39. Kapitel

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"Was... denkst du denn?", kommt von Binah sofort die Gegenfrage. Sie wirkt unsicher. Was, wenn sie das gar nicht will? Was, wenn sie mich vielleicht mag, aber nicht mit mir zusammen sein will? Oder mache ich mir mal wieder einfach zu viele Sorgen?
"Ich weiß nicht, also ich..." Ich hole tief Luft und krame in mir drin jedes Stückchen Mut zusammen, um Binah endlich sagen zu können, was ich fühle und denke. Über sie. Und über uns. "Ich mag dich wirklich. So sehr, wie ich noch nie irgendein Mädchen geliebt habe. Und..." Wieder mache ich eine kurze Pause. "Ich würde nichts lieber tun, als mit dir zusammen zu sein."
Binah lächelt geschmeichelt. Ich würde ihr am Liebsten um den Hals fallen und küssen. So lange, bis ich keine Luft mehr bekomme. Oh Gott, Jule, beruhig dich mal. Okay, okay, ich bin wirklich ziemlich verknallt in Binah. Ziemlich.
Binah scheint nicht zu antworten, weshalb ich sie erwartungsvoll ansehe und ein "Was meinst du?" hinterherschiebe.
"Ich...", setzt sie an. Oh Gott. Was tue ich hier eigentlich? Es scheint nicht so, als würde Binah dasselbe wollen, wie ich es will. Ich hätte einfach nicht fragen sollen. Ich bin echt so eine Idiotin! Ich habe alles ruiniert! Wie kann man nur so dumm sein? "Glaub mir, ich wünsche mir gerade nichts mehr als mit dir zusammen zu sein."
"Das klingt, als würde jetzt ein Aber folgen...", stelle ich fest. Ich wusste, dass es keine gute Idee ist. Ich hätte es einfach lassen sollen. Ich muss auch mal Geduld haben.
"Ja... Also, nein... Doch, irgendwie schon... Jain...", kommt es von Binah, die sich jetzt verzweifelt weiter nach hinten hat fallen lassen, wo sie von der weichen Rückenlehne des Sofas aufgefangen wird.
"Das klingt... kompliziert...", schnaufe ich.
"Ist es auch." Sie kratzt sich am Kopf und streicht eine ihrer dunklen Haarsträhnen hinters Ohr. "Es ist halt..." Sie atmet wieder tief durch. Oh nein, was kommt jetzt? Irgendwas Schlimmes? Findet Binah mich doch nicht toll? "Ich habe nicht so gute Erfahrungen mit Beziehungen gemacht...", kommt es von ihr.
"Was... ist denn passiert?", frage ich leise, während im Hintergrund Lonely Heart ausklingt.
"Ich hatte mal einen Freund. Das war vor zwei Jahren. Ich hatte schon zwei Jahre Hormone und sah so weiblich aus, dass kaum jemand mich noch als Jungen erkannt hat." Das Erkannt setzt sie in Anführungszeichen, wahrscheinlich, weil sie eben kein Junge ist. Auch, wenn sie einen männlichen Körper hat. "Aber ich habe mir so sehr gewünscht, einfach als Mädchen zu leben. So wie alle anderen Cis-Mädchen. Und als ich dann einen Jungen kennengelernt habe und mich ziemlich in ihn verknallt habe..." Sie macht wieder eine kurze Pause. "Habe ich ihm nicht erzählt, dass ich trans bin."
"Musst du doch auch nicht. Ist doch eigentlich egal. Du bist ein Mädchen.", unterbreche ich Binah.
"Ich weiß, aber für viele heterosexuelle Jungs ist das leider nicht egal. Und so war das auch bei meinem damaligen Freund. Wir waren schon zwei Monate zusammen, als ich es ihm gesagt habe. Er hat nicht wirklich gut reagiert. Er meinte, dass er nur auf Mädchen steht und nicht auf Jungs, die so tun als wären sie Mädchen. Ja, so hat er es wirklich genannt. Das hat mich ziemlich verletzt."
"Verständlich! Was ein Idiot!" Ich würde niemals sowas zu Binah sagen. Einfach, weil es nicht stimmt. Sie ist ein Mädchen. Punkt. Man kann Geschlecht nicht über einen kurzen Blick zwischen die Beine festmachen. Ich wäre schließlich auch weiterhin ein Mädchen, wenn ich einen männlichen Körper hätte. Es ändert nichts daran, wie ich fühle und als was ich mich sehe.
"Ich weiß... Danach hat er Schluss gemacht und sofort den ganzen Kontakt abgebrochen."
"Oh Gott. Das tut mir echt leid, Binah. Das hast du nicht verdient. Es tut mir echt leid, dass du so schlechte Erfahrungen machen musstest.", sage ich und weil ich Binahs Traurigkeit wieder mal nicht ertragen kann, greife ich nach ihrer Hand. Sie ist warm. Schwitzig. Aber das ist mir egal.
"Das ist vielleicht bescheuert, aber ich... Ich habe etwas Angst, dass sowas nochmal passiert. Auch, wenn ich weiß, dass das nicht passieren wird, weil du weißt, dass ich trans bin und mich auch unterstützt, aber irgendwie... Es hat mich einfach so sehr verletzt und irgendwie nimmt es mich bis heute mit.", erklärt sie.
"Das verstehe ich. Aber ich will, dass du weißt, dass ich dich wirklich mag. Egal, ob du cis oder trans bist. Du bist du. Und ich mag dich.", antworte ich und schmiege mich noch ein bisschen näher an Binah.
"Danke... Ich dich auch. Und ich will wirklich mit dir zusammen sein. Ich will nicht mehr als das. Aber vielleicht können wir ja einfach... das alles langsam angehen?", schlägt sie vor.
"Klar. Ich hatte nicht vor, in zwei Minuten mit dir zu schlafen." Ich muss grinsen. Mein Lächeln wird noch breiter, als ich Binahs geschockten Blick sehe. Länger als zwei Sekunden hält sie das aber auch nicht aus und beginnt, loszuprusten. 
Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt habe, werfe ich einen Blick auf die große Uhr, die an der Wand gegenüber von mir hängt. Es ist bereits halb neun und ich habe meinen Eltern versprochen, um neun wieder zu Hause zu sein. 
"Ich... muss leider los.", sage ich traurig und ich meine es auch so. Ich wäre gerne noch viel länger bei Binah geblieben. Am Liebsten die ganze Nacht. Ohne mit ihr zu schlafen!
"Okay. Schade."
Binah begleitet mich noch nach unten, wo ich in meine Winterjacke und Stiefel schlüpfe. 
"Du gehst schon wieder?", kommt es jetzt von Binahs Vater, der soeben den Flur betreten hat. 
"Ja, ich muss leider nach Hause. Aber vielen Dank für das Essen und die Einladung." Wow, ich glaube ich bin echt noch nie so höflich gewesen, wie ich es heute Abend war. 
Binahs Vater lächelt zufrieden. "Gerne, Jule. Du bist jederzeit willkommen." Ich lächele freundlich zurück und verabschiede mich mit einem knappen "Tschüss" von ihm. 
"Tschüss, Jule. Sehen wir uns morgen im Café?", fragt Binah. 
"Wenn du vorbeikommst?"
"Klar!"
Ich umarme Binah noch einmal zum Abschied, dann schwinge ich mich aufs Rad und schlage den Heimweg ein. Die ganze Zeit über, kann ich einfach nicht aufhören, an den unglaublichen Abend zu denken. Und vor allem daran, dass ich jetzt einfach eine Freundin habe. Ich! Eine Freundin! Ich kann jetzt offiziell all meine Profile in vergeben, an Stelle von single ändern. Ich. Habe. Eine Freundin. 
Das macht mich so unglaublich glücklich, dass ich fast vom Fahrrad falle, als mein Handy laut eine Nachricht ankündigt. Geschockt über die plötzlichen Töne bremse ich ab und ziehe mein Handy aus der Tasche. Es ist Alice. Na super, das können ja nur gute Neuigkeiten sein...



You make it feel like Christmas (Deutsch, girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt