»HAUS, bist du dir sicher, dass ich hier richtig bin?« Spyrow sah sich zweifelnd um. Der Gang, in den ihn das Schiffssystem geschickt hatte, war alt. Vielleicht der älteste Bereich, den er jemals auf dieser Station gesehen hatte. Im Gegensatz zu den Abteilen, in denen die Crew wohnte und arbeitete, war es hier spärlich beleuchtet. Der Boden bestand nur aus Metall, ohne jegliche Aufhübschung. Die Wände waren sogar noch aus der alten Legierung, grau und hässlich, wie sie ganz zum Ursprung der Raumstation verwendet wurde.
Er rümpfte die Nase, spuckte aus. War ja klar, dass sie ausgerechnet ihn hierher schickten. Hätte das nicht auch Abmar machen können? Der war viel besser für diesen Teil der Station vorbereitet.
Er drückte an sein Armband, das im Vergleich zu seinen restlichen Klamotten unpassend und fehl am Platz wirkte. Sofort materialisierte sich HAUS über seiner Hand. Das fahle Licht, welches von dem Hologramm ausging, wirkte an diesem Ort noch fremdlicher.
»HAUS?«
Der Kopf, so groß wie seine geballte Faust, sah ihn an. »Ja, Werkarbeiter Spyrow, wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?«
Seine Augen huschten nochmal zu der Schleuse, die sich am Ende des Ganges befand. Die Anlage selbst sah zwar gut in Schuss aus, doch der Schein trügte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese in den letzten Jahrzehnten benutzt worden war. So eine Scheiße. Und jetzt musste er dort hindurch. Ernsthaft? »Bist du dir sicher, dass ich hier richtig bin?«
Das Hologramm nickte. »Der Auftrag, den Sie erhalten haben, führt hierher. Zwanzig Meter neben der Schleuse hat sich an der Außenwand eine Abdeckung gelöst, die wieder befestigt werden muss. Diese Schleuse ist der kürzeste Weg dort hin. Ich öffne sie.«
Direkt wehte ihm abgestandener Wind entgegen, als sich die Schleuse öffnete. Die Lichter dahinter gingen an, sodass er den schmalen Vorraum überblicken konnte, der das Zwischenstück zur eigentlichen Außenluke darstellte.
Wieder rümpfte er die Nase, als er näher trat und die Raumanzüge begutachtete, die aufgereiht an einer Seite standen. Es waren noch alte, zweigeteilte Modelle. Die Jacke war mit den Handschuhen und dem Helm verankert, die Hose wiederum war mit den Schuhen verbunden.
Warum hatte er nicht daran gedacht, seinen eigenen ultraleicht Anzug mitzunehmen? Spyrow kratzte sich am Kinn. So ein Mist. Hätte er heute früh nicht ein bisschen mehr Zeit haben können? Aber nein, die Ärsche von der Führung wollten das sofort repariert haben.
Er verdrehte die Augen. Atmete einmal tief durch. Er hatte nicht das Recht, so über die Führung zu denken. Sie tat alles, damit die Raumstation funktionierte, obwohl sie seit einigen Jahren kein Kontakt mehr zur Backdraft Allianz hatten, die für die Zulieferung der Saskar-Quelle zuständig war.
Positiv denken. Positiv denken. Spyrow murmelte diese zwei Worte vor sich hin, während er den Raumanzug über seine eigenen Klamotten streifte.
Als er den Anzug an hatte, verband er das Armband mit dem internen System des Helmes. Sofort leuchtete im Innendisplay der Kopf von HAUS auf. Außerdem sah er den grün markierten Punkt durch die Wand hindurch, wo sich die gelöste Abdeckung befand. Links in der Ecke nahm er seine eigenen Vitalwerte wahr. Sein Herzschlag war leicht erhöht. Er schwitzte. Hoffentlich verstand HAUS das nicht falsch. Das lag nur an dem Anziehen des Anzuges, nicht daran, dass er das erste mal seit vier Tagen sein Bett verlassen hatte und er, als er den Auftrag bekam, fast eine Panikattacke hatte. Nein, nein. Es ging ihm gut.
»HAUS, bereite alles vor um die Außenschleuse zu öffnen.«
Im gleichen Moment befestigte er den Werkzeuggürtel an seinem Anzug, als der Druckausgleich anfing. Kurz flammte Panik in ihm auf, als er hektisch nachprüfte, ob der Anzug an seiner Hüfte richtig verschlossen war, doch da es kein Warnton gab, musste alles in Ordnung sein.
Neben dem Hologramm erschien ein Ausrufezeichen. »Ich nehme einen erhöhten Puls bei Ihnen wahr. Soll dieser Auftrag abgebrochen werden?«
Spyrow zögerte. Es war zu verlockend. Doch Abmar würde dann den Auftrag bekommen, da war er sich sicher. Abmar war ein Plappermaul. Der würde das auf der ganzen Station rumerzählen, dass er selbst so einfache Dinge nicht mehr hinbekam. Wenn das die Führung mitbekam ... Nein. Das konnte er sich nicht leisten. Die hatten ihn sowieso schon auf dem Kicker.
»Ich führe den Auftrag weiter aus.«
Ein Signal ertönte, als der Druckausgleich beendet war. Jetzt musste er da raus. Er atmete einmal tief durch und checkte nochmal alle Daten durch, die ihm auf dem Helmdisplay angezeigt wurden. Alles in Ordnung. Gut. Bei diesen alten Anzügen prüfte er lieber alles dreimal, bevor er raus in die Leere ging.
»Verbinde mich mit der Station und öffne die Außenluke.«
Ruckartig verankerte sich das intelligente Seil in seinem Anzug. Gleichzeitig öffnete sich die Luke auf der anderen Seite des Raumes. Eilig prüfte er, ob die magnetischen Schuhe funktionierten. Mit langsamen Schritten bewegte er sich auf die Luke zu, griff nach einem der vielen Haltestangen und löste mit einem Blick auf die dazugehörige Anzeige im Display die Magnete.
Die Schwerelosigkeit ergriff ihn. Wüsste er nicht, dass er mit dem Seil an die Station angebunden war und er sich jederzeit an der Außenhülle der Station durch die Magnete verankern konnte, würde wieder Panik in ihm ausbrechen, den sein letzter Außenbordeinsatz war ein Jahr her.
Spyrow hangelte sich an den Griffen entlang, bis diese nach fünf Metern aufhörten. Er verharrte kurz. Sollte er es wagen?
Er verankerte seine Schuhe mit dem Boden, dann löste er seinen Blick von der grauen Außenhülle und richtete sich auf.
Die Raumstation hob sich stark von dem Planeten ab, den sie umkreisten. Alles Drumherum war schwarz und leer, so wie er es aus dem Blick seines schmalen Fensters kannte. Doch der Planet wirkte von hier riesig, füllte fast sein ganzes Sichtfeld aus. Der STIcs Planet war der Größte in diesem Sonnensystem und der Einzige, der mit dem Saskar abbaubar war. Dass sie jetzt völlig umsonst diesen roten Planeten umkreisten, seitdem sie kein Saskar mehr geliefert bekamen, machte ihren Aufenthalt hier so ... nutzlos.
Spyrow wandte den Blick ab, widmete sich der Station zu. Unförmig, kantig und mehrere hundert Meter lang lag sie vor ihm. Er befand sich dort, wo die Station ihren Ursprung hatte, bei den ältesten Modulen. Jetzt war dieser Teil stillgelegt. Aber scheinbar noch so wichtig, dass dieser repariert werden musste.
Ein grünes Kreuz leuchtete dort auf, wo sich die gelöste Abdeckung befand. Es waren nur noch fünfzehn Meter, doch dazwischen befand sich ein Graben, dort, wo sich die Module verjüngten und an die neueren Module angeschlossen waren.
»Na dann wollen wir mal. Bringen wir den Scheiß hinter uns.«
Als er vor dem mehreren Meter breitem Graben stand, konnte er die gelöste Abdeckung jetzt auch visuell sehen. Er entfernte mit einem Blinzeln kurz das leuchtende Kreuz, damit er die Stelle besser in Augenschein nehmen konnte.
Das Metallstück war zwei mal zwei Meter groß und hing nur noch an einer Seite an der Außenhülle. Darunter war deutlich die Dichtung sichtbar, sowie eine Unmenge an Kabeln und andere Metallteile, die jetzt ungeschützt waren.
»Wie ist das den passiert? HAUS, hast du Informationen darüber?«
Der Hologramm Kopf, der die ganze Zeit klein und unauffällig in der unteren rechten Ecke gewesen war, wurde wieder größer. »Nein. Die gelöste Abdeckung wurde mittels Scan der Stationssysteme entdeckt. Ein Mikrometeorit könnte die Abdeckung gelöst haben, doch es gibt keine Einträge dazu.«
»So ein Scheiß.« Spyrow wollte sich reflexartig wieder am Kinn kratzen, doch dies ging nicht durch den Helm. Er verdrehte die Augen.
»Wohin muss ich von hier springen, um an der Stelle anzukommen?«
Sofort erschien eine berechnete Sprungkurve auf seinem Display, inklusive der Geschwindigkeit, dem Winkel und der Position der Beine, die er beim Absprung haben musste. Er ging in Stellung, zögerte aber. So ein Weltraumsprung auf der Station war nicht ungefährlich. Er könnte verrutschen, das Seil könnte sich lösen, der Anzug beim Aufprall kaputt gehen. Dabei könnte er qualvoll und langsam Sauerstoff verlieren, oder direkt seine Lebenserhaltungssysteme zerstören. Dann würde er tot an der Station baumeln und es würde dauern, bis sich jemand dazu anschicken würde, ihn hier wieder wegzuholen.
»Ihr Puls befindet sich im roten Bereich und ihre Temperatur ist angestiegen. Ich empfehle einen sofortigen Rückzug in die Station und das Abbrechen der Mission.«
»HAUS, ich schaffe das. Du bist nur ein holografisches, automatisches Unterstützungssystem. Du verstehst nicht, was für ein Rattenschwanz sich da hinterherzieht, wenn ich jetzt abbreche.«
Ohne weiter darüber nachzudenken sprang er. Die ersten zwei Meter überwand er im grünen Bereich der Sprungkurve, doch nach dem dritten Meter driftete er zur Seite. Beim vierten und letzten Meter kam er von der Kurve ab und landete einige Meter neben der berechneten Stelle.
Ein Ruck ging durch ihn, als er gegen die Außenwand knallte und sich verzweifelt irgendwo festhalten wollte. Doch hier gab es keine Griffe, nichts, was greifbar war. Durch den Aufprall segelte er langsam wieder von der Außenwand weg, rein in die Leere um ihn.
Hektisch aktivierte er die magnetischen Schuhe. Erleichtert atmete er auf, als er den Zug spürte, der ihn wieder zurück auf die Außenwand zog. Als er wieder sicher auf dem Metall stand, schloss er kurz die Augen.
Als ein Piepen in seinem Anzug erklang, riss er sie sofort wieder auf. War bei dem Aufprall etwas kaputt gegangen? Er hätte nicht einfach so springen sollen. Warum war er nur so leichtsinnig geworden? Früher hatte er viel präziser und gewissenhafter gearbeitet. Doch jetzt? Seitdem die Sakar Lieferungen ausblieben und sie nicht mehr auf STIc weiter arbeiten konnten, war seine Arbeit sinnlos geworden.
Der Anzug versicherte ihm, dass alles in Ordnung war. Lebenserhaltungssystem, Sauerstoffwerte, Kühlung – alles im Normalbereich. Doch warum hörte dieses Piepen nicht auf?
»HAUS, was bedeutet das?«
Sofort erschien neben dem Kopf wieder ein Ausrufezeichen. »Sie haben bei Ihrem Aufprall ein Teil Ihres Werkzeuges verloren. Der Anzug erkennt die Signatur der Gegenstände und teilt Ihnen dies mit.«
»Ernsthaft?« Spyrow tastete an seinen Gürtel. Tatsächlich. Der handliche Akkubohrer, der mittels Magnetstreifen an ihm befestigt war, fehlte. Genauso wie einige größere und kleinere Schraubendreher, die sich eigentlich direkt daneben befinden mussten.
Suchend sah er sich um, konnte diese aber in seinem näheren Umkreis nicht entdecken. Sie mussten weiter weg gedriftet sein, sonst hätte der Gürtel sie bereits wieder eingefangen.
Spyrow sah nach oben, weg von der Station. Sein Helmdisplay markierte die sich weiter entfernenden Werkzeuge, sodass sie sich gegen die Leere abhoben.
»Na toll«, murmelte er. »Die erreiche ich ganz sicher nicht mehr.«
HAUS schaltete sich wieder ein. »Aufgrund der fehlenden Werkzeuge kann ihr Auftrag nicht mehr ausgeführt werden. Ich habe die Führung davon in Kenntnis gesetzt.«
»Was?!« Sofort ging die Anzeige von seinem Puls wieder in den tiefroten Bereich. Ein Warnblinken erschien. Sein Anzug schlug vor, ihn mittels Seil wieder in die Station zu ziehen, doch er lehnte die Option sofort ab.
Die Führung wusste Bescheid. Jetzt würden sie ihn wieder in die Krankenstation schicken, wenn nicht sogar zu Isasc, der ihn dann mit Medikamenten vollpumpte und völlig unzurechnungsfähig machte. Nein. Nein, das wollte er nicht. Wieder vier Monate in der SLEEP-Kapsel würde er nicht durchstehen. Dann würde er lieber ...
Er befahl dem Anzug, die magnetischen Schuhe zu deaktivieren. Sofort schwebte er wieder weg von der Außenhülle, doch diesmal fehlte ihm der Schwung, um sich richtig davon zu entfernen. Mist. Das war nicht, was er sich erhofft hatte. Vielleicht, mit etwas Schwung vom Seil...
»HAUS, ich hol mir die Dinger wieder. Melde der Führung, dass es sich um ein Fehler gehandelt hat und ich diesen verdammten Auftrag ausführen werde!«
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Kurzgeschichten
Short StoryHier lade ich alles Mögliche hoch, meist sind das kleine Kurzgeschichten, die ich zwischendurch mal schreibe.