"Guck mal da, Mama!" Aufgeregt zupfte Lino an meinem Ärmel. "Was ist denn da, mein Schatz?", fragte ich ihn und sah suchend in den Wald. "Ein großer Vogel! Und ein Schmetterling auch!", rief er begeistert. "Ein Schmetterling? Im Winter?" Ich lachte. Mein Sohn hatte eine blühende Fantasie. Er verdrehte die Augen. "Doch nicht da, Mama. Da oben! Im Himmel! Die Wolken!" Ich sah nach oben und tatsächlich erinnerte eine der weißen Wolken ein bisschen an einen Schmetterling. Und ein Stück weiter vorne konnte man mit etwas Fantasie eine Taube erkennen. "Du Mama..." Wieder zupfte Lino an meinem Ärmel. "Wer macht die Wolken eigentlich?" "Wie meinst du das?", fragte ich verdutzt. "Na, die sind doch nicht von selbst so. Da muss doch irgendjemand sein, der sich überlegt, wie die Wolken heute sein sollen und dann macht er das so." "Ach, du meinst den Wolkenformer?" Lino nickte eifrig. "Siehst du nicht die Leiter dort hinten?" Ich zeigte auf einen Baum, dessen Zweige an eine Treppe erinnerten. Lino riss die Augen auf. "Geht er da in den Himmel? Können wir auch in den Himmel gehen? Bitte!" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, wir können leider nicht in den Himmel gehen, das kann nur der Wolkenformer. Ganz früh morgens geht er da hoch, hängt die Sonne auf und fängt an die Wolken zu formen. Und ganz spät abends kommt er wieder runter und nimmt die Sonne mit nach Hause. Deshalb ist es nachts dunkel. Und am nächsten Tag hat er ganz neue Ideen und die Wolken sehen wieder ganz anders aus." "Der hat aber viel zu tun.", staunt Lino und starrt in den Himmel. "Und wie formt er die Wolken? Ist das wie Knete?" "Nein, das ist mehr wie ein Stein, an dem er meißelt. Deshalb verändern die Wolken nur ganz langsam ihre Form. Das ist wie, wenn Papa eine Skulptur baut." "Also könnte Papa auch Wolken formen?" "Wenn er Wolkenformer geworden wäre, dann könnte er das. Aber Papa bleibt lieber auf der Erde bei uns." Lino überlegte kurz. Dann fragte er plötzlich: "Können wir jetzt nach Hause gehen?" Verdutzt sah ich ihn an. "Warum willst du denn auf einmal nach Hause?" "Ich will mit Papa eine Skulptur bauen! Dann kann ich auch mal Wolkenformer werden!" "Nein, mein Schatz, um Skulpturen zu bauen musst du noch ein bisschen größer werden. Aber wir können damit anfangen, einen Schneemann zu bauen, das ist fast wie eine Skulptur!" "Au ja!", rief Lino begeistert und stürzte sich in den nächsten Schneehaufen.
Wir bauten einen großen und zwei kleine Schneemänner, bis wir am Abend schließlich nach Hause gingen und ich meinen erschöpften Sohn schließlich ins Bett brachte. Er hatte die Augen schon geschlossen, da murmelte er noch: "Wenn ich groß bin, werde ich Wolkenformer." Ich lächelte und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. "Dann wünsche ich dir ganz viel Spaß dabei!"
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Sky's little stories
Short StoryIch habe dieses Jahr (2024) eine "Projektreihe" angefangen, und zwar schenke ich meiner Mutter zu jeder Angelegenheit, zu der ich ihr überhaupt etwas schenke, eine Kurzgeschichte. Jede Kurzgeschichte ist inspiriert von einer relativ zufällig gewählt...