Elisabeth

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Einmal. Noch einmal. Oh, jetzt die andere Seite, sehr schön. Ah, das wird ein Spaß. Warte nur ab, bis ich hinten deine Knoten gelöst habe, die sich durch deinen Hut gebildet haben.
Was kann ich dafür, dass du deine Haare immer so hochsteckst, jetzt schau mich nicht so böse an, du hast die Knoten da reingemacht, nicht ich!
Noch einmal durchs Haar. Aua. Zieh doch nicht so an mir, dadurch wird es nicht besser. Zweimal links, zweimal rechts, wieder zweimal links, und neuer Versuch hinten. Ah, jetzt gehts besser. Siehst du, meine Borsten sind ganz weich und angenehm, oder?
Ein Geräusch, ein Verharren. Warum machst du nicht weiter? Jetzt ein hektisches Kämmen, ich komme kaum hinterher. Meine Güte übertreib es nicht. Ich will dir nicht wehtun. Schritte.
»Elisabeth, das reicht jetzt, komm, du musst dich fertig machen, der Baron wartet.«
Ich werde gewaltsam aus ihrer sanften und weichen Hand gerissen und auf das kleine Tischchen geworfen. Aua. Das tut weh. Die Schritte entfernen sich und damit die Wärme des Kopfes, der schönen seidenglatten Haaren, die ich so gerne mag. Ich spüre sie immer noch auf mir, habe die kleinen Knoten in meinen Borsten. Ach, ich mag sie. Meine erste Besitzerin. Manchmal, nein. Eigentlich immer tollpatschig, das Haar voller Schlamm, mal voller Knoten. Aber ich richte das Haar gerne, den sie mag mich auch, das spüre ich. Der sanfte Druck ihrer Hände an meinem Stiel, die liebevolle Art, wie sie mich benutzt. Hach, ich schweife ab.
Jetzt liege ich hier in dem kalten und leeren Raum, nicht sorgsam weggeräumt zu meinen Freunden. Die Haarbänder erzählen mir so schöne Geschichten, wo meine liebe Elisabeth unterwegs war, und zu gerne hätte ich sie jetzt gehört, aber sie waren unerreichbar für mich. Jetzt muss ich warten. Und warten. Und warten.
Ich weiß nicht, wie lange ich warte, doch die Wärme ihres Haares verflog, und eine Staubschicht legte sich auf mich. Es dauert lange, bis ich wieder in die Hand genommen werde. Die Hände waren rau und schwielig. Ich werde gemustert, von allen Seiten und wieder auf den Tisch gelegt. Nein, Nein! Nimm mich mit! Wo ist meine Elisabeth? Hallo? Du dummer Einfaltspinsel, warum gehst du wieder? Wo ist deine Tochter und warum liege ich hier schon so lange?
Ich habe schon fast aufgegeben, als ich wieder in die Hand genommen werde. Doch dann, junge Hände, ein prüfender Blick. Ja, deine Haare sind kurz, aber ich werde dir doch auch dienen können, bitte, leg mich nicht wieder zurück.
Und das tut er nicht. Der junge Mann legt mich in eine Kiste, zusammen mit vielen anderen Gegenständen, die ich noch nie gesehen habe.
Sie sehen mich böse an, manche weinen, manche schauen nur resigniert zu Boden. Was hab ich den Falsches getan?
Oh, was ist das? Ich habe nur kurz ausgeharrt, alles an mir vorbeiziehen lassen. Waren es Monate? Oder Jahre? Vielleicht schon Jahrzehnte her, dass ich das letzte Mal in die Hand genommen wurde? Ich weiß es nicht mehr.
»Mami, guck mal, die Haarbürste, die will ich haben.« Ihre Hände waren weich und klein, ihre Stimme piepsig. Jetzt nehme ich auch die Geräusche um mich herum wahr, statt Hufgeklapper sind da komische andere laute Geräusche, viel mehr Gerüche liegen in der Luft. Wie sehr hat sich die Welt nur verändert? Ich habe mich doch nur kurz ausgeruht ...
Oh, welch ein tolles Gefühl. Ich werde mitgenommen! Ich habe eine neue Besitzerin! Sie heißt Anna, ihr Haar ist nicht so fein und schön wie von meiner geliebten Elisabeth, doch ich diene ihr mit voller Hingabe. Aber das Mädchen hat wohl andere Pläne mit mir. Ich habe keinen festen Platz in ihrem Zimmer, werde einfach überall abgelegt, wo sie gerade war.
Einmal. Noch einmal. Ein gutes Gefühl. Ach, ist das toll. Links, rechts, hinten. So gefällt mir das. Ah. Da ist ein kleiner Knoten, lass mich nur ein bisschen mehr ... Hey! Das kleine Mädchen schreit auf, wirft mich zu Boden. Was hab ich den falsch gemacht? Aua. Oh nein. Jetzt habe ich eine Kerbe in meinem schönen Holz.
Komm zurück, kleines Mädchen, ich wollte das nicht. Wirklich!
Es dauert wieder einen Tag, bis ich genutzt werde. Diesmal von der Mutter, die mich durch das Haar von dem Mädchen so ruckartig bewegt, dass ich nicht hinterherkomme. Hallo? Das Mädchen schreit und zappelt, warum bist du so grob zu mir? Aua! Jetzt hast du mir eine Borste herausgerissen. Arrgh, das geht jetzt zu weit! Wo ist meine liebste Elisabeth nur hin, die so liebevoll zu mir war? Aua. Schon wieder eine Borste weniger. Doch immerhin ist die Mutter fertig. Mustert mich komisch. Hä? Warum wechseln wir den Raum? Wohin gehen wir? Wo bin ich den hier gelandet? Noch ein Kinderzimmer. Der Boden. Aua. Nicht so grob. Schon wieder eine Kerbe.
Die Tage vergehen. Ich habe mich meinem Schicksal hingeben, dass ich wieder jahrelang in der Ecke liegen werde, als ich in die Hand genommen werde. Waren das etwa?
Ja. Oh. Na dann.
Ich bürste das Haar des Spielzeugpferdes, doch es fühlt sich falsch an. Ich bin schließlich für schönes menschliches Haar gedacht und nicht für sowas. Was auch immer dieses Haar ist, es ist so kalt und irgendwie eckig. Nicht so rund und angenehm wie das Haar meiner Elisabeth.
Viele Monate werde ich so genutzt. Meine Borsten werden immer stumpfer, mein Holz noch dunkler und fleckig, weil ich immer wieder in Kisten geworfen werde und einmal sogar etwas über mir ausgelaufen war.
Wieder bin ich jahrelang in einer Kiste, das Spielzeugpferd neben mir, sieht mich so traurig an. Doch seine Zeit würde wieder kommen, aber meine? Wer will schon so eine alte Bürste, voller Kerben und mit fehlenden Borsten? Niemand. Wie ich es erwartet habe, werden das Pferd und einige andere Sachen mit der Zeit herausgeholt. Nur ich und undefinierbarer Kleinkram bleiben in der Kiste.
Und wieder rumpelt es, doch das Tageslicht sehe ich nicht wieder. Ich bewegte mich, doch ich weiß nicht wohin. Geschützt von Raum und Licht, bildet sich diesmal keine Staubschicht auf mir. Noch immer spüre ich die wenigen Haare, die mir von meiner Elisabeth geblieben sind, die Haare des kleinen Mädchens, die unangenehmen Haare des Spielzeugpferdes. Ob ich je wieder geliebt werde?
»Schau mal, eine Haarbürste. Wie alt die wohl sein mag? Die liegt bestimmt schon dreißig Jahre auf dem Dachboden. Tante Anna muss die mal gehört haben, da sind noch blonde Haare dran.«
»Die kannst du gleich wegwerfen. Die benutzt doch heutzutage kein Mensch mehr. Schau mal die Kerben und die fehlenden Borsten. Also, mein Haar wird das Ding nicht berühren.«
Wa...was? Wegwerfen? In den Müll? Der Albtraum eines jeden Gegenstandes! Nein, Nein! Das kann nicht sein, ja ich bin alt, aber ich bin doch noch brauchbar, wirklich! Bitte werft mich nicht weg!
Ich versuche, mich von meiner besten Seite zu zeigen, doch ich werde kritisch gemustert.
»Komm, wirf die weg. Wir können nicht alles von ihr aufbewahren.«
»Aber schau, eigentlich ist sie noch nutzbar. Und selbst wenn es für das Pferd ist.«
Pferd? Nein! Ich will nicht wieder für so schreckliche Haare genutzt werden! Doch es ist schön, Tageslicht zu sehen, das gebe ich zu. Die Geräusche zu hören. Wiehern. Wiehern? Wie? Pferde? Richtige, echte Pferde? Tatsächlich.
Es war weiß und das Haar voller Dreck, doch es strahlt Wärme ab und liebkoste mich. Wie ungewöhnlich. Alles war so modern, künstliches Licht überall. Kindergelache. In was für einer Zeit bin ich nur gelandet?
Ich genieße es, wieder genutzt zu werden. Die verschiedenen Hände, die mich nutzen, sind alle so sanft zu mir und dem Fell, das ich bürste. Das gefällt mir. Nur noch hier ein Strich, da ein Strich und schon glänzt das Fell wieder. Wie schön! Ja, ich verliere über die Jahre wieder Borsten, doch dem Pferd stört das nicht und die anderen Gegenstände in der Box waren alle nett zu mir und teils auch sehr alt. Ich vermisse zwar meine Elisabeth, doch hier gefällt es mir schon viel besser als in den vielen letzten Jahren.


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