Socken, Büsche und Verzweiflung

79 13 2
                                    

Etwas Trockenes und Spitzes bohrte sich in meine Wange. Noch im Halbschlaf murmelte ich: "Nein, Whiskey."
Moment...Whiskey?
Die Erkenntnis traf mich wie ein Stromschlag. Es ging durch meinen ganzen Körper und ließ mich abrupt die Augen aufschlagen.
Whiskey, meine Katze, war in London. In ihrem Körbchen neben meinem Bett. Ich aber war auf Klassenfahrt.
Sofort wurde ich von grellen Sonnenstrahlen geblendet.

Ich setzte mich auf und bereute es sofort, denn ich fühlte die wohl schlimmsten Kopfschmerzen meines Lebens.
Kennt ihr dieses Gefühl wenn man einen leichten Kater hat? Nun, multipliziert diesen Schmerz mit 10 und fügt einen, nein zwei, Basketbälle, die euch genau auf den Hinterkopf treffen, hinzu.
Dann noch ein leichter Hammerschlag auf den Schädel und ihr wisst, wie ich mich fühlte.
Scheiße, das war der Kater meines Lebens. Und ich meine nicht Whiskey.
Ich versuchte den Schmerz wegzublinzeln, aber wie erwartet half es nicht. Absolut gar nicht.
Ich verharrte in meiner Sitzposition und wartete bis sich meine Welt wenigstens aufgehört hatte zu drehen.
Langsam rappelte ich mich hoch und ließ meinen Blick um meine Umgebung kreisen.
Ich lag auf einem Kornfeld.
Das ganze Grünzeug, das eigentlich eher gelb war, um mich war nicht der Grund für den verzweifelten Aufschrei, welcher dann etwas verzögert aus meinem Mund kam. Ich sah lauter Flaschen, die wohlbemerkt leer waren, auf dem Boden liegen, eine verbrannte Stelle auf dem Boden und einen Fuß. Einen nackten Fuß, der hinter einer Ansammlung an Weizen, oder was auch immer das ist, hervor lugte. Vorsichtig, ohne meinen Körper zu belasten, taumelte ich rüber und schrie erneut auf, als ich den Besitzer des Fußes erblickte.
Reece Baskin lag auf seinem Bauch und schnarchte selig vor sich hin.
Was zur Hölle ging hier vor?
Ich wandte mich von dem blondierten Schläfer ab und suchte die Gegend nach weiteren unangenehmen Überraschungen ab.
Leider war die nächste auch nicht besonders weit.
James Graham lag, in einer komischen Pose, auf dem Boden und hatte seinen Kopf in einer Pfütze gebettet von der ein beißender alkoholischer Geruch ausging.
Angewidert rümpfte ich die Nase und drehte mich von diesem Schauspiel weg. Der Geruch war so stark, dass mir die Galle hochkam. Würgend stolperte ich nach hinten und landete beinahe in einem ausgetrockneten Busch.
Weder hatte ich einen Schutzengel an meiner Seite, noch besaß ich eine gute Balance. Der Grund für mein aufrecht bleiben, und der für meinen Schreianfall, war simpler.
Der Busch war bereits besetzt. So kann man es zumindest ausdrücken, denn Jake Silvers lag in den dünnen Zweigen und schien friedlich zu schlummern. Nackt.
Ich schrie, versuchte davon zu rennen, schrie erneut, da ich absolut vergessen hatte, dass es Reece auch noch gab und ließ mich schließlich hinter einem Baum nieder. Der Baumstamm diente mir als Rückenlehne und ich begann tief ein und aus zu atmen, um meinen Puls zu beruhigen.
Das letzte mal war ich so aufgeregt gewesen, als Becca mir an Halloween in einer dunklen Gasse aufgelauert, und mich mit fürchterlichem Gebrüll erschreckt hatte.
Doch es war weder Halloween, noch war Becca irgendwo in der Nähe.
Party.
Wir haben eine Party geschmissen, erinnerte ich mich plötzlich und rieb mir die Schläfen.
Natürlich!
Es hat reichlich Alkohol gegeben, was die Pfütze um James erklärte.
Aber wieso war Jake nackt und was machte Reece in den Büschen?
Und wo waren die anderen?
Dass wir nicht die einzigen waren, das wusste ich noch.
Schließlich ist Becca diejenige gewesen, die mir überhaupt von der Feier hinter der Jugendherberge erzählt hatte.
Aber wo war sie?
Und wo war die Jugendherberge?
Das Feld auf dem wir unsere Fete geschmissen haben, sollte eigentlich direkt hinter dem Gebäude der Jugendherberge liegen.
Doch stattdessen sah ich zu meiner Rechten Wald und zu meiner Linken ebenfalls.
Ein Stöhnen drang zu mir rüber und ich lugte hinter dem Baum hervor.
"Wo ist meine Socke?", ertönte es plötzlich.
Reece krabbelte hinter seinem Versteck aus Weizen hervor und rieb sich verschlafen die Augen.
„Guten Morgen", murmelte er und ich verstand erst, dass er mich meinte , als er mir freundlich zuwinkte .
„Morgen", stammelte ich verwirrt und schüttelte den Kopf.
Sein einziges derzeitiges Problem war das Fehlen seiner Socke?
Das ist mal wieder so typisch Junge.
Wir waren irgendwo im Nirgendwo und es schien nicht so, als ob die Herberge ganz in der Nähe war.
„Wo ist denn das Bad?", rief Reece und kratzte sich am Nacken.
Er hatte sich etwas entfernt und stand ratlos vor der Unmenge an Weizen. Das Feld erstreckte sich bis zu dem Wald und ich konnte absolut nichts durch die dichten Bäume erkennen.
„Und dir fällt wirklich nichts auf?", brüllte ich über das gesamte Feld und machte mich auf dem Weg zu ihm.
Vielleicht hatte ich von dort ja einen besseren Überblick.
Reece kratzte sich erneut am Nacken und antwortete :"Doch, doch! Was machst du im Jungszimmer?"
Prusten, das in ein lautes Lachen überging.
Das war meine Reaktion auf seine Aussage.
Er schaute mich mit einem dümmlichen Blick an und zuckte bloß mit den Schultern.
"Wer hat dich denn abgeschleppt?", erkundigte er sich," James oder Jake?"
"Du bist echt zu verkatert, stimmt's?"
Reece schien echt nicht zu verstehen, was ich meinte.
"Oh Gott! Sieh dich doch mal um? Sieht das wie dein Zimmer aus?", raufte ich mir die Haare und machte eine ausladende Geste über das Kornfeld.
Langsam dämmerte es ihm wohl, denn seine Augen weiteten sich und er flüsterte Scheiße!.
"Genau!", nickte ich und wartete auf seine weitere Reaktion, aber er stand nur stocksteif da und presste sich die Hand auf den Mund.
Genau als ich ihn fragen wollte, ob alles okay ist, riss er seinen Kopf zur Seite und übergab sich direkt auf das Feld.
Angeekelt sprang ich beiseite und ließ ihn seinen Magen in Ruhe entleeren.
"Bäääh!"
Erschrocken fuhr ich herum und erwarte bereits ein Schaf zu sehen, doch ich erkannte nur einen James, der sein Gesicht angewidert verzog und mehrere Male auf den Boden spuckte.
"Was zur Hölle geht hier ab?", schrie er und hielt sich die Nase zu.
Er drehte sich um seine eigene Achse und hielt inne, als er mich bemerkte .
"Was soll das?"
„Das würde ich auch gerne wissen", erwiderte ich und stemmte die Hände in die Hüften.
„Wo sind denn die anderen?", hörte ich Reece mit einer piepsigen und absolut unmännlichen Stimme fragen.
„DAS würde ich auch gerne wissen!", antwortete ich ihm und widmete mich wieder James zu.
„Du hast da was an deiner Wange", wies ich ihn auf den großen rötlichen Fleck auf seinem Gesicht hin.
Er versuchte den Dreck zu entfernen und ich ließ ihn für diese Tätigkeit alleine.
Ich wollte eh nicht wissen, was genau das war und wie es auf seine Wange gekommen ist.
Reece sah ziemlich mitgenommen aus und hatte seine Hände auf seinen Bauch gelegt.
Reece würgte , James krächzte und ich, ich kriegte langsam die Krise. Wo war Becca, wo war die Jugendherberge, wo war meine Klasse?
Und wieso musste ich ausgerechnet mit Jake und seiner Sippschaft in so eine heikle Situation landen?
" Moment, da war doch noch was...", grübelte ich vor mich hin und verzog verzweifelt mein Gesicht, als ich mich daran erinnerte, dass Jake noch in dem Busch ruhte .
Während die anderen beiden mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, machte ich mich auf die Suche nach Jakes Busch.
Er lag immer noch in den Zweigen und machte keine Anstalten aufzustehen, was mir eigentlich nur recht war, denn mehr als seinen nackten Hintern, den ich mir leider ansehen musste, wollte ich keine weiteren unbedeckten Körperteile von Jake Silvers ansehen.
Wir müssen los, wenn wir nicht auf diesem Feld versauern wollen, redete ich mir ein und holte tief Luft, bevor ich Jake auf den Rücken schlug.
Er hatte keine Zimperlichkeiten verdient.
Jake rührte sich nicht, egal wie stark ich auf seinen (nackten) Rücken eindrosch.
Der Anblick von seinem Hinterteil hatte es mir nicht wirklich angetan und deshalb ließ ich das Schlagen und brüllte:"Steh auf, du Arschloch!"
Langsam kam Bewegung in Jake und ich wich schnell zurück, als er sich umdrehte und auf die Beine kam.
„Oh, guten Morgen, Jane. Ich hab doch gewusst, dass du mir nicht widerstehen kannst", murmelte er verschlafen und am liebsten hätte ich ihm einen saftigen Tritt in seinen Hintern verpasst, aber dafür hätte ich mich zuerst umdrehen müssen.
Genau das tat ich nicht, da Jake immernoch nackt war und nun mit dem Gesicht zu mir stand.
"Wo sind denn die anderen?", gähnte er und streckte sich wahrscheinlich auch noch.
Ehe ich antworten kann, sprach James meine Gedanken aus:"Das würde ich auch gerne wissen"
„Eigentlich wollen wir alle wissen, was hier abgeht", stellte Reece fest und murmelte Entschuldigung bevor er erneut in den Büschen untertauchte, um den Rest des Alkohols aus seinem Magen zu bekommen.
„Alter, zieh dir mal was drüber", bat James Jake und ich stimmte ihm sofort zu.
Nachdem Jake seine Unterhose auf dem Baum, unter dem ich noch vor kurzem gesessen habe, erblickt hatte, James daraufhin eine Kletterrunde einlegen musste und Reece endlich mit dem Reihern fertig war, setzten wir uns alle auf den Boden und schauten einander ratlos an.
Keiner von uns schien wirklich zu wissen, wie wir hier gelandet waren, denn als ich fragte, ob sich irgendjemand an etwas erinnern kann, schüttelten alle synchron den Kopf.

Lost Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt