Es musste gegen fünfzehn Uhr nachmittags gewesen sein, als ein Jugendlicher mit breitem Grinsen in das Fundbüro stürmte.
„Hi! Hab dieses Ding hier gefunden. Dachte mir ich bringe es hierher. Bekomme ich einen Finderlohn?”
„Hallo,“sagte Sam. Sie hatte sofort erkannt, was der Junge da in seinen Händen hielt. „Normalerweise gibt es erst einen Finderlohn, wenn der Besitzer den Gegenstand schon wieder hat. Aber heute mache ich eine Ausnahme, da wir nur darauf gewartet haben, dass uns irgendwer dieses Ding bringt!”
Sie gab dem Jungen vierzig Euro, der sich daraufhin schnell aus dem Staub machte. Mit klopfendem Herzen öffnete Sam den Koffer. Darin befand sich etwas, das in purpurnen Samt eingewickelt worden war. Es war zweifelsfrei das Buch. Sie konnte nicht umhin sich das Buch zumindest von außen anzusehen. Vorsichtig schob sie das Samt Tuch beiseite und blickte auf einen Dreihundert Jahre alten schwarzen Ledereinband.
„Magic Italia” stand auf dem Einband. Mehr wollte sie gar nicht sehen. Sie ahnte nun, dass der Fremde mit seiner Einschätzung wohl recht hatte. Dieses Buch war mit Sicherheit gefährlich und bestimmt sehr, sehr wertvoll. Sie wickelte das Buch wieder in das Samt Tuch und verstaute es im Koffer. Etwas neben der Spur schaute sie ihren Kollegen an.
„Hey Gregg, ich muss mal eben eine Fundsache seinem Besitzer bringen.”
Gregg schaute sie mit seinem verträumten, niemals wach wirkenden Blick an.
„Ja ja, ist schon gut, lass den armen Gregg nur wieder alleine! Hier passiert ja eh nichts, nicht wahr?”
Sam musste unwillkürlich schmunzeln.
„Nun hör schon auf, immerhin übernehme ich andauernd deine Abendschichten. Ich habe schon mehr als einen gut bei dir. Vergiss das ja nicht.”
Mit diesen Worten öffnete sie die Tür, warf Gregg noch ein verschmitztes Grinsen zu und ging aus der Tür. Eine kurze U-Bahn Fahrt und ein Stück Fußweg später erreichte sie das Hotel, das Luke angegeben hatte. An der Rezeption fragte sie nach Herrn Foster.
„Bedaure, „sagte die Rezeptionistin, „Herr Foster ist vor wenigen Minuten mit einer Frau ausgegangen. Er hat uns jedoch mitgeteilt, dass wir ihnen seinen Schlüssel geben sollen. Hier ist er, Zimmer 206 im oberen Stockwerk.“
Erstaunt nahm Sam den Schlüssel entgegen. Diese ganze Geschichte wurde immer sonderbarer.
Langsam und mit gemischten, nicht unbedingt guten Gefühlen schritt sie die Treppe nach oben. Sie wusste nicht warum, doch fühlte sie sich, als ob sie gerade einen - ihr Schicksal im höchsten Maße entscheidenden - Weg entlang lief.
Sie betrat das Zimmer des Profs. Sam setzte sich auf das von Kissen beinahe überfüllte Bett und entschied zu warten. Eine lange Stunde, in der rein gar nichts passierte verging und endlich traute Sam sich das Fernsehgerät einzuschalten. Doch schweifte ihr Blick immer wieder unwillkürlich zu dem Koffer auf dem Schreibtisch.
Jedes Mal mahnte Sam sich zur Vernunft. Doch die Neugier wuchs stetig und schließlich wurde sie von ihr übermannt. Vorsichtig öffnete sie den Koffer und befreite das Buch aus seinem Samtenen Käfig.
„Magic Italy...was für ein Schwachsinn ... aber der Einband ist echt schick.”
Sams Pulsschlag erhöhte sich schlagartig, als sie die Erste Seite öffnete.
War es Einbildung oder wurde der Raum tatsächlich kälter? Sam wischte den Gedanken mit einer schnellen Handbewegung beiseite.
„Unmöglich, jetzt lasse ich mir schon von einem Buch Angst machen, nicht zu Fassen.”
Etwas mutiger geworden blätterte sie vorsichtig in dem Buch.
Sie staunte nicht schlecht über all die Zeichnungen von Dämonen, Werkzeugen und Runen die nahezu jede dritte Seite füllten. Die Sprache konnte sie nicht verstehen. Es war ein Mix aus italienisch und einer ihr völlig unverständlichen Sprache.
Es mussten bereits Stunden vergangen sein, die sie mit dem Stöbern in dem Buch verbracht hatte. Von diesem Buch ging eine beinahe magische Anziehungskraft aus und Sam nahm dafür auch in Kauf, dass Luke sie beim Lesen erwischte.
Etwa in der Mitte des Buches fand sie einen Zettel. Sie erkannte die Schrift darauf sofort. Es war die von Luke Foster.
„Das Ritual auf Seite 60 wird uns viel Macht verleihen. Endlich werden wir im Stande sein uns von der Akademie zu trennen und selbst zu entscheiden auf welchem Weg wir wandeln. Allerdings brauchen wir dazu ein Opfer...”
Kleine Schweißperlen bildeten sich auf Sams Stirn. Schlagartig wurde sich sich darüber klar, dass sie in großer Gefahr war. Sie blätterte zum Ende des Buches. Darin lag ein weiterer, ebenfalls ein von Luke geschriebener Zettel, auf dem mehrere Sprüche übersetzt waren.
Hastig wickelte sie das Buch in den Samt ein und verstaute es in ihrer Tasche. Den Zettel mit den Sprüchen sah sie sich schnell an. Sofort fiel ihr die Sparte „Verteidigung” auf.
„Was solls, was kann es schaden sich so einen zu merken?”
Ihr Finger strich die Seite hinab und schließlich fand sie, wonach sie suchte.
„Interneco meum Inimicus, Dominus.”
„Mit diesem Spruch werden alle Feinde im Raum augenblicklich wie vom Blitz getroffen umfallen.”
Das war genau was sie brauchte. Hastig verließ sie den Raum. Als sie eilig die Treppe hinunterstürmte wurde sie unten von der Rezeptionistin empfangen.
„Wo gehen sie denn hin? Soll ich Herrn Foster etwas ausrichten?”
„Es wird Zeit für mein Abendgebet, tut mir Leid. ”
Mit diesen Worten und beschleunigtem Schritt trat Sam vor die Tür. Sie wandte sich nach rechts und wollte den Weg zu ihrer Wohnung einschlagen. Nach wenigen Metern blieb sie ruckartig stehen. Ihr Herz schlug wie wild. Dort vorne kam gerade Luke mit einer Frau um die Ecke. Er erkannte sie trotz des schummerigen Lichtes und rief sofort :
„Hallo Sam! Bringen sie mir mein Buch? Das wäre aber äußerst passend!”
Kreidebleich ging Sam ein paar Schritte rückwärts, drehte sich dann um und rannte los, so schnell sie konnte. Sie bog um eine Ecke, rannte fast einen Passanten nieder, entschuldigte sich mit einem Blick und lief weiter. Sie wusste nicht was ihr Ziel war, wusste nicht einmal, ob die beiden ihr folgten oder ob alles nur Einbildung war.
Nach mehreren hundert Metern war sie der Erschöpfung nahe und völlig aus der Puste. Sie musste einen Ort finden an dem sie sich verstecken konnte. Als ihr Blick auf das große Gebäude vor ihr fiel fing sie an zu Schmunzeln.
„Welch eine Ironie. Ausgerechnet eine Kirche.”
Ohne zu zögern betrat sie die Kirche. Eine Gruppe Asiaten besichtigte die kleine Kirche gerade, ansonsten war sie menschenleer. Sam setzte sich in eine der Sitzreihen und schaute sich um. Es gab kaum Licht in der Kirche, nur wenige Kerzen brannten. Ein hübscher, kleiner Altar stand vorn und eine reich verzierte Orgel schmückte den Raum. Allmählich wurde Sam ruhiger. Die Kirche hatte eine gewisse Aura, etwas göttliches, das seine schützende Hand über sie hielt.
Die Reisegruppe hatte die Kirche inzwischen verlassen, sie war nun ganz allein.
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Das schwarze Buch
Short StoryLuke Foster, ein verzweifelter Reisende, sucht im Hamburger Hauptbahnhof nach seinem verlorenen Aktenkoffer. Im Fundbüro trifft er auf die verschlafene Mitarbeiterin Sam, die ihm bei der Suche hilft. Doch Lukes Koffer enthält ein gefährliches Buch...