Erwachsen sein / Kind sein

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⚠️Trigger-Warnung: Andeutung von Depressionen⚠️
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Manchmal frage ich mich, ob ich zu alt für all dies hier bin.
– Kinderserien schauen, Disneyfilme gucken, Fanfictions schreiben und mich über kleine, simple Dinge freuen.

Auf der einen Seite sagt man mir: "Werd erwachsen."
Und auf der anderen: "Verlier nie das Kind in dir."
– Was denn nun?

Als Kind wollte ich stark sein. Unabhängig sein. Klug und schön, standhaft und vernünftig.
Ich wollte Verantwortung tragen können, respektiert werden und mein Leben auf die Reihe kriegen.
Ich wollte Mann, Haus, Kinder, Job.
Ich wollte reisen und mein Leben lieben.

Aber niemand hat mir gesagt wie schwierig das ist.
Niemand hat mir gesagt, dass mich die einfachsten Dinge überfordern.

Als Kind sagte man mir: "Wenn du groß bist, hast du keine Angst mehr."
Eine größere Lüge habe ich nie gehört.

Ich habe Angst vor allem.

Ich habe Angst vor dem Tod.
Angst vor Gewalt.
Vor Männern.
Vorm Rausgehen. Reden. Alleinsein. Versagen.
Vor Gefühlen und Ablehnung.

Ich will nicht erwachsen sein.

Plötzlich muss ich so viele Entscheidungen treffen und keiner unterstützt mich. Diese große, moderne Welt bietet so viele Möglichkeiten und ich weiß nicht wo mir der Kopf steht.

Ich will emanzipiert sein, Karriere machen, unabhängig sein, aber ich bin es so verdammt leid, Entscheidungen zu treffen.
Ich muss immer über alles die Kontrolle haben, aber mein Leben fühlt sich wie ein einziger Kontrollverlust an.

Erwachsen sein ist scheiße.
Die Leute erwarten etwas von dir.
Wollen hören, wie du dich gemacht hast. Wollen einen Unterschied zu deinem kindlichen Ich sehen.

Warum aber?
Ich war als Kind glücklicher, freier, lebendiger.

Erwachsen sein fühlt sich an, als würde ich mit jedem Tag mehr und mehr sterben. Als würde mir alle Energie aus dem Körper gezogen werden.

Es ist schon lustig. Ich kann mich an meine Kindheit größtenteils nicht erinnern, weil Trauma alles überschattet. Aber ich habe das Gefühl, dass ich als Kind glücklicher war.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich all diese Dinge tue.
Kinderserien schauen, Disneyfilme ansehen, Fanfictions schreiben und mich über kleine, simple Dinge freuen.
– Weil es mich an eine Zeit erinnert, in der ich glaube, glücklicher gewesen zu sein.

Als Kind habe ich draußen gespielt.
Als Erwachsene bin ich größtenteils drinnen.

Als Kind hatte ich keine Freunde, aber ich war nicht einsam.
Als Erwachsene habe ich viele Freunde, aber habe mich nie einsamer gefühlt.

Als Kind hatte ich keine Sorgen.
Als Erwachsene mache ich mir Sorgen über alles. Meine Zukunft, meine Familie, Geld, den Job, meine Reputation, Likes, Kommentare, mein Aussehen.

Als Kind hatte ich noch viel Familie, aber ich fand Familie doof, fand sie anstrengend und kontrollierend.
Als Erwachsene habe ich kaum noch Familie und ich wünschte, ich hätte es früher mehr zu schätzen gewusst.

Als Kind war ich neugierig und offen für die Welt.
Als Erwachsene habe ich Angst vor allem, was neu und unbekannt ist.

Was sagt das also alles über mich aus?
Ich habe keine Ahnung.
Vielleicht, dass ich kaputt bin.

Ich vermisse es ein Kind zu sein.
Ich vermisse es mit Kreide zu malen, mich schmutzig zu machen und auf den Spielplatz zu gehen.
Ich vermisse es meiner Fantasie freien Lauf zu lassen, an Magie zu glauben und mir vorzustellen, dass ich irgendwann eine Fee oder eine Prinzessin sein könnte.

Jetzt achte ich auf mein Aussehen, hasse meinen Körper mit jeder Faser und hoffe nur, dass ich den nächsten Tag irgendwie überstehe.

Ich stehe auf und frühstücke.
Dann gehe ich arbeiten und esse zu Abend. Ich schaue mir einen Film oder Youtube an und gehe dann ins Bett.
Jeden verdammten Tag.

Ich will in meine Kindheit zurück.
Ich will morgens aufstehen, viel zu spät, und ich will, dass Mama mir ein Brot schmiert. Papa soll mich zur Schule bringen und ich will mit meinen Freunden darüber streiten, wer von uns Bloom und wer Flora ist.
Ich will fangen und verstecken spielen, ich will rausgehen und die Sonne genießen.
Ich will nach Hause kommen und nach meinem Tag gefragt werden. Dann will ich mit Freunden rausgehen und das Gras unter meinen Füßen spüren. Ich will mich in Diesteln setzen, Äpfel pflücken und schaukeln gehen. Ich will eine Schnitzeljagd machen und saure Beeren essen. Ich will einen Stock als Gehstock benutzen und über Steine stolpern.
Und dann will ich nach Hause kommen, von Mama in die Dusche gesteckt werden und weinen, weil ich Shampoo in die Augen bekomme.
Ich will, dass Papa mir Abendessen macht und dann mit Mama fernsehen.
Ich will von Papa ins Bett gebracht werden und dass er mir eine Geschichte vorliest, bis mir die Augen zufallen.

Ich will das alles noch ein Mal erleben. So gerne.

Und deshalb – nein.
Nein, ich bin nicht zu alt.

Lasst mich Kinderserien schauen, Disneyfilme gucken, Fanfictions schreiben und mich über kleine, simple Dinge freuen.

Weil ich weiß, dass ich all das nicht mehr zurückbekomme.

Meine Kindheit ist vorbei und es fühlt sich an, als wäre mein Leben es auch.

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Danke, dass ihr meinen Duschgedanken gelauscht habt.
Peace, ich bin raus.

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