Prolog | Valerío

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Das hier ist schlimmer als jeder körperliche Schmerz, den Walker mir antun könnte. Ich zittere vor unterdrückter Wut, wohlwissend, dass ich nichts falsches sagen durfte, wenn ich nicht wollte, dass Ash dafür litt.
Doch ich hätte wissen müssen, dass Walker kein guter Mensch mit Mitleid war. Er lächelt wissend, dreht die Spritze noch zweimal in seiner Hand, bevor er Ashs Kopf an den Haaren zurückzieht und die Nadel an dessen Hals setzt.
Provokativ sieht er mich an, während Ash sich nicht zu bewegen wagt, um es nicht noch schlimmer zu machen. Genauso wie ich. „Letzte Chance, Ramiréz."
„Valerío",zischt Ash ihm dazwischen, damit ich ja nicht darüber nachdenke, etwas zu sagen. „Wag es nicht!"
Ich presse die Lippen abwägend zusammen. Einen von ihnen muss ich opfern, so viel ist klar. Doch die Entscheidung ist unmöglich. „Ash..."
„Halt bloß die Klappe und werd jetzt nicht noch sentimental! Es ist okay. Ich komme klar!"
Empört von seinen Worten, wie er es so sehr auf die leichte Schulter nehmen kann, umfasse ich die Ketten, die meine Handgelenke über meinem Kopf an der Decke fixieren und weiß wiedermal nicht, was ich sagen soll. Doch diese Entscheidung nimmt Walker mir ab.
Es ist nur eine kaum sichtbare Bewegung, die er macht, um die Nadel in Ashs Hals zu stechen, doch gleichzeitig wissen wir alle drei, was in den nächsten Minuten, Stunden, vielleicht sogar Tagen geschehen wird.
Ash beißt sich auf die Unterlippe und stößt Luft aus, als Walker ihn loslässt und die Spritze auf den Boden fallen lässt. „Gentleman",bringt Walker nur noch leise im Vorbeigehen hervor, bevor er mich und Ash alleine lässt.
Aufmerksam beobachte ich jede seiner Regungen, um irgendwie herauszufinden, wie viel Zeit uns noch bleibt.
„Hey. Ich weiß, dass ich gut aussehe, aber es ist unangenehm, wenn du mich so anstarrst. Es ist okay, Val. Du weißt, dass ich ohne zu zögern für dich sterben würde. Verflucht, ich würde mich selbst in Scheiben schneiden lassen, wenn das bedeutet, dass du weiterleben kannst."
Fassungslos darüber, wie er immer noch solchen Humor haben kann, schüttle ich den Kopf. „Ich würde das Gleiche für dich tun, Ash. Das weißt du."
„Ich weiß",murmelt er und senkt den Blick zum Boden. Erst ist es nur ein leichtes Zittern, das ich an ihm bemerke. Wir tauschen einen kurzen Blick aus und in dem Moment, in dem ich ihm in die Augen sehe, weiß ich, dass ich etwas tun muss.
Fieberhaft suche ich einen Weg, mich aus den Fesseln zu befreien, doch hinter mir war lediglich ein alter, rostiger Nagel, der aus dem Holzbalken ragt. Könnte funktionieren. Mich mit dem Nagel so sehr verletzen, dass ich durch das ganze Blut aus den Eisenschellen rutschen konnte, war nicht gerade die einfachste Variante, aber durchaus möglich.
„Vergiss es. Das funktioniert nicht",kommt es leise von Ash, der plötzlich unheimlich blass aussieht und stärker zu zittern beginnt. Ich sollte mich beeilen.
Ohne groß nachzudenken, weil ich nur an das Leben meines besten Freundes denke, drücke ich mein Handgelenk fester gegen die Spitze des Nagels und hoffe, dass ich irgendwie ein größeres Gefäß treffe, damit es nicht umsonst ist.
Doch wie es sein muss, war der Nagel bereits ziemlich abgestumpft, weshalb ich mehrere Versuche benötige, um überhaupt einen kleinen Blutstropfen hervor zu bringen.
Ich beiße die Zähne zusammen, ignoriere meinen Schmerz und mache einfach weiter. Es ist ein widerliches Gefühl zu spüren, wie meine Haut unter dem Druck weiter aufreißt und dich das Metall tiefer bohrt, doch da Ash zunehmend stärker auf das ihm gespritzte Serum reagiert, kann ich auf mein eigenes Befinden keine Rücksicht mehr nehmen. Ich weiß nicht, wann Walker zurückkommt, weshalb ich mich beeilen muss.
Leise vor mich hin fluchend stochere ich den Nagel fester in mein Handgelenk, während ich spüre, wie sich immer mehr Blut auf meiner Haut verteilt. Und es funktioniert. Irgendwie schaffe ich es, meine Hand aus der Schelle herauszuziehen und atme erleichtert auf.
Eins meiner Messersets haben sie mir nicht abgenommen, weshalb ich in die Innenseite meiner Hose greife und zwei lange, dünne Klingen hervorhole.
Ich brauche mehrere Versuche, um das Schloss zu knacken, da es mit einer Hand deutlich schwieriger ist, doch ich schaffe es. Ich reiße ein Stück von meinem ohnehin ruinierten Hemd ab, binde es fest um Handgelenk und stolpere zu Ash, der mittlerweile von heftigen Krämpfen geplagt wird. Seine Füße stehen nicht mehr fest auf dem Boden und obwohl er immer wieder versucht, sich hinzustellen und das Gewicht von seinen Handgelenken zu nehmen, schafft er es nicht.
Bei seinen Zuckungen ist es nicht einfach, die Schlösser ebenfalls zu öffnen, doch ich schaffe es irgendwie und fange ihn unter den Armen auf, als er zu Boden fällt. „Hab dich. Wir müssen hier weg. Du musst nur noch etwas durchhalten, dann bringe ich dich zu einem Arzt."
Seine Atmung geht abgehakt, als er sich wieder krümmt. Dadurch, dass ich selbst geschwächt bin, fällt es mir schwer, ihn von hier weg zu bringen, doch ich weigere mich partout, ihn einfach hier sterben zu lassen.
Er hat in all den Jahren so fucking viel für mich getan - das bin ich ihm schuldig.
„Komm schon, Ash, du musst schon etwas mitmachen",murmle ich angestrengt und lege mir seinen Arm über die Schulter, um ihn besser stützen zu können.
Der Fakt, dass er keine dummen Sprüche reißt, sondern die Klappe hält, bringt mich schier um. Ein einfaches Indiz dafür, dass es ihm echt beschissen geht.
„Ash, verdammt!",fluche ich, als seine Füße erneut unter ihm wegrutschen. Wir sind noch nicht mal bis zur Tür gekommen.
„V-Vale-Valerío",bringt er hervor und schließlich sacken wir beide auf die Knie, da ich es nicht mehr länger schaffe, ihn aufrecht zu halten.
„Ich weiß, was du sagen willst",unterbreche ich ihn. Er sollte seine Kräfte nicht mit reden verschwenden. „Und nein, ich lasse dich nicht hier. Dafür bedeutest du mir zu viel. Und jetzt reiß dich verdammt nochmal zusammen und lass nicht mich die ganze Arbeit machen!"
Und tatsächlich entlocke ich ihm ein kaum sichtbares Schmunzeln damit. „I-Ich ka-nn n-nic- nicht, Val."
„Oh doch, du kannst",lüge ich, kämpfe mich zurück auf die Beine und ziehe ihn mit nach oben. Verdammte Lüge. Ich weiß, dass er es nicht kann! Aber Provokation und Stichelein sind meine einzige Chance, ihn irgendwie zu einem Funken Kraft zu bekommen. Zumindest so lange, bis wir die Treppen überwunden haben. „Du willst einfach nicht. Und das war schon immer das Problem an dir. Sobald du keinen Sinn in etwas gesehen hast, hast du es einfach nicht gemacht. So auch jetzt. Du denkst, qualvoll mit diesem beschissenen Zeug im Körper zu sterben ist die einfachste Variante. Aber darf ich dich spoilern? Das ist es nicht! Anstatt du dich mal zehn Minuten zusammenreißt, bis wir dieses Gebäude hinter uns gelassen haben, gibst du einfach auf? Was ist los mit dir?"
Ash schnaubt angestrengt auf und schafft es für wenige Sekunden tatsächlich, selbstständig zu stehen. Es hilft. Die Wut über meine Worte überspielen die Krämpfe und den Schmerz. „Wi-r wis-wissen b-b-beide, dass ... d-as ni-nicht stim-mt!"
„Doch, es stimmt",behaupte ich und setze einen weiteren Schritt vor, um die Tür zu öffnen. Es ist niemand da. Sehr gut. Nicht weit von hier gibt es einen geheimen Fluchtweg, den wir nehmen können. Sobald wir an ihm angekommen sind, können wir uns Zeit lassen. Er ist bereits seit Jahren stillgelegt.
Für weiteren Halt krallt Ash sich an meinem Hemd fest und wäre aufgrund des nächsten Krampfes beinahe wieder auf die Knie gegangen, doch er schafft es selbstständig sich wieder aufzubauen.
Als ich Stimmen höre, drehe ich den Kopf nach hinten und spanne mich an. Wir sind zu langsam und werden es nicht schaffen, ungesehen zu entkommen. Ich muss mir etwas einfallen lassen, und zwar schnell!

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⏰ Letzte Aktualisierung: May 01 ⏰

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