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Der weiße, hochwertige Umschlag in Roberts Händen fühlte sich mehr als nur merkwürdig an. Er fasste ihn so vorsichtig an, als ob er Angst hätte, sich an ihm zu schneiden. Als Robert die Absenderin gesehen hatte, war ihm eigentlich recht schnell klar geworden, was dieser Brief bedeutete. Auf der Rückseite prangte Annalenas Name. Seitdem sie nach London gegangen war, hatten sie sich nur noch einmal in Hamburg gesehen. Und das war nun auch schon wieder eine ganze Weile her. Aber ihn wunderte es nicht, dass er nun Post von ihr erhalten hatte. Immerhin hatte sie ihm schon vor einiger Zeit angekündigt, dass Daniel ihr einen Antrag gemacht hatte. Und dass sie sich freuen würde, wenn Robert zu der Hochzeit käme. Nun musste er die Einladung in der Hand halten. Fürs erste legte er den Umschlag aber auf den großen Schreibtisch, den er sich mit Andrea teilte. Aus dem Wohnzimmer hörte er nämlich 3 quakende Stimmen, die nach ihm verlangten.

„Papa? Papa! Wir haben Hunger!", hörte er seinen ältesten Sohn rufen, der mit den etwas jüngeren Zwillingen irgendein Spiel versucht hatte zu spielen. Das war wohl nur mehr oder weniger erfolgreich gelaufen. Im Wohnzimmer sah er nur, wie das Spiel komplett zerlegt in ganzen Raum verteilt lag. Vielleicht hätte er den Fünfjährigen nicht mit den beiden Zweijährigen alleine lassen sollen. Aber normalerweise konnten sie sich auch mal einen kurzen Moment alleine beschäftigen.

„Ihr könnt hier erstmal wieder aufräumen, Jakob. Dann mache ich euch noch den Kartoffelbrei und das Gemüse von Gestern warm. Ist das ein Plan?"

Zufrieden nickte sein Sohn, während die Zwillinge immer noch damit beschäftigt waren das Wohnzimmer zu verwüsten. Hoffentlich war das wieder rechtzeitig aufgeräumt, bis Andrea später nach Hause kommen würde. In der letzten Zeit war sie des Öfteren krank, deshalb heute beim Arzt und Robert wollte ihr die Arbeit mit den Kindern und im Haushalt so gut es ging komplett abnehmen. Und zumindest für etwas Ordnung sorgen, auch wenn das mit kleinen Kindern dann doch nicht so ganz einfach war. Ganz grundsätzlich nicht.

Nachdem die Kinder am frühen Abend schliefen, ging Robert nochmal kurz in das Arbeitszimmer und öffnete endlich den Umschlag, den er zuvor so achtlos weggelegt hatte. In dem Umschlag verbarg sich eine detailliert gestaltete Karte, auf der Annalenas und Daniels Namen verewigt waren. In 3 Monaten würde ihre Hochzeit in Hamburg stattfinden und Robert war mit seiner Begleitung herzlich eingeladen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, ob er hingehen sollte. Wahrscheinlich wäre es äußerst komisch, Annalena an diesem Tag zu begegnen. Der Tag, an dem sie den Bund der Ehe schloss. Aber eigentlich freute er sich wirklich für sie. Und irgendwie wäre es wohl auch schön, sie so glücklich zu erleben, wie man es an seiner eigenen Hochzeit wohl war. Trotzdem wusste er ganz genau, dass er, seitdem sie sich das erste Mal begegnet waren, eine Schwäche für sie entwickelt hatte. Auch wenn er Andrea und seine Familie über alles liebte. Und nie im Leben gegen irgendetwas oder irgendwen eintauschen würde. Aber trotzdem war Annalena irgendwie besonders. Schon immer gewesen. Und genau deshalb hatte er keine Antwort darauf, ob er zu ihrer Hochzeit gehen sollte. Weil es Andrea gegenüber vielleicht unfair war. Weil er selber keine Ahnung hatte, was diese Situation mit ihm machen würde. Und weil er nicht wusste, ob Annalena ihn wirklich dabeihaben wollte.

Um diese Gedanken zu verdrängen ging Robert in ihr Schlafzimmer, in dem seine Frau sich befand. Der ganz normale Wahnsinn mit ihren Söhnen hatte sie dazu gezwungen, bisher noch nicht großartig miteinander reden zu können. Doch wollte Robert unbedingt wissen, welche Ergebnisse Andrea bei ihrem Arzt erfahren hatte. Und wahrscheinlich wollte er ihr auch von dieser Einladung zu Annalenas Hochzeit erzählen. Vielleicht würden Andreas Gedanken ihm weiterhelfen. Aber soweit sollte es gar nicht erst kommen. Schon auf dem ersten Blick stellte Robert fest, dass irgendetwas nicht stimmte. Andrea wirkte ganz bedrückt und saß ermattet in ihrem großen Bett. Ein mehr als ungutes Gefühl machte sich in Robert breit.

Karussell des Lebens (Baerbeck Shortstory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt