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„Und seid nicht schwach, und werdet nicht traurig!" (3:139)

Ich möchte nicht schwach sein, und auch nicht traurig, aber es geht nicht anders. Die erneuten Schläge auf meiner Haut lassen mich schwächen. Ich kann mich -durch die Wucht seiner Hand an meiner Wange- schwer im Gleichgewicht halten und taumele gegen die Wand hinter mir. Ein weitere Schlag gegen mein Schädel und mein Kopf pocht wie verrückt. Mir wird schwindelig und schwarz vor Augen. Als würden viele kleine Sterne vor meinen Augen tanzen. Seine Hände legen sich um meinen Hals und noch bevor ich einatmen kann drückt er fest zu. Die Luft wird mir zugeschnürt. Ich werde panisch, versuche zappelnd seine Hände von meinem Hals zu lösen. Er drückt nur noch fester zu und ich spüre das Pochen meines Herzes hinauf, bis in mein Kopf. Tränen der Schmerzen und Panik überkommen mich und machen alles nur noch schlimmer und schmerzhafter für mich. „Yapma.", bringe ich schwer raus. Er soll das nicht machen. Ich kneife meine Augen zu, versuche Luft zu holen. „ A-abi...Lütfen ...", krächze ich schwach. Ich habe ihn Abi genannt..
Er löst wie von alleine seine Hände von mir und stolpert einige Schritte nach hinten. Sofort lege ich meine Hände an meinen Hals und schnappe nach Luft. Immer wieder, und wieder atme ich ein, bis sich mein Atem normalisiert. Ich lasse mich auf den Boden fallen und sehe hoch in sein Gesicht. Mein großer Bruder, der mir früher nicht einmal ein Haar krümmen konnte, schlägt mich heute bis ich vor Schmerzen umfalle.  Seine Hand ist zur einer festen Faust geballt. Ich schließe meine Augen, weil ich weiß, dass er gleich wieder zuschlagen wird. Ich mache mich bereit auf die Schmerzen, die ich jeden Moment spüren werde, doch es kommt nichts. Stattdessen höre ich wie sich seine Schritte von mir entfernen und die Haustür zugeschlagen wird. Ich öffne meine Augen und atme erleichtert aus. Ein schluchzen kann ich mir nicht unterdrücken, rappele mich auf und laufe auf die Couch im Wohnzimmer zu auf welcher meine Stiefmutter liegt und Löcher in die Wände starrt. Erst als ich das Licht ausschalte dreht sie ihren Kopf zu mir und schaut mich an, versucht etwas zu sagen, bekommt aber nichts aus ihrem Mund. Ich seufze und schließe die Tür. Im Zimmer meiner Schwestern schließe ich leise das Fenster, decke beide richtig zu und verlasse das Zimmer. Sie haben so verdammt Glück! Ich begebe mich zurück in mein Zimmer, kuschele mich in meine Decke ein und schließe die Augen, um endlich -nach Tagen- wieder richtigen Schlaf bekommen zu können.

[...]

Durch einen schmerzenden Kopf stehe ich auf und fasse mir an meinen Schädel. Der Schwindel macht sich sofort bemerkbar, doch ich sammele Kraft und stürme ins Badezimmer, um mich vor der Kloschüssel fallen zu lassen und zu erbrechen. Ekelhafte Geräusche ertönen in meinen Ohren. Eine Hand legt sich um meine Haare, um sie festzuhalten, dass sie nicht vor mein Gesicht kommen. Wieder würge ich auf und entleere meinen leeren Magen in die Toilette. Als ich das Gefühl habe, nicht mehr erbrechen zu müssen, stelle ich mich wieder auf meine wackeligen Beine. Es fühlt sich so an, als würde ich auf einem Karussell stehen. Mit meinen Handflächen klatsche ich mir kaltes Wasser in mein Gesicht und fahre mit dem restlichen Wasser über meine Haare. Das Wasser tut gut, weshalb ich den Vorgang wiederhole. Ich spüle mein Mund aus und trockne meine Hände mit dem Handtuch, welches neben dem Waschbecken liegt. Ich drehe mich um und blicke in das besorgte Gesicht meiner kleinen Schwester, Ada. „Geh wieder schlafen.", schicke ich sie zurück in ihr Zimmer und gehe ebenfalls in mein eigenes Zimmer. Ich habe nur noch zwanzig Minuten Zeit mich fertig zu machen, also schlüpfe ich in eine breite schwarze Jeans und ziehe mir ein -dazu passenden- schwarzen Pullover an. Meine haare kämme ich durch, streife mir zusätzlich ein Zopfgummi um mein Handgelenk, welches durch das Festhalten seinerseits einen Bluterguss abbildet.

[...]

Mein Bus kommt pünktlich an der Station an, ich steige durch die hinterste Tür hinein und setzte mich wieder etwas hinten auf
einen leeren Platz. Der Platz neben mir ist auch frei, ich spüre jedoch wie er in der nächsten Sekunde belegt wird. Ich sehe weiterhin aus dem Fenster und horche der beruhigenden Stimme in meinem Ohr. Meine Augen schließe ich, bin in freien Gedanken. Abgeschaltet von der Außenwelt... Bis mir mein Ohrhörer rausgenommen wird, erschrocken schaue ich neben mich, um in ein bekanntes lächelndes Gesicht zu sehen. „Guten Morgen." Er stopft mein Ohrhörer- welches vor Sekunden noch in meinem Ohr war- in sein eigenes Ohr und mustert mein Gesicht. Sobald seine Augen auf meinem Hals landen vergeht sein Lächeln und er runzelt kurz die Stirn. Schnell ziehe ich mein Pullover etwas nach oben, dass man nicht noch mehr von dem roten Abdruck auf meinem Hals sieht. Bis vor kurzem war mir wegen des kaltem Wetters noch kalt, während sich jetzt eine angenehme Wärme um mein Körper legt. Er lächelt mich mit leuchtenden Augen, dass mir fast- aber nur fast ein kleines Lächeln auf meinen Lippen schleichen lässt. Ich unterdrücke es jedoch und wende mich wieder dem Fenster -mit dem Ausblick auf die Straße- zu. Er hat gestern erwähnt dass er ein Auto hat, also warum fährt er dann mit dem Bus?
Aber gestern ist er auch mit dem Bus gefahren, obwohl wir uns nicht kannten...Also hat es doch nichts mit mir zutun. Von meinem Augenwinkel merke ich, wie er wieder zu mir sieht und lächelnd sein Nacken kratzt. Als aus den Ohrhörern For the Rest of My Life ertönt, zückt auch meine Lippen ein kleines Lächeln. Die arabischen Wörter hinterlassen die Wirkung auf mir, wie sie es jedes mal tuen. Es hilft mir, Klarheit zu verschaffen, mich abzuregen, abzulenken und lässt mich gut fühlen. Bevor ich mein Arm ausstrecken kann, um auf den Stopp-Knopf zu drücken, drückt er schon drauf, steht auf und läuft vor, um anschließend auszusteigen. Seine Hände sind in den Taschen seines Kapuzen Pullovers vergraben und seine Kapuze ist über seinem Kopf. Er geht sicher dass ich den Bus verlasse und läuft leise neben mir her und begleitet mich bis vor den Schuleingang. „Allah yuetik safa' aldhihn" Möge dir Allah Geistige Klarheit schenken. Ich stoppe bei seinen Worten meine Bewegung und sehe ihn überwältigt an. Früher hat mir das mein Vater gesagt, als er mich jeden morgen an meiner Schule abgelassen hat. Ich sehe ihn mit einem leichtem lächeln an, nicke ihm dankend zu und verschwinde im Schulgebäude. Mein ganzer Körper ist von einer Gänsehaut überzogen und es wird beim Gedanken an gerade, immer mehr. Ich sehe zurück und erkenne durch die Glastür, dass er zu mir schaut. Erst als ich wirklich nicht mehr in seiner Sichtweite bin verlässt er den Eingang des Schulgebäudes. Ich bleibe an meinem Versteck stehen und beobachte, wie sein Körper immer kleiner wird, bis ich ihn nicht mehr sehe. Warum begleitet er mich? Ich möchte den Grund wissen. Wird er mich ab jetzt jeden Tag begleiten? Woher weiß er immer wo ich bin? Fragen über fragen, die ich mir selber nicht beantworten kann. Ich kenne ihn nicht, er kennt mich nicht. Doch trotzdem hat er mir geholfen als ich in Not war und hat mich bis nach Hause begleitet. Er hört mit mir zusammen die Nasheeds in meiner Playlist an, lächelt mich jedesmal an. ich weiß nicht wie ich darüber fühlen und denken soll.

VersprechenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt