Kapitel 4

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Riley

»Schön, dass es so schnell geklappt hat«, grüßt mich Ethan, während ich den großen Besprechungsraum betrete.

Auf dem Tisch liegt bereits der Vertrag.

»Hallo, Ethan«, erwidere ich und bleibe vor ihm stehen. Es ist, als würde ein riesiger Elefant im Raum stehen. Vielleicht sollte ich ihn noch mal auf das ansprechen, was er mir gestern offenbart hat. Ja, vielleicht sollte ich es sogar hinterfragen und mir auch den Grund anhören, warum er nicht trotzdem versucht hat, mit mir in Kontakt zu treten, wenn er doch all die Zeit wusste, dass ich nicht sein leibliches Kind bin. Eine Geburtstagskarte im Jahr ist schließlich nicht genug, dafür dass er mich sechs Jahre lang wie sein eigenes Kind behandelt hat, mir offenbar sogar ein Haus am See überschrieben hat, als ich geboren wurde. Aber dann wird mir klar, dass Vergangenes vergangen bleibt. Wir können die Dinge, die geschehen sind, sowieso nicht mehr ändern und letzten Endes möchte ich den wahren Grund vielleicht auch gar nicht wissen. Vermutlich wäre ich sogar enttäuscht oder verletzt, weil er mir sagen würde, dass er eigentlich froh war, dass meine Mutter sich von ihm getrennt hat. Und für eine weitere Enttäuschung bin ich heute einfach nicht stark genug.

Außerdem bin ich aus einem ganz anderen Grund hier, also komme ich gleich zum Punkt. »Ich kann die Rücknahme der Schenkung nicht unterschreiben.«

Er hebt verwundert beide Augenbrauen. »Was? Warum nicht?«

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und lasse ihn den Plan wissen, den ich mir vor wenigen Minuten habe einfallen lassen. »Ich brauche eine neue Bleibe, zumindest kurzfristig. Ich möchte in das Haus ziehen, das im Moment ohnehin mir gehört.«

»Du möchtest in das Haus am See ziehen? Allein?«

Ich räuspere mich kurz, weil er gerade so klingt, als wäre meine Entscheidung waghalsig. »Ja. Allein. Ist das ein Problem?«

Darauf gibt er mir keine Antwort. »Wenn du so dringend ein Zuhause suchst, finde ich eine andere Wohnung für dich.«

»Eine hochwertige Luxuswohnung oder Villa, die du über deine Firma normalerweise vermietest oder verkaufst? Die kann ich mir nicht leisten.« Ich hatte mich auf seiner Firmenhomepage umgesehen und tatsächlich, seine Angebote richten sich nur an die Schönen und Reichen dieser Stadt.

»Das Haus ist mehr als eine halbe Stunde von Boston entfernt.«

»Das ist kein Problem für mich.«

»Warum hast du es so eilig eine neue Bleibe zu finden?«

»Das spielt keine Rolle.« Die Wahrheit wird er auf keinen Fall erfahren, denn ich habe selbst noch nicht begriffen, dass mich Colton betrogen und praktisch rausgeworfen hat. »Ich möchte in das Haus ziehen. Das gibt mir Zeit, etwas Neues zu finden und sobald ich eine geeignete Wohnung hier in Boston habe, unterschreibe ich die Papiere und du kannst das Haus verkaufen.«

»Der Kunde ist aber sehr interessiert, Riley. Ich kann ihn nicht länger hinhalten. Tut mir leid. Dann lasse ich dich lieber in eines meiner anderen Objekte einziehen und komme für die Kosten auf.«

»Auf keinen Fall«, entgegne ich sofort.

Er runzelt die Stirn.

Dann atme ich kurz durch, um mich besser konzentrieren zu können. »Das ist sehr nett von dir, Ethan. Aber ich verdiene mein eigenes Geld und ich möchte wirklich nicht ... Nein, ich möchte nicht, dass du das tust. Das Haus am See gehört noch mir. Kannst du den Kunden nicht noch etwas vertrösten? Bitte.«

Irgendetwas geschieht in seinem Blick und für einen Moment ist es wirklich so, als würde ein Vater seine Tochter ansehen. Als wäre es ihm wichtig, dass es mir gut geht. Ein Brennen macht sich auf meiner Brust breit, weil mir auf einmal bewusst wird, wie sehr ich einen weiteren Elternteil in meiner Kindheit und vor allem Jugend gebraucht hätte. Jemand, der nicht meine Mutter ist.

»Ist es wirklich das, was du möchtest?«, fragt er.

»Ja.« Nach einer längeren Pause fahre ich fort. »Ich glaube, ich erinnere mich sogar noch vage an das Haus. Warst du nicht mit mir dort, als ich noch klein war?«

»Ja, ich habe dich und deine Mutter einmal mitgenommen. Du warst aber höchstens sechs Jahre alt. Wenig später haben wir uns getrennt. Du erinnerst dich noch daran?«

»Ich glaube schon«, gestehe ich, auch wenn die Erinnerungen überwiegend verblasst sind.

Ethan sieht auf die Verträge und dann wieder zu mir. »Gut. Ich werde den Interessenten wohl noch eine Weile vertrösten können, aber danach brauche ich deine Unterschrift.«

Euphorie durchströmt meinen Körper und ich würde am liebsten in die Hände klatschen. »Perfekt!«, stoße ich erfreut aus. »Danke.«

Er lächelt schräg. »Das Haus gehört noch dir. Es ist dein gutes Recht, dort zu leben.« Er läuft zur Tür des Besprechungszimmers. »Ich habe die Schlüssel in meinem Büro. Möchtest du heute Abend schon einmal vorbeifahren, um es dir anzusehen?«

Vorbeifahren? Ich werde gleich heute Abend einziehen. Doch ich antworte nur: »Klar.«

Dann bleibt er abrupt stehen und sieht mich an. »Das Haus steht seit einigen Jahren leer und selbst ich war schon seit ein paar Monaten nicht mehr dort, aber soweit ich weiß, lebt Bennett im Augenblick noch dort.«

Ich horche auf. »Bennett?«

»Er hat sich all die Jahre immer um das Haus gekümmert und ich habe ihm angeboten, auch weiterhin dort zu bleiben, solange es noch nicht verkauft ist. Erinnerst du dich an ihn?«

Ich schüttle den Kopf.

»Na ja, er hat sich sowieso nur selten gezeigt und ... Du wirst ihm auch diesmal bestimmt nicht über den Weg laufen.« Ethan hält mir die Tür auf, damit ich ihm in sein Büro folgen kann. »Vielleicht sollte ich ihm aber trotzdem Bescheid geben, dass du kommst. Aber du kannst dich jederzeit bei mir melden, wenn irgendetwas sein sollte, ja?« Wieder ist da dieser besorgte Unterton in seiner Stimme. Woran liegt das nur?

Als er mir den Hausschlüssel zuwirft, zuckt ein kurzer Schauer über meine Haut.

»Die Straßen dorthin wurden schon lange nicht mehr erneuert, also sei vorsichtig. Du hast hoffentlich ein Auto?«

»Ja, das habe ich«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. Ich habe es mir zwar mit Colton geteilt, aber da es schon immer meins war, ist es jetzt das Einzige, was mir tatsächlich geblieben ist.

»Gut. Hier ist die Adresse«, sagt er und reicht mir einen Zettel.

Ich nicke dankend und kann es kaum erwarten, heute nach der Arbeit dorthin zu fahren. Zum ersten Mal seit gestern Abend sehe ich einen kleinen Lichtblick am Horizont und mein Gefühl sagt mir, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.


LOVE HER DEEPLY - Geheime SehnsuchtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt