Perfektion

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Die Welt hielt den Atem an, als Daras nach vorne trat. Gut, vielleicht nicht die ganze Welt, aber alle, die vor der Bühne standen, ihre Augen vor Begeisterung weit aufgerissen, die Arme in die Höhe haltend.
Ein kollektives Aufatmen trat ein, als er sich im vorderen Bereich der Bühne positionierte und den Blick schweifen ließ.
Er sah heute gut aus. Nicht normal gut, eher fantastisch gut. Die Haare fielen ihm in Wellen über den Rücken, glänzten und schimmerten im Licht der Scheinwerfer, die auf ihn gerichtet waren. Das Gesicht war makellos. Jede Pore war gereinigt, jedes Haar wurde genau abgewägt, ob es bleiben durfte. Seine Augenbrauen waren eine Perfektion, für die Stylisten gesündigt hätten.
Seine Kleidung war schlicht, aber so elegant, dass nach dem Auftritt die Hälfte der Zuschauer es nachkaufen würden. Die andere Hälfte würde bitterlich feststellen, dass sie kein Geld dafür hatten.
Die makellosen Finger, ohne jegliche Hornhaut oder anderen Narben, griffen nach dem Mikrofon. Seine langen natürlichen Wimpern klimperten, während er kurz zur Seite schaute, zum Tontechniker, der ihm einen Daumen hoch zeigte.
Die erste Reihe schmachtete, einer Dame lief sogar etwas Sabber aus dem Mund, als sie eins der vielen Fotos machte, die sie sich heute Abend noch ausdrucken würde, damit sie mit seinem Gesicht vor Augen einschlafen konnte.
Die hinteren Reihen wiederum versuchten einen Blick auf Daras zu erhaschen, denn hunderte von Handys und Kameras wurden in die Höhe gehalten, um den Moment nicht zu verpassen, in dem Daras das erste Mal seinen wohlgeformten Mund öffnete.
Große Bildschirme zeigten ihn in Nahaufnahme, sodass jeder ihn sehen konnte, wie er sein typisches kleines Lächeln zeigte, als er wieder in die Menge schaute. Um dieses schüchterne, bewusst provokative Lächeln rissen sich die Medien. Jeder wollte ihn auf seinen Covern haben, doch sein Management nahm nur die Verträge an, mit denen sich Daras identifizieren konnte.
So gingen diverse große Marken leer aus, doch seine Fans feierten ihn dafür, für seine Bescheidenheit, seine Bodenständigkeit. Dass er trotzdem Millionen verdiente, wussten sie nicht.
Aber es interessierte sie auch nicht. Hauptsache er war immer präsent, sodass sie ihn anhimmeln konnten. Sei es in den sozialen Medien, seine Stimme im Radio, seine Bilder in den Schaufenstern und Werbetafeln, auf Buchcovern oder in Zeitschriften. Es war egal. Die Menschen wollten ihn sehen und er machte ihnen diesen Gefallen.
Jetzt stand er hier, auf der großen Bühne, räusperte sich kurz, doch statt etwas zu sagen, lächelte er nur. Die Welt hielt wieder den Atem an, starrte zu ihm hoch. Sie versuchten anhand seiner Haltung, dem abgespreiztem Finger oder seinen Augen zu erraten, mit welchem Lied er anfangen würde, damit sie sofort mitsingen konnten.
Aber er spannte sie mit Absicht auf die Folter, war sich dadurch sicher, dass wirklich jeder an seinen Lippen hing. Wieder musste er lächeln. Sofort hörte er die vielen Klickgeräusche der Kameras, wie sie sein Lächeln versuchten einzufangen, um es an die nächsten Klatschzeitungen zu verkaufen.
Er war sich seiner Wirkung bewusst. Er ließ das Mikrofon los, machte eine so beiläufige Geste mit seiner linken Hand, wie sie nur sein konnte, überließ den Fans, die Wahl des ersten Songs, ohne dass er auch nur ein Wort gesprochen hatte.
Sofort fing die Masse an, wahllos die beliebtesten Lieder zu singen, bis sich ein lauter Chor über die Konzerthalle legte, der jeden engagierten Stimmungsmacher blass gemacht hätte.
Es dauerte nur wenige Sekunden, da hatte sich die Menge auf ein Lied geeinigt. Sie sang es so laut, dass es auch in großer Entfernung hörbar war und mit so einer Inbrunst und Leidenschaft, dass sich jeder wünschen würde dabei gewesen zu sein, wenn sie die Aufnahmen hörten.
Aber der heutige Abend war bereits nach zwanzig Minuten ausverkauft gewesen, denn tausende Menschen wollten Daras Stimme wenigstens einmal in ihrem Leben live gehört haben.
Doch noch machte er ihnen diesen Gefallen nicht, schmunzelte, als die Menge bereits beim Refrain angekommen war. Sie sangen weiter und nirgends konnte er Unsicherheit oder Misstrauen entdecken, weil er selbst nicht sang, sondern es seinen Zuschauern überließ.
Mehrere weibliche Fans, die einen Platz in der ersten Reihe ergattert hatten, warfen Rosen auf die Bühne, obwohl das Konzert noch nicht mal angefangen hatte. Als die Menge bei der zweiten Strophe angekommen war, warf er in einer fließenden Bewegung seinen langen Mantel nach hinten. Er kniete sich so elegant hin, wie es sich jeder bei einem Antrag gewünscht hätte und nahm, filigran und doch mit einer so flüchtigen Bewegung eine der Rosen in die Hand. Sodass die Frau, deren Rose es gewesen war, in Ohnmacht fiel.
Das hinderte die Umstehenden aber nicht, das Lied zu Ende zu singen. Fast vier Minuten, ein einstimmiger Chor, der ohne schwächer geworden zu sein, gesungen hatte. Selbst die Barkeeper, die an der Garderobe und die Security hatten leise mitgesungen, hatten sie sich doch regelrecht darum gestritten, heute hier arbeiten zu dürfen.
Als es wieder ruhig wurde, dass sogar die, die krank waren, sich das Husten verkniffen, stand Daras wieder auf, die Rose in der Hand. Er führte sie zu seiner geschwungenen Nase, roch daran. Wieder huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Dann steckte er sich die Rose in seine Brusttasche des einfachen schwarzen Hemdes, sodass das Rot deutlich aus seiner sonst dunklen Garderobe herausstach.
Jedem, der heute anwesend gewesen war, war sich bewusst, dass dies ab morgen ein Trend auf der ganzen Welt sein würde. Blumenladen gestürmt wurden und Rosen zu einem der schwer gehandelten Waren wurden, die es gab.
Doch jetzt in diesem Moment hielten sie erneut den Atem an. Daras griff wieder zum Mikrofon, zögerte aber noch. Auffordernd sah er durch die Menge, die sofort begriff und rhythmisch zu klatschen anfing. Erst langsam, dann immer schneller, so laut, dass er es deutlich durch seine In-Ear-Kopfhörer hörte, die durchsichtig und dezent waren, halb überdeckt von seinem Haar, damit sie auf Fotos nicht sichtbar waren.
Es dauerte wieder ein paar Minuten, bis sich das Klatschen so sehr gelegt hatte, dass es nicht mehr in jedes Zuschauers Ohren hallte und es eine angenehme Lautstärke hatte, bei der man sich hätte noch unterhalten können, wenn man es denn wollte.
Aber niemand sprach auch nur ein unnötiges Wort, in der Angst, dadurch den Moment zu verpassen, in dem Daras sein erstes Wort sprach.
Die Medien behaupteten, dass es niemanden sonst auf der Welt gab, der seine Menge so sehr unter Kontrolle hatte, wie Daras. Wahrscheinlich stimmte es, aber er selbst würde das abstreiten. Eine Sache, die ihn wieder so sympathisch machte, dass er beim Schwiegersohn potenzial weltweit auf Platz eins stand.
Doch es war nicht ganz gelogen. Obwohl Daras bereits seit zehn Minuten auf der Bühne stand und bisher nichts weiter gemacht hatte, als eine Rose aufzuheben und sie in seine Brusttasche zu stecken, gab es nicht eine Person in diesem Raum, die diese Zeit als verschwendet ansah. Und als er dann lächelnd mit seinem Mund näher ans Mikrofon kam und das erste Wort sang, hielt die Welt wieder den Atem an.


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