Der Sturm

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„Ich lief damals oft am Ufer entlang, schnupperte hier, schnupperte dort und suchte nach Abenteuern. Aber nie fand ich eines. Wenn ich jemanden fragte, ob er ein Abenteuer für mich hätte, lachten die Leute immer nur und sagten: „Ein Abenteuer willst du erleben? Du bist doch bloß eine Maus!" Deshalb hatte ich diese Methode schon längst aufgegeben. Also tippelte ich tagein, tagaus durch das Gras und erzählte mir selber die spannendsten Geschichten. Von Rittern, die Drachen besiegten und von Mäusen, die Katzen überlisteten. Aber noch nicht einmal eine Katze wollte mir über den Weg laufen. Immer wieder erspähte ich auf meinen Wanderungen große dunkle Flecken im Gras und ich hoffte auf etwas spannendes, etwas mit dem man Aufregendes erleben konnte. Doch meistens waren es nur alte Bierdosen, Schuhe oder Brote. An einem Tag regnete es ganz fürchterlich und Blitze zuckten über den Himmel, doch ich hatte mich mit meinen Brüdern gestritten und wollte in keinem Fall umkehren und nach Hause gehen. Deshalb kroch ich in einen alten Schuh, dessen Schnürsenkel schon halb herausfielen und die Nähte der Sohle kaum noch hielten. Ich kauerte schon eine Weile dort und zitterte im nassen Fell, als plötzlich eine Sturmböe unter die Schuhspitze griff und sie anhob. An dieser Stelle gaben daraufhin auch die Nähte der Sohle auf und so fuhr der Wind zwischen die Sohle und den Schuh wie in ein Segel. Der Schuh hob ab. Mit mir darin. Ich konnte es kaum fassen: Endlich passierte MIR mal etwas Spannendes! Doch dann wurde mir plötzlich klar, dass ich bald durch den Spalt zwischen Sohle und Schuh herauskullern würde, wenn ich weiter so liegen blieb. Also sprang ich auf die Pfoten und kletterte an den Falten der Hacke empor bis ich mich am oberen Rand des Schuhs hochziehen konnte. Der Regen war weniger geworden, hatte fast aufgehört und in der Ferne wurde der Himmel schon wieder blau. Ich blickte staunend auf die weite Welt unter mir. Mein ganzes Leben hatte ich bisher am Ufer des kleinen Flusses verbracht und höchstens mal ein Ruderboot gesehen, aber da unten waren riesige Häuser mit unfassbar vielen Fenstern und ein Fluss, so breit wie 10.000 Mäuse lang sind, mit riesigen, lauten Schiffen darauf. Ich war so überwältigt von diesem Ausblick, dass ich sogar meine Höhenangst vergaß.
Als diese mich schließlich doch wieder übermannte, beschränkte ich mich darauf, die Wolken zu betrachten, die nur noch ein ganz klein bisschen hellgrau waren. Auch der kräftige Wind war nur noch ein laues Lüftchen und so segelte ich sacht dem Boden entgegen.
Ich landete auf einer grünen Wiese und kletterte aus dem Schuh. Die vielen großen Häuser waren nur noch ganz klein in der Ferne zu sehen. Ich drehte ihnen den Rücken zu und lief den Hügel hinunter in ein neues Leben."
Fünf Paare kugelrunde Mauseaugen blickten mich groß an. „Wow!", hauchte Mischka und seine Ohren zuckten. „Und das hast du wirklich alles so erlebt, Opa?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 26 ⏰

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