast überall im Süden erweitert. Doch in einem so gut wie menschenleerem Dorf wie diesen ist das äußerst eigenartig.
Denselben Gedanken scheint auch Adeena zu haben. ,,Nicht mal die Polizei ist öfter auf Streife in dieser Gegend, schon gar nicht Martin Beckhams' Leute...", bemerkt sie. Das bedeutet, es muss einen größeren Grund dahinter geben.

Die Kinder des PhoenixWo Geschichten leben. Entdecke jetzt