Glücklich

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Das Jahr ist schon alt und neigt sich mit schnellen Schritten dem Ende zu. Heute weiß ich nicht mehr, ob sich meine Laune den Farben anpasst, mit denen ich es zu tun bekomme, oder ob es andersherum ist. Manchmal denke ich, die Paare, denen ich helfe, finde ich je nach meiner Stimmung. Vor allem an einem Tag, an dem ich massiv mit lauter Lila und Magenta Verbindungen um die Liebe kämpfen muss. Ja, auch diese Farben stehen selbst für Liebe, aber es ist die Liebe zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Geschwistern, die manchmal auch gekittet werden müssen, aber häufig den anderen Farben im Weg stehen. Ein ganz in Lila eingewickeltes Kind ist zwar beschützt, kann sich aber nicht entfalten und einmal musste ich einem Geschwisterpaar helfen zu erkennen, dass ihre Liebe so tief Magenta ist, dass sie immer halten wird, aber dennoch die anderen Farben nicht ersetzen kann.

Heute bin ich ziemlich albern und wild aufgelegt und suche nach leichter Unterhaltung statt schwerem Gemüt. Daher ist es kein Wunder, dass ich in einer Kneipe hängen geblieben bin, in der gerade ein Speed-Dating veranstaltet wird. Hierbei finde ich nur selten echte Verbindungen in Rot oder Grün, aber dafür die lockeren und oft heißen Verbindungen vom hellen Gelb bis zu einem feurig-warmen Orange, die in der Regel rein sexueller Natur und selten auf ewig angelegt sind. Sie sind auch leicht zu forcieren. Eine freche Bemerkung hier, etwas flirten da, das ist schon eher mein Ding und macht Spaß. Auch wenn ich aufpassen muss, dabei nicht selbst ins Visier zu geraten. Doch mein Interesse liegt in einer ganz anderen Farbe. Nach allem, was ich in diesem Jahr geholfen, verkuppelt und geschlichtet habe, besteht für mich kein Zweifel darin, welche Farbe mein Band hat, wenn es nach einer Partnerschaft sucht - Blau. Es sind nicht die oberflächlichen Freundschaften und losen Bekannten, die ich mit dieser Farbe angezeigt bekomme. Es sind die Freundschaften, die mit tiefer Liebe verbunden sind, die besten Freunde für immer, die Freundschaften, die ans Herz gehen. Wo die Partner Seite an Seite stehen und das Leben gemeinsam meistern. So eine Beziehung, da bin ich mir sicher, ist es, die ich suche. Nicht schnulzige Romantik in Rot. Nicht verkopfte Einigkeit in Grün und ganz sicher nicht die rein sexuelle Verbindung in Orange. Auch wenn ich von all dem ebenfalls etwas haben möchte. Doch überwiegend wünsche ich mir ein tiefes, dunkles Blau aus purem Vertrauen und dem Wissen, dass man sich treu bleibt und zueinander steht, egal was passiert, selbst wenn man den anderen gerade mal nicht leiden kann.

Diese Liebe ist seltener, als man denkt, und das liegt nicht daran, dass zu wenige in ihrer Beziehung an einer Freundschaft arbeiten. Es liegt eher daran, dass so eine Freundschaft lange wachsen und gedeihen muss und daher ganz sicher nicht auf so einem Speed-Dating auftaucht. Obwohl ich hier durchaus ein oder zwei Kandidaten in Hellblau sehe. Doch sie sitzen auf derselben Seite des Tisches, gemeinsam auf der Suche nach jemand anderem. Keiner von ihnen scheint jedoch ein Gegenstück von mir zu sein, ich entdecke einfach Null Anziehungskraft. Ich habe schon mit eigenen Augen gesehen, wie sich die türkisen Fäden der aufkeimenden Freundschaft in Rot verwandeln oder noch häufiger in ein sattes Orange und nicht immer haben sie das überlebt. Das ist auch etwas, das ich lernen musste. Nicht jede Beziehung ist für die Ewigkeit gemacht.

Meine Blicke fallen auf Robin, die Person mit der ich seit Kindertagen Pferde stehle, oder eher Äpfel, denn wir haben beide ziemlichen Respekt vor Pferden. Meine Lieblingsperson. Robin marschiert den Gang zwischen den Tischen entlang, achtet darauf, dass jeder ordnungsgemäß den Tisch wechselt, wenn es soweit ist und dass alles seine Richtigkeit hat. Als sich unsere Blicke über einen Tisch mit einem Paar hinweg treffen, dessen hellgelbe Verbindung Hoffnung auf eine sehr erregende sexuelle Beziehung macht, wird mir zum ersten Mal etwas klar. Ich kann auch bei Robin keine Farben sehen. Müsste zwischen uns nicht zumindest ein blaues Band ...? Ein glitzernder Nebelstreif taucht kurz zwischen uns auf und plötzlich wird mir klar, wieso ich diese Linie nicht sehen kann. Ein breites Lachen entkommt mir und wird von der wichtigsten Person in meinem Leben zurückgeworfen, weil sie mit mir lacht, auch wenn sie nicht weiß warum. Diese Person ist schon lange ein Teil von mir. Und plötzlich wird mir klar, welche Beziehung ich als nächstes fördern werde. Ob ich, sobald ich meine eigene Liebe gefunden habe, meine Gabe wieder verlieren werde? Diese Theorie hat zumindest Ashley aufgeworfen. In Märchen und Sagen gibt es zu jedem Fluch auch immer ein Hintertürchen. Der Frosch, der geküsst werden muss, um nur eines zu nennen. Aber egal ob Gabe oder Fluch, sie ist es nicht Wert, auf die eigene Liebe zu verzichten. Besonders wenn sie aus einer ewigen Freundschaft geboren ist. Robin, mach dich auf etwas gefasst. Das nächste Jahr kommt mit einer neuen Kraft auf dich zu. Mir!

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