Kapitel 3

18 0 0
                                    

Hell schienen die grellen Deckenlampen des Toilettenraumes in mein Gesicht. Meine Augen betrachteten das Spiegelbild, das sich ihnen bot äußerst misstrauisch, während ich mir die Hände wusch. Diese Lampen öffentlicher Sanitärräume, waren aber auch wirklich immer sehr unvorteilhaft für die Gesamterscheinung, dachte ich. Ich war nervös. Viel zu nervös. Schließlich war heute eben jener Tag. Der Tag der ersten Probe. Heute würde ich alle Solisten kennenlernen. Ich wollte einen guten Eindruck machen. Nicht, dass ich erwartete, es sei von großer Bedeutung vor Kate Wilson so gut auszusehen wie möglich, doch war es mir ein inneres Bedürfnis. Ich hatte meine braunen, schulterlangen Haare extra einer Volumenkur unterzogen und die Naturwelle mit Lockenstab unterstützt. Der goldene Lidschatten, der das grün meiner Augen untermalten sollte, sowie der mattrote Lippenstift durften nicht fehlen. Ich war nicht ganz zufrieden mit dem Endprodukt, dass sich nun im Spiegel vor mir erblicken ließ, doch hatte ich mein Bestes getan.

Hände fertig abgetrocknet, schnappte ich mir meinen Beutel und schloss vor dem Rathaus mein Fahrrad ab. Für meine Verhältnisse sehr früh an diesem Tag zwang mich fehlender Reisepass und Visum zu einem Termin in diesem prächtigen Gebäude der Wiener Innstadt. Die nächsten Monate sollten mich nicht nur die Städte innerhalb Europa kennen lernen lassen, auch Amerikas Grenzen würden wir überqueren. Ganz besonders freute ich mich auf den Auftritt in der MET. Ich war erleichtert, als der Termin ohne sonderlich große Komplikationen als erledigt im Terminkalender stand und ich meiner Blase nach dem langen Gespräch den Gefallen tat. Mit Schwung und voller Motivation stieg ich auf meinen Drahtesel und schlug die Richtung der Staatsoper ein.

Die Fahrradständer vor dem Künstlereingang waren voll. Kein Wunder, bei diesem wunderschönen Frühlingswetter. Ich konnte meine Gedanken nicht unterdrücken, die sich fragten, ob nicht vielleicht eines dieser Räder Kate oder einem der anderen Solisten gehörte. Kurz blieb ich stehen, um das Bild zu überfliegen, das sich mir bot. Mein Blick wurde von einem schwarzen Mercedes abgelenkt, der näher als gewöhnlich, langsam an den Mauern der Staatsoper entlangfuhr. Ich klopfte meinem Rennrad zum Abschied zweimal auf den Sattel und steuerte dann zielgerichtet und mit viel Adrenalin im Blut zum Eingang. Damit folgte ich dem schwarzen, mysteriösen Wagen. Das Auto kam vor meinem Ziel zum stehen. Ich wollte gerade die daran vorbeiführende Richtung einschlagen, da ging die Beifahrertür auf und eine schlanke, weibliche Erscheinung trat heraus.

Ohne jegliche Kontrolle über meinen Körper, stieg mir das Blut samt Adrenalin in den Kopf. Meine sich um das Doppelte vergrößerten Augen sogen sich wie ein Magnet an das Bild dieser Frau. Sie trug eine Sonnenbrille, doch mein Unterbewusstsein war sich seiner Erkennungsfähigkeiten bewusst. Es musste merkwürdig ausgesehen haben, wie ich angewachsen hinter dem Auto stand und beobachtete wie Kate Wilson, in einen leichten, blauen Mantel gekleidet, ihren schwarzen Rucksack nach sich aus dem Auto zog und sich überwarf. Die lockere Anzughose, die ihre schlanken, langen Beine bedeckten, betonten ihre Figur so dermaßen gut, dass es mir umso schwerer fiel, meinen Blick zu lösen. Ihre Erscheinung glich einem Hollywoodstar, der gerade zu einer Oscarverleihung anreiste. Die Sonnenbrille verstärkte das Bild. Als sie sich drehte, um die Autotür zu schließen, sahen wir uns für einen kurzen Moment an. Sie schob ihre Sonnenbrille über die perfekt sitzende Kurzhaarfrisur und sah mit ihren braunen Augen nun direkt in meine. Ich war zu gebannt, um etwas zu sagen, stattdessen lächelte ich nur etwas bescheiden und hob die Hand. Ohne eine Regung ihrer Mimik wandte sie ihren Kopf ab. Ich hörte, wie sie auf Englisch mit dem Fahrer kurze Worte wechselte, die Tür zuwarf, sich dann, ohne mich erneut zu beachten, umdrehte und im Künstlereingang verschwand.

Der schwarze Mercedes startete und erlöste mich aus meiner Schockstarre. Ich wusste nicht wirklich was ich von der überraschenden Begegnung halten sollte. Sie wirkte doch sehr verschlossen. Vielleicht hatte ich mich merkwürdig verhalten? Warum war ich stehen geblieben? Warum um alles in der Welt hatte ich gewunken? Kein Wunder, dass sie verstört war, kannte sie mich doch gar nicht. Ich hingegen wusste mehr über diese elegante Opernstarerscheinung als mir lieb war. 1980 in Amerika geboren, Gesangsstudium in San Francisco, einmal geschieden, verheiratet und zwei kleine Söhne. Es war ein unerklärlicher Zauber, der mich schon in Kindertagen in den Bann von verschiedensten Frauen zog und das Bedürfnis in mir schürte die Person näher kennenzulernen. Mit jeder Information, die ich las, und die sich direkt in mein Gedächtnis einbrannte, band ich mich mehr an diese weiblichen Vorbilder. Ich baute viel zu schnell emotionale Beziehungen auf, auch zu Menschen, die nicht einmal von meiner Existenz wussten. So kam es vor, dass ich in Situationen wie dieser oft etwas realitätsfern reagierte. Ich schämte mich dafür, doch war mir dieses Gefühl bereits bekannt. Ich atmete tief ein und folgte Kate schließlich in den Eingang.

Im Einklang des GesangesWhere stories live. Discover now