Colbyns POV
„Kinder sind die Zukunft. Kinder sind unsere Hoffnung."
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau Lilah diese Sätze gesagt hat, aber jetzt gerade werden ihre Worte wie ein Tsunami an die Oberfläche meines Bewusstseins gespült.
Wie viele Nächte lagen wir schon wach und haben darüber philosophiert, wann es den Kindern gelingen wird, die Züchtung von Projekten zu stoppen und die Teilung der Gesellschaft abzuschaffen? Wenn jemand die Regierung stürzen und etwas verändern kann, dann sind es die Kinder. Kinder von Schöpfern.
Vielleicht klingt es komisch, aber das Mädchen mit den blonden Locken und den stechendgrünen Augen ist das erste Kind, das ich je gesehen habe. Ein echtes Kind aus Fleisch und Blut. Kein Produkt von Fantasie.
Je länger ich auf den Bildschirm schaue, umso kräftiger schlägt mein Herz.
Ob das Mädchen in Traumania ist, weil sie für Veränderungen sorgen möchte? Ich weiß, dass ich mich nicht an diesem winzigen Hoffnungsschimmer festkrallen sollte, aber ich tue es trotzdem.
Ich möchte kein Projekt mehr sein! Und wenn es wirklich jemanden gibt, der mir dabei helfen kann, dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit mein Wunsch zur Realität wird.
Kaum ist dieser Gedankengang verebbt, erfüllt eine monotone Computerstimme das Kontrollzentrum. „Calyx Western verlangt nach ihrem Traumreiseleiter."
Das bin dann wohl ich. Nicht Calyx Western, sondern der Traumreiseleiter.
Normalerweise spüre ich Ablehnung oder Wut, wenn ich in der Traumwelt auf Schöpfer treffe, doch jetzt gerade keimt ein Funken Hoffnung in meinem Inneren auf. Er ist zwar klein, aber zumindest vorhanden.
Das Mädchen, Calyx, wird nicht grundlos hier sein, oder? Ich bin fest davon überzeugt, dass sie etwas an dem System ändern möchte.
Ein nervöser Atemzug verlässt meine Lippen, bevor ich mich von meinem Schreibtischstuhl erhebe und die wenigen Meter überbrücke, die zwischen mir und der Tür des Kontrollzentrums liegen.
Ich weiß nicht, was für eine Technik dahintersteckt, doch die Tür öffnet sich nur dann, wenn ein Schöpfer nach meiner Anwesenheit verlangt. Ansonsten bleibt sie verschlossen und ein Ausweg ist unmöglich.
Begleitet von meinem rasenden Herzen halte ich meinen Barcode vor den Scanner und warte, bis sich die Tür öffnet. Es dauert ein paar Sekunden, doch dann springt sie auf und ich kann mein Kontrollzentrum zum ersten Mal an diesem Tag verlassen.
Für ein Kind.
Kaum habe ich einen Fuß über die Schwelle gesetzt, werde ich von gleißend hellen Sonnenstrahlen in Empfang genommen. Vor mir erstreckt sich eine bunte Blumenwiese und gelbe Zitronenfalter flattern durch die Luft.
Etwa fünf Meter entfernt von mir steht Calyx Western. Obwohl sie noch sehr jung aussieht, strahlt sie eine enorme Präsenz und Selbstsicherheit aus. Als wüsste sie ganz genau, was sie hier zu suchen hat.
Da meine Nervosität immer mehr an Größe gewinnt, atme ich ein letztes Mal tief durch, ehe ich mich in Bewegung setze und auf Calyx zulaufe. Sobald ich sie erreicht habe, strecke ich ihr meine Hand entgegen und säusele bemüht freundlich: „Herzlich Willkommen in Traumania! Ich bin Colbyn. Dein Traumreiseleiter."
Anders als erhofft verzieht Calyx ihr Gesicht zu einer Grimasse. Statt meine Hand zu schütteln, macht sie einen Schritt zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Du meinst wohl P813-C, nicht wahr?" Ihre Stimme klingt emotionslos und distanziert. Nicht wie die von einem Kind.
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Dreamcatcher - Through a Dream
Science FictionColbyn arbeitet als Traumreiseleiter. Obwohl er seinem Job nicht sonderlich viel abgewinnen kann, führt er täglich die reiche Bevölkerungsschicht durch ihre eigenen Traumwelten. Als wäre es nicht schon schlimm genug, der Gier und dem Geiz der Mensch...