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„Können wir jetzt endlich nochmal über die Kanzlerkandidatur reden? Es hilft doch absolut gar nichts, wenn wir es die ganze Zeit totschweigen und uns lieber aus dem Weg gehen!", warf Annalena genervt in den Raum, in dem Robert an seinem Schreibtisch saß und seelenruhig an irgendetwas arbeitete. Und Annalena wohl am liebsten ignoriert hätte. Wie er es momentan so oft machte.

„Haben wir nicht schon alles hundertmal durchgesprochen? Du wirst das machen, ich halte mich zurück und dann schauen wir, wofür es reicht.", entgegnete Robert nicht gerade freundlicher.

„Weißt du, was dein Problem ist? Du kannst einfach nicht zurückstecken und hast ein viel zu großes Ego. Selbst wenn du anderes vorgibst, bist du eigentlich gekränkt. Man merkt es dir an."

„Achja? Und das verwundert dich? Ich habe hier auch jahrelang alles rein investiert. Ich bin von meiner Familie weggezogen, habe alles stehen und liegen lassen für diesen Job. Und uns beiden dürfte klar sein, dass ich nicht der schlechtere Kandidat wäre. Dass nur die strategischen Gründe gegen mich sprechen."

„Dann akzeptiere es doch einfach mal! Wie sieht das denn aus, wenn wir die Entscheidung nächste Woche verkünden und das offensichtlich ohne deine Überzeugung? Dann war doch die jahrelange Arbeit für eine geeintere Partei umsonst. Willst du das etwa?", echauffierte Annalena sich weiter und konnte das alles so langsam wirklich nicht mehr hören. Sie hätte wissen müssen, dass diese Entscheidung für beide nicht leicht werden würde. Egal wie gut sie befreundet waren, egal wie gut es in den letzten Jahren mit ihnen funktioniert hatte, jetzt hatten sie offenbar ein Limit erreicht.

„Natürlich nicht. Aber es wäre auch wenig authentisch, wenn ich so gut gelaunt wie nie zuvor durch die Gegend laufe. Selbstverständlich werde ich dich und den Wahlkampf nach besten Wissen und Gewissen unterstützen. Aber ich sollte ja wohl auch sagen dürfen, dass das für mich nicht die leichteste Entscheidung überhaupt war!"

„Ach mach doch was du willst.", murmelte Annalena resigniert und genervt bevor sie ihr gemeinsames Büro wieder verließ. Und Robert merklich angefressen dort zurückließ. In den letzten Wochen gifteten sie sich eigentlich nur noch an. Robert nervte das ja auch, aber die grundsätzliche Situation ließ ihn auch einfach nicht zufrieden zurück. All die Jahre haben sie als Team ziemlich gut gearbeitet. Er hätte selber nicht gedacht, dass sie so professionell und gut miteinander klarkommen würden. Aber es hatte funktioniert. Trotz all der Dinge, die sie nie gewagt hatten auszusprechen. Dass Robert schon immer eine Schwäche für die Brünette hatte. Dass er sich nicht nur einmal ausgemalt hatte, wie ein Leben an ihrer Seite wohl ausgesehen hätte. Ihr Arbeitsverhältnis konnte dies erstaunlich gut verdrängen. Wahrscheinlich lief deshalb ihre Zusammenarbeit auch so ausgesprochen gut. Aber in den letzten Wochen hatte diese Zusammenarbeit einen Kitt bekommen. Seitdem das Thema der Kanzlerkandidatur im Raum schwebte und diesen auch nie mehr so wirklich verließ. Da war es mit ihnen bergab gegangen. Und Robert wusste genau, dass er die Situation mit ziemlicher Absicht nicht gerade verbesserte. Wahrscheinlich hatte Annalena auch ein wenig Recht und er hatte wirklich ein zu großes Ego, aber wirklich fair fand er ihr Verhalten auch nicht. Von daher war es ihm nun wirklich egal. Früher oder später würde sich das schon legen. Dachte er zumindest.

Eine weitere Stunde verging, in der Robert Annalena nicht mehr zu Gesicht bekam. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass sie ebenfalls in der Geschäftsstelle war und arbeitete. So langsam überkam ihn dann doch ein schlechtes Gewissen, sodass er sich auf die Suche nach ihr machte. Zumindest war das seine Intention, als er sich vom anderen Ende des Flures einen Kaffee besorgte. Dort fand er Annalena tatsächlich in einem anderen Büro vor.

„Ist es so schrecklich mit mir, dass du jetzt doch noch in ein eigenes Büro ziehst?", fragte Robert etwas vorwurfsvoll, was Annalena wiederum aufschreckte. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, in ihrem Arbeitsprozess gestört zu werden.

Karussell des Lebens (Baerbeck Shortstory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt