1 | here's to new beginnings

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Jeongguks Herz fühlte sich an diesem Tag genauso schwer an, wie der bis zum Rand gefüllte Koffer, den er mit zitternden Armen ins Taxi hiefte. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle aufgelöst und wäre eins mit den trägen, schwarzen Wolken am Himmel geworden, oder in einer der tiefen dreckigen Pfützen am Straßenrand versunken. Alles wäre ihm lieber gewesen, als in dieses Auto zu steigen und zum Incheon-Airport von Seoul zu fahren, mit dem Ziel, seine Heimat für immer zu verlassen. Er versuchte jetzt schon verzweifelt an dem salzigen Geruch von Fisch in der Luft festzuhalten und dem Geräusch der kreischenden Möwen und sanft schlagenden Wellen hinterher zu jagen. Dabei hatte er Busan erst vor ein paar Stunden verlassen.

Es hätte ihn schlimmer treffen können. Er musste zwar am selben Tag seines Geburtstages Abschied von seinen Freunden nehmen, all seinen Sachen packen und mit geringem Vorwissen in einen Flieger steigen, der ihn ans andere Ende der Welt bringen würde, aber es gab bestimmt weitaus schlimmeres, als einen Umzug nach Europa.

In ein wildfremdes Land, in dem ihn niemand kannte, in dem niemand Vorurteile gegenüber ihm hatte und wo er sich sein zerbrochenes Leben von neu aufbauen konnte. Vielleicht hatte er dort endlich die Change, sich selbst zu verstehen und das Chaos seiner Gedanken zu ordnen.

In der Theorie war dieser Umzug definitiv nichts schlimmes. In der Praxis jedoch graute es Jeongguk vor allem, was vor ihm lag. Sein inneres färbte sich dunkel wie der Klecks auf Papier bei den Ängsten, die seine Kehle hoch stiegen und ihn zu ersticken drohten. Er mochte sich gar nicht vorzustellen, was die schrecklichsten Szenarien auf seiner neuen Schule sein mochten.

Es gab wirklich schlimmeres, das versuchte er sich dauerhaft einzureden. Kinder in Armut zum Beispiel. Er konnte froh sein, in ein hübsches Cottage zu ziehen, mitten an der Küste in einem winzigen Dorf namens Stonewood, irgendwo in den Highland's Schottlands. Er würde das aufregende Stadtleben für immer vermissen. Jeongguk hatte sich noch nie auf dem Land gesehen. Er konnte sich gar nicht vorstellen, wie er in einem viel zu großen Garten seiner Mutter dabei half, bunte Blumen zu pflanzen oder mit seinem Vater irgendwelche Zaunlatten zu reparieren. Zuhause in Busan hatte er sich nie über sowas Gedanken machen müssen. Dort lebte er einfach nur das normale Leben eines 17-jährigen Teenagers, der von seinen Freunden ständig auf irgendwelche Partys geschliffen wurde. Der Fakt, dass er die meisten der Einladungen dankend abgelehnt hatte, blendete er gekonnt aus.

Mit einem mulmigen Kribbeln im Magen ließ er sich tiefer in den schwarzen Ledersitze sinken und krallte sich in das weiche Fell des rosa Stoffhasens, welcher das einzige neben seinem MP3 Player war, was er als Handgepäck bei sich trug. Er hörte keine Musik, die Geste mit den eingesteckten Kopfhörern in seinen Ohren war eher ein Zeichen, dass er gerade mit niemanden reden wollte. Und dass die Gespräche der mitfahrenden dadurch gedämpft wurden, kam ihm gerade recht.

Somit konnte er sich ganz darauf konzentrieren, seinen viel zu schnellen Herzschlag zu senken und seinen stockenden Atem unter Kontrolle zu bringen. Nervös wippte er mit seinem Bein hin und her und beobachtete, wie sich seine Geschwister um den letzten Schokoriegel stritten.
Ah-ro und Minjun schien dieser Umzug gar nichts auszumachen und vielleicht war es genau das, was Jeongguk so wütend auf sich selbst machte; dass er wie ein Kleinkind schmollend im Auto saß und in jeder Sekunde am liebsten die Tür aufgerissen und heraus gesprungen wäre.

Es gab schlimmeres, wie zum Beispiel Krieg und Todschlag. Dagegen war eine frische Umgebung mit neuen Menschen doch gar nichts.

Mit Sicherheit würde er sich in der Schule blamieren, da sein Englisch grauenhaft war und es Monate dauern würde, sich mit der neuen Sprache richtig einzuleben. Doch es würde bestimmt alles gut werden. Jeongguk hatte schon etliche peinliche Situationen überlebt, in denen er nichts lieber getan hätte, als sich von der nächst besten Brücke zu stürzen. Da würde er einen Schulwechsel auf die leichte Schulter nehmen.

Als sie nach einer weiteren ein-einhalb Stunden Fahrt endlich den Flughafen erreicht hatten, spiele Jeongguk kurz mit dem Gedanken, einfach von selbst zurück nach Busan zu rennen. Jetzt mal ehrlich, wer könnte ihn aufhalten? Doch es war er selbst, der sich dazu zwang ein Lächeln aufzusetzen, während er seiner seinem kleinen Bruder den Gurt öffnete und seiner Mutter mit ihrem Rucksack half. Nur ihretwegen hatte er kein Wort über die Nachteile des Umzugs verloren und sich den ganzen Frust nachts in sein Kopfkissen geschrien. Er liebte sie mehr als alles andere auf der Welt und es war ihr Kindheitstraum eines Tages ins Vereinigte Königreich zu ziehen, daher würde er niemals auch nur irgendwas schlechtes dem gegenüber sagen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 22 ⏰

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