That's all I got

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Die Schreie werden lauter. Sie halten mich wach, schon die dritte Nacht in Folge. Es sind mehrere von ihnen, vielleicht zwanzig, mindestens fünfzehn.Die letzten Tage bin ich ihren Spuren gefolgt. Die Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegen, deutet auf eine Meute Runner hin. Die Zehen sind flach in den Morast gedrückt. Die Hälfte ist barfuß. Einige von ihnen sind langsamer unterwegs. Die Schritte sind dicht nebeneinander und unsauber abgegrenzt. Wenn ich gut vorankomme, kann ich sie in zwei Tagen erreichen.

Ich drehe mich in meinem Schlafsack auf den Rücken und starre an das Zeltdach über mir. Das sanfte Puck Puck Puck verrät mir, dass es angefangen hat zu schneien. Was zu befürchten war. Die stahlgrauen Quellwolken gestern Abend haben es bereits angekündigt. Ich habe gehofft, dass ich noch mehr Strecke machen könnte, bevor der erste Schnee fällt. Meine Vorräte gehen zur Neige. Es wird schwer sein, Wurzeln und Pilze unter einer vereisten Schneedecke zu finden. Ganz zu schweigen von potentieller Beute aus Fleisch und Blut. Falls ich etwas schieße, ein Schneehuhn oder einen Ziesel, dann verdirbt das Fleisch zumindest nicht so schnell. Ein vergifteter Magen kann einen Tage zurückwerfen. Wie auf Zuruf krampft sich mein Bauch zusammen und stößt ein tiefes Grummeln aus.

Im Kopf gehe ich meinen kargen Proviant durch: Eine halbe Tüte Maiscracker, zwei Energieriegel, zwei kleine Birnen, eine Dose eingelegter Fisch, ein Tütchen Salz, eine Handvoll getrockneter Teeblätter. Über meinen Wasservorrat mache ich mir keine Gedanken. Die Winter in den Bergen sind lang. Winter bedeutet Schnee. Schnee bedeutet Wasser. Aber wenn ich nicht bald etwas Essbares auftreibe, gerate ich in ernste Schwierigkeiten. Der Wollpullover hängt mir klamm wie ein Sack vom Körper während ich mich langsam aufrichte und meine steifen Glieder strecke. Mein Atem verwandelt sich in kleine Wölkchen, sobald ich ausatme, und verfängt sich in kleinen Eiskristallen in meiner Nase. Ich sollte mich auf den Weg machen und das Lager auflösen, solange ich ihren Schreien noch folgen kann, denke ich mir und stemme mich nach oben.

Augenblicklich lässt mich ein einschießender Schmerz entlang meiner Flanken zusammenzucken. Ich stoße ein ersticktes Keuchen aus und presse mir die Hände an meine pochenden Nieren. Ich brauche ein paar Sekunden, um mich an den brennenden Schmerz in meinem Unterleib zu gewöhnen, und krieche auf allen Vieren aus dem Zelt. 

Die Kälte verschlägt mir den Atem. Der Wind brennt in meinen Lungen und zerquetscht mir mit eisiger Faust die Brust. Rücklings greife ich ins Zelt und ziehe den Schal aus dem Rucksack, den ich in Dinas alten Sachen gefunden habe. Als ich mir den fransigen Stoff um Hals und Gesicht wickle, bin ich erleichtert, dass er nur noch nach mir, nicht mehr nach ihr undJJ riecht. Doch allein der Gedanke daran versetzt mir einen Stich. Ich kann nicht sagen, ob es Wut ist oder Angst. Ich weiß nur, dass sie fort sind. Für immer.

Ich stecke mir den Revolver in den Gürtel und setze vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Schnee ist noch nicht allzu tief, doch die schwarzen Wolkentürme über dem Gipfel vor mir machen mir Sorgen. Hinter einem Haselnussstrauch gehe ich in die Hocke und krümme mich leise winselnd zusammen. Das bisschen Urin, das ich ausscheide, ist dunkelgelb und riecht beißend. Mit steifen Fingern zerre ich mir die Hose zurück über den Hintern und ziehe den Gürtel fester. Der abgewetzte Stoff schlackert um meine Beine und rutscht mir bei jedem Schritt über die Hüften nach unten. Ich werde wohl ein weiteres Loch in den Gürtel schneiden müssen.

Fröstelnd raffe ich die Regenjacken, die ich übereinander trage, und schlinge mir zusätzlich den Schal um die Taille, um meine schmerzenden Nieren zu wärmen. Bei meinem letzten Streifzug habe ich einen Verbandskasten in einem ausgeschlachteten Autowrack entdeckt. Vielleicht finde ich darin ein paar Schmerzmittel oder sogar Antibiotika. Mit schmatzenden Schritten kehre ich zum Zelt zurück und wickle mir meinen Schlafsack um die Beine. Mit einem Seufzen stelle ich fest, dass sich die Sohle eines Stiefels gelöst hat und mein Socken vom Schnee durchnässt ist. Das Feuer vor dem Zelt ist beinah erloschen, es wird ewig dauern, den Stoff soweit zu trocknen, dass ich mir keine offenen Blasen laufe. 

That's all I gotWo Geschichten leben. Entdecke jetzt