Ein letztes Gespräch

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Frühling 1945

Er ging vorbei an Krokussen und Narzissen, an Veilchen und Schneeglöckchen. Sie säumten den Weg und erhaschten die ersten Strahlen der Frühlingssonne, die durch die alten knospenden Bäume fiel. Der Kies knirschte leise unter der Ledersohle seiner Mokassins und der Saum des malvenfarbenen Umhangs streifte über die ersten Grashalme, die sich den Weg zurückeroberten.

Der Frühlingstag und der Gesang der Vögel kündigten bereits eine neue Ära, einen neuen Start an. Leichtigkeit lag in der Luft und doch fielen Albus Dumbledore die Schritte immer schwerer und auch sein Herz wurde immer schwerer.

Das Licht erwärmte sein Gesicht, kitzelte auf der Haut und erfüllte ihn mit Sehnsüchten. Doch dies war nicht der rechte Augenblick. Nicht heute.

Sein Blick fiel auf eine uralte Kastanie, dessen saftige junge und zarte Blätter sich bereits für einen neuen Lebenszyklus geöffnet hatten. Der Baum kannte den Neuanfang, seit Jahrhunderten erlebte er ihn jährlich. Für Albus Dumbledore jedoch, schien es der erste Frühling überhaupt zu sein.

Seine Knie waren zittrig und ihm stieg ein Schwindel in den Kopf. Also ging er zu der Doppelbank unter der alten Kastanie und nahm darauf Platz. Doch das Sitzen beruhigte seine aufgeregte Seele und sein flatterndes Herz kaum. Die Nervosität stieg ihm in den Kopf und er sah sich auf dem verlassenen Friedhof um.

Doch außer ein paar emsige Vögel, einem Eichhörnchen und einer Katze, die zwischen den Grabsteinen umherschlich, war niemand zu sehen. Er war vollkommen alleine.

Ob er überhaupt kommen würde?

Albus versuchte, sich die Schlagzeilen der vergangenen Tage aus dem Kopf zu schlagen und sich stattdessen daran zu erinnern, was er vor vielen Jahren an jenem Ort erlebt hatte.

Es hatte seine Welt verändert.

Es hatte ihn verändert.

Für immer.

Doch diese unbeschwerte Euphorie hatte nicht lange angedauert. Noch heute trug er die Spuren von damals in seiner Seele und es war bloß seine naive Hoffnung, welche die Bruchstücke seines Herzens zusammenhielt.

Das Warten wurde unerträglich. Jede Minute war ein weiterer Schlag auf seine Seele.

Wie lange würde er es ertragen können?

Als er eine kleine silberne Taschenuhr aus den Tiefen seines Umhangs fischte, hielt er plötzlich inne, noch bevor er sie öffnen konnte.

Sein Erscheinen hatte keinen Laut verursacht, doch die magische Präsenz war eindeutig.

Albus steckte die Taschenuhr zurück in seine Robe und wartete. Er konnte jeden Herzschlag fühlen. Jeden einzelnen Herzschlag, während der quälend endlosen Sekunden.

Dann kam er näher.

Albus sah ihn nicht und wandte sich auch nicht um, weil er nicht wusste, ob er es ertragen würde, in sein Gesicht zu blicken.

Doch ihm ging es scheinbar nicht anders, denn als er die Holzbank erreichte, nahm er wortlos darauf Platz und so saßen sie da, für eine kleine Ewigkeit: Rücken an Rücken, an einem verheißungsvollen und frischen Frühlingstag.

Albus konnte kaum atmen. Sein rasender Herzschlag machte es fast unmöglich. Also atmete er tief durch und war schließlich der Erste, der den Mut für Worte fand.

„Es ist lange her, dass wir an diesem Ort waren."

Es folgte Stille.

Sie war kaum zu ertragen für ihn und er lächelte die Verbitterung fort, schüttelte leicht den Kopf und sprach weiter: „Der Frühling weckt jedes Jahr in mir die Erinnerungen an die vergangene Zeit."

FrühlingsdämmerungWhere stories live. Discover now