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„Allah fügt keiner Seele mehr leid hinzu als es ertragen kann." (2:286)

Ya Allah. Wie viel Leid willst du meiner armen Seele noch zufügen? Warum hast du mir den Menschen genommen, für den ich sterben würde? Ich wurde zurückgelassen. Allein. Ich habe keine Familie mehr. Ich wurde zurückgelassen mit einer Psychisch kranken Stiefmutter, mit ängstlichen Schwestern und mit einem Monströsem  großen Bruder.

Ein Tag vergeht, wie der andere. Ein weiterer Tag, an dem ich in meinem Bett liege und die Augen nicht zubekomme. Ein weiterer Tag an dem ich überlege, wann ich in seiner Hand sterben werde. Wann meine Leiche aus diesem Haus rausgetragen wird. Ob er endlich seinen Frieden hat, wenn ich weg bin? Wenn ich gestorben bin. Ein weiterer Tag an dem ich stumm Tränen verliere und Löcher in die Decke starre. Ein weiterer Tag an dem er wieder bekifft und alkoholisiert nachhause kommt und mich aus meinem Bett zerrt. Auf den Boden wirft und auf mich eintritt. Die Vase auf der Fensterbank schmettert gegen die Wand. Er wirft mich auf den Boden. Die Splitter der Scherben rammen sich in meine Schenkel. Ein aggressives Aufbrüllen, was meine Ohren nicht mehr ertragen können. Der Busch voller Haaren in seinen Händen. Meine Haare. Die Haare, über die Baba immer gestrichen hatte. Die Haare, die Baba durchgekämmt und geföhnt hat. Ein weiterer Tritt in meine Magengrube lässt mich aufhusten. Heiße Tränen die über meine geröteten Wangen rinnen. Meine Wangen, die durch seine Schlägen errötet sind. Die Wangen über die Baba behutsam gestrichen hatte, fügst du nun Leid und Schmerz zu, großer Bruder. Immer wieder verfluche ich Ihn. Er soll aus meinem Leben verschwinden, damit ich meinen Frieden bekomme. Ist es nicht unfair, dass ich meinen Frieden noch nicht bekommen habe? Was soll ich denn tun um meinen Frieden zu bekommen? Wie lange soll dieses Leiden noch anhalten? 

"Steh auf!", brüllt das Monster vor mir, in mein Gesicht. Die Scherben in meinen Schenkel brennen wie die Hölle. Es fällt mir schwer aufrecht zu stehen. Durch den unaushaltbarem Schmerz wird mir schwarz vor Augen. Ich stehe gequält vor ihm, warte auf seine nächste Bewegung. Mein Gesicht fliegt zur Seite, leicht taumelnd versuche ich mich auf beiden Beinen zu halten. Das Pochen meiner Wange fügt mir mehr schmerzen hinzu. Das zusammen kneifen meiner Augen macht es nicht besser. Meine Haare kleben an meinem nassen, tauben Gesicht. Ohne ein weiteres Wort verlässt er mein Zimmer und schlägt die Tür hinter sich zu. Ich lasse mich zurück auf den Boden fallen, nur um einen schmerzhaften Laut aus meinem Mund entkommen zu lassen. Meine rechte Hand presse ich auf meinen Mund und zwinge mich, still zu sein.

[...]

Der Sonnenaufgang ist aus meinem großen Fenster nicht zu übersehen. Ohne Schlaf und mit zerstörten Nerven stehe ich zischend auf. Die Uhr an der Wand zeigt 06:54 Uhr. Ich hebe meine schwarze Jogginghose und mein Schwarzen Pullover von meinem Nachttisch auf und ziehe mich um. Beim ausziehen meiner Pyjama Hose sehe ich auf meine Beine. Getrocknetes Blut klebt an ihnen. Ich ziehe mir die Jogginghose über und schultere meinen Rucksack. Die blauen Flecken und Blutergüsse an meinen Armen schmerzen, bei dem Druck meiner Schultasche auf meinen Schultern. Ich sehe mich in meinem Spiegel an, der auf meinem Schreibtisch steht. Ich sehe erschreckend aus. Meine roten geschwollenen Augen zieren Augenringe. Mein Gesicht ist aufgebläht durch das ganze Tränen vergießen. Die zerzausten Haare kämme ich durch und lasse sie über meine Schulter fallen. Wenigstens ist der Spiegel nicht zerbrochen. Leise öffne ich die Tür und putze mir im Badezimmer schnell die Zähne. Ich möchte niemanden aufwecken. Erst recht nicht das Monster, welches mitten im Flur auf dem Boden schläft. Er schläft so ruhig, als wäre nie etwas passiert. Als würde er sich nicht in einen Monster umwandeln, wenn er erwacht und mich sieht. Doch ich weiß ganz genau was passiert, wenn er erwacht. Ich bin es schon gewohnt, dass jeden Tag das selbe passiert. Dass,wenn meine alten Wunden am heilen sind, sofort neue Wunden meinen Körper beschmücken werden. Ich bin es schon gewohnt. Ich hoffe nur auf den Tag an dem ich endlich aufatmen kann und dankend zu Allah bete, dass er mich aus dieser Hölle befreit hat.

VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt