06 | Abfuhr

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SEIT DEM TAG an dem ich mit Omar Basketball gespielt habe und Haushoch verloren habe, fühle ich mich anders. Ich kann nur nicht ganz benennen, was genau es ist. Zur selben Zeit nutze ich meinen freien Tag und treibe mich auf dem größten Shoppingzentrum in der Stadt herum.

Dass ich auf drei Typen stoße, die genau wie Kai, Omar und Leo aussehen, habe ich nicht gerechnet.

»Ihr schon wieder«, bringe ich unberührt hervor, als die Jungs und ich voreinander stehen bleiben und einander betrachten. Es ist mindestens eine Woche her, seit dem wir uns das letzte Mal getroffen haben.

»Ziemlich begeistert, uns zu sehen«, merkt Omar grinsend an. Tatsächlich schaffe ich diesmal nicht, mir nicht ein Lächeln aufzuzwingen und starre ihn nur ausdruckslos an.

»Wow, Omar. Was hast du jetzt wieder angestellt, dass Ilena so angepisst aussieht?«, versucht Kai zu flüstern, obwohl ich ihn selbst bei der lauten Menschenmenge und Ladenmusik deutlich hören kann.

»Hätte ich gewusst, dass eine Niederlage beim Basketball dich so wütend macht, hätte ich dich nie herausgefordert«, gibt Omar mit unschuldig von sich und hebt verteidigend die Arme. Aberr der Ton in seiner Stimme ist fast schon provozierend, weshalb ich ihn leicht gegen die Brust boxe. »Ich kenne nicht einmal richtig die Spielregeln und du fandest es fair mich an dem Tag so fertig zu machen?!«

Mit einem Mal fangen alle anzulachen und selbst ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Vielleicht habe ich das an dem Tag ein wenig verdient, aber Omar ist auch nicht ganz unschuldig.

»Als Entschuldigung, müsst ihr alle drei mir ein paar Drinks ausgeben.«

Totenstille.

Unangenehm berührte Blicke werden ausgetauscht und ich werde skeptisch. So habe ich die Jungs noch nie erlebt.

»Gibt es irgendein Problem?«, will ich wissen.

»Also ... äh«, fängt Kai an und hält sich dann kurz, "Wir sind schon verabredet."

»Alle drei?«Diese Antwort macht mich stutzig, denn es lässt so wirken, als wäre ich nicht erwünscht. »Ist das irgendwie ein »Nur-Jungs«-Treffen?«

»Nein. Ähm ... das ist es nicht«, antwortet er mir wieder.

Diese Ablehnung zerrt mich beinahe in die tiefsten Abgründe zurück. Dabei bin ich doch erst kürzlich aus meinem Loch herausgekrochen.

Da habe ich mich endlich wieder beisammen, nur um die nächste Abfuhr zu erfahren.

Einfach nur peinlich.

Gerade ich als ich zum Gehen ansetzen will, um der Situation zu entkommen, stellt sich jemand zu mir. Ich drehe mich zur Person und recke meinen Hals beim Hochschauen. 

Es ist eine sie

Und sie ist echt groß.

Großäugig starre ich die Unbekannte an, die unglaublich hübsch aussieht. So hübsch, dass sie mir sogar eigentlich ziemlich bekannt vorkommt.

Dann trifft es mich.

»Du bist-«, stoße ich atemlos bei der Erkenntnis hervor, während Kai meinen Satz beendet: »Meine Schwester.«

Das Mädchen von dem Abend, als ich bei ihm zu Besuch war.

»Deine Schwester?«, wiederhole ich perplex. Aber sie sehen sich überhaupt nicht ähnlich. Die beiden sehen eher aus, wie das Gegenteil voneinander.

»Kennt ihr euch etwa?«, wirft Leo skeptisch ein. Kais Schwester beäugt mich daraufhin kritisch und zum ersten Mal höre ich sie sprechen. »Nicht dass ich wüsste.«

Ihre Stimme klingt tief aber melodisch, was das geheimnisvoll in ihrer Aura nur bestärkt.

Mittlerweile völlig überwältigt von ihrer alleinigen Anwesenheit, starre ich sie einfach nur an, während ich mich innerlich eigentlich dafür schlagen will, dass ich mich fast verraten habe.

Doch meine Gedanken gewähren nicht lange, denn ich werde aus dem Nichts am Arm weggezerrt. Kai hat mich panisch zur Seite genommen. So weit aus der Reichweite der anderen, dass sie uns nicht mehr hören können.

»Was ist los?«, möchte ich beunruhigt erfahren. »Ist sie ein heimlicher Superstar, von dem ich nichts wissen darf?«

»Nein, das ist es nicht. Sie ist aber der Grund, warum wir eigentlich nicht wollten, dass du mitkommst.«

Seine Worte treffen mich hart und ich verstumme, um mehr zu erfahren. Doch Kai spricht nicht weiter. Also muss ich nachhaken.

»Sie ist also wirklich deine Schwester?«, frage ich verunsichert und schaue noch einmal zu der Fremden herüber. Den anderen scheint es überhaupt nichts auszumachen, dass wir einfach weggegangen sind. Tatsächlich scheinen Leo und die Fremde sogar in eine Diskussion ausgeartet zu sein.

Ungläubig schüttele ich den Kopf. »Tut mir leid, Kai. Wie soll ich dir das glauben? Sie sieht ganz anders aus als du. Schwarze Haare. Grüne Augen. Brauner Teint. Das einzige, was ihr gemeinsam habt, ist eure Größe, aber das scheint mir ziemlich weit hergeholt. Wenn ihr also irgendwie ein Date mit ihr habt und nicht wollt, dass ich mit soll, dann sag es doch einfach.«

»Date?! Nein. Auf keinem Fall!«, würgt er ziemlich angewidert. Seine Reaktion lässt mich zurückschrecken.

Na ja, bei der Reaktion ist es vielleicht doch seine Schwester.

»Wie erkläre ich es am besten?«, fährt Kai eindringlich fort. »Meine Schwester, sie ... sie ist ziemlich exzentrisch, okay?« Er schaut schnell zu ihr herüber, als habe er Angst, dass sie ihn gehört hat. »Nicht jeder kommt mit ihr klar und sie kommt nicht mit jedem klar. Und mit jedem meine ich eigentlich keiner. Verstehst du?«

»Nein, nicht wirklich.«

»Wenn sie erst getrunken hat, ist sie unausste- ich meine, ungehalten. Wir wollten dich nur nicht abschrecken. Das ist alles.«

»Habt ihr aber schon«, merke ich trotzig an und drehe mich kurz zu ihr um. Diesmal bemerkt sie meinen Blick und erwidert ihn, während ich mich wieder schnell Kai zu wende. »Wie schlimm kann sie schon wirklich sein?«

Kai seufzt laut und nicht lange darauf, kommt die Person von der wir gerade gesprochen haben auf uns zu. 

Sie hat uns doch nicht gehört oder? Aber wieso macht mir das überhaupt was aus ... immerhin ist das Ganze Kais Problem. Nicht meins.

»Ilena, richtig?«, will sie plötzlich grob von mir wissen. Ich schlucke heftig und nicke stumm.

»Und du bist...?«

»Amna«, stellt sie sich endlich vor. »Die Jungs und ich haben uns auf ein paar Drinks verabredet. Warum kommst du nicht mit?«

Mit einer Einladung von ihr habe ich nicht gerechnet. Ich schaue zu Kai, der hinter ihr stehen und wortlos mit dem Kopf schüttelt. 

Er möchte also das ich ablehne, hm?

Mutig zaubere ich ein Lächeln auf meine Lippen. »Klar, warum nicht?«

Silent YouthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt