Kapitel 1

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Ein verstohlener Blick von ihr zum spiegelnden Glas ihrer Vitrine nach draußen auf die Straße. Seine Versuche, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Sie kannte nicht einmal seinen Namen und sie war sich unsicher, ob er ihren überhaupt kannte.

Ihr Nachbar gegenüber. Bloß eine schmale Einbahnstraße zwischen ihnen.

Anfangs waren seine Blicke durch das Wohnzimmerfenster ziemlich unangenehm gewesen - schließlich saß sie auf der Couch und schaute ihre Lieblingsserie. Nach einem halben Jahr war es zur Gewohnheit geworden. Sie sehnte sich nach seinen Blicken, wünschte sich, dass er mehr mit ihr anstellte, als nur eine Fantasie zu verursachen.

Seine Blicke waren anderer Natur. Sicher, dachte sie sich, habe er das alles systematisch durchdacht. So wie er manchmal schaute und ihr doch zeitweise keines Blickes würdigte. Er machte sie abhängig.
Die Art und Weise, wie er immer durch das ihr Wohnzimmerfenster nach ihr schaute, war geradezu verführerisch. Immer wenn sie ihn sah, wollte sie auf der Stelle stehen bleiben und seinen Körper begutachten, als würde sie ihn zum aller ersten Mal sehen. Seine muskulöse Arme und breite Schultern konnten sie vermutlich mühelos beschützen. - Seine kräftigen Hände stützend neben ihrem Kopf. Seine vollen Lippen hauchten eine bedrohliche Hitze auf ihre zarten Wangen, die unmittelbar erröteten. Ein Stoß, ihr Bein umschlang seine Mitte, ihre Nägel vergruben sich in seiner makellosen Haut. -

Schon wieder war sie in ihrer Fantasie versunken. Am helllichten Tag. Sein Auto war noch nicht geparkt - noch existierte die Chance, einen weiteren Blick auf seinen schönen Rücken zu erlangen, wenn er wieder absichtlich länger nach seinem Schlüssel suchte.

Sie schüttelte ihren Kopf und verbannte derart Gedanken in den Hintergrund.

Der Abend brach herein, kein Auto in Sicht gewesen. Diese Sucht machte sie verrückt. Es war gänzlich ungesund. Doch sie kam nicht von ihm weg - er hatte braune Augen. Volle braune Augen. Sie schienen jedoch dunkel, nahezu schwarz. Leider, dachte sie, war sie ihm noch nie nah genug gekommen, um es richtig zu erkennen.

Eine Vibration schreckte sie auf. Die Straßenlaternen erleuchteten schon gut zwei Stunden die Straße zwischen den beiden Haustüren, doch sie kam nicht auf die Idee, die Rollos herunterzulassen. Sein Auto hatte noch immer nicht geparkt.

Ein Blick auf ihr Handy verriet, dass ihre beste Freundin sich gemeldet hatte. Es war Zeit. Sie schnappte sich ihre Haustürschlüssel und verließ die Wohnung. Der laue Sommerabend erlaubte ihr, die knappe Shorts und das enge Crop-Top an zu lassen, bei dem er einst zweimal hinschauen musste, als er aus der Haustür kam.

Das Date ihrer Freundin war wohl kein großer Erfolg gewesen, sonst hätte sie sie nicht abholen müssen. Nicht lang gefahren, doch leicht ermüdet, parkte sie vor einer Bar mit eleganter amerikanischer Veranda. Der Stil passte zu ihrer besten Freundin - die Kneipe Oldschool. Die Scheinwerfer auf den Eingang gerichtet schaute sie nach vorn und wartete auf ihre beste Freundin. Sie ließ ihr eine Nachricht zukommen. „Bin da".
Sie schaute nach oben und sah ihre in Not geratene beste Freundin eilig hinter der Bar hervor laufen. Sie war doch nicht etwa aus dem Toilettenfenster geflohen? Da ihre Scheinwerfer noch immer zum Eingang gerichtet waren, erblickte sie plötzlich den Hinterkopf, den sie sich schon oft vorgestellt hatte, zwischen ihre Beine zu drücken. Er war dort mit Freunden gewesen. Mit einer Zigarette im Mundwinkel lehnte er lässig am Verandazaun und unterhielt sich mit seinen Freunden.

„Kannst du auf machen?", kam es von außen in einer Lautstärke, die die Jungs aufhorchen ließ. Ihre beste Freundin stand vor dem verschlossenen Auto und hatte versucht, die Tür zu öffnen.

Ihre Augen verfolgten seine Hände hinauf zu seinem Mund. Wie er mit seinen Fingern die Zigarette an seine weichen Lippen legte und sanft dran zog. Seine Wangen sogen sich ein, seine starken Finger umschlossen noch immer den kurzen Zigarettenstummel, dem er mittlerweile den letzten Zug schenkte. Er verabschiedete sich, drehte sich um und verließ in einem lockeren Gang Richtung Parkplatz die Veranda. Ihr Herzschlag ging schneller. Mit unruhigen Fingern öffnete sie die Verriegelung.

„Ey das war wirklich eines der schlimmsten Dates aller Zeiten!" - „Warte kurz hier, ich muss auf Toilette", sagte sie plötzlich gefasst. Mit ihrer zittrigen Hand öffnete sie die Fahrertür und stieg auf die taufeuchte Wiese hinaus. Die Tür knallte zu und gewann seine Beachtung. Sie brauchte die Oberhand. Ihre Blicke trafen sich - ein Blitz fuhr durch seinen Körper. Wie in Zeitlupe näherten sich ihre Körper. Ihre Brust, die bloß mit einem dünnen Seidenstoff bedeckt war, bebte vor Spannung. Seine braunen Augen wanderten von ihren Lippen hinunter auf ihre Mitte, ihren Bauchnabel und mit einem begehrenden Blick zurück in ihre tiefblauen Augen. Als sie bloße zwei Meter trennten, verringerte er den Abstand, der sich zwischen ihren Schultern befand. Sein Atem hielt an. Er wurde langsamer, als er sie erreicht hatte. Seine Hand strich an der ihren vorbei. Er hatte sie gestreckt, anders konnte sie es sich nicht erklären. Seine Haut an ihrer ließ ihre Nerven durchbrennen. Sie zog scharf die Luft ein und schaute ihm in seine dunkelbraunen Augen, als sie sich wieder langsam von ihm entfernte. Die Meter zwischen ihnen nahmen zu. Ebenso das Verlangen nach mehr - Seine Hand strich ihre. Seine andere griff nach ihrer Taille und packte sie grob. Er zog sie ohne Anstrengung an seinen harten Körper. - Die Bilder in ihrem Kopf glichen einem Tornado.

„Was war das denn?", fragte ihre beste Freundin sie, als der Toilettengang, der in Wirklichkeit keiner war, verrichtet war und die beiden sich im Auto auf dem Weg nach Hause befanden. „Shari!", rüttelte ihre beste Freundin sie wach. „Jah...", atmete sie aus und fuhr um die nächste Kurve. „Ist das nicht dein Nachbar gewesen?" - „Wie war dein Date?", wechselte Shari trocken das Thema. Auf dem Beifahrersitz wurde geseufzt.

„Jemand, der andauernd von seiner Ex redet, sollte nicht auf Dates gehen", beschwerte sie sich. „Das hat mir meine Zeit gestohlen, den Abend hätte ich auch anders verbringen können. Ich wollte eigentlich was mit dir machen", sagte sie sanft. Shari schenkte ihr einen kurzen, lieben Blick. „Du hast draus gelernt - einfach nicht unbedingt was erzwingen..." - „Lieber den Stalker stalken", beendete ihre beste Freundin den Satz. Shari rollte mit den Augen. „Da ist nichts bei. Er ist einfach geil, was soll ich machen", zuckte sie lässig mit ihren Schultern. „Dir nicht die Finger verbrennen."

„Bis Montag", verabschiedeten sie sich, bevor Shari nach Hause fuhr. Sie bog gerade eben in ihre schmale Straße ein, als sie eine offene Autotür unter der Laterne wahrnahm. Direkt neben ihrer Haustür. Er saß dort und suchte nach etwas - natürlich, dachte sie sich schwer atmend. Sie verlangsamte ihr Tempo, bog auf den Garagenhof hinter ihrer Wohnung, parkte, schloss das Garagentor und war für ihn aus dem Sichtfeld verschwunden.

Um weiterhin den Ton anzugeben, ging sie durch die Hinterhoftür zu ihrer Wohnung, um ihm nicht die Genugtuung zu geben. Sie hörte ihn noch immer an seinem Auto. Ihr Herz pochte heftig, denn sie hatte vergessen, die Rollos herunterzulassen. Da sie im Erdgeschoss ziemlich tief gelegene Fenster besaß, ließ ihn das Licht im Wohnzimmer perfekt hineinsehen. Sein kurzer Blick hinein verriet ihr, dass er nur auf sie gewartet hatte - wie erwartet. Dieses Spiel gewann heute sie.

Sie zog langsam ihre Schuhe aus. Mit ihren Händen spielte sie verstohlen am Band ihrer knappen Shorts, während sie unauffällig in seine Richtung schaute, sofern es mit den Lichtquellen um sie herum möglich war. Er tat immer noch so, als würde er irgendwas im Innenraum seines Autos suchen, doch seine Augen fixierten ihren schmalen, mit ihm spielenden Körper. Sie stand dort, neben ihrer Couch im Wohnzimmer. Die Shorts rutschte allmählich herunter auf ihre Hüftknochen, wodurch er einen Blick auf ihre Unterwäsche erhaschen konnte. Es schien, als sei sein Mund staubtrocken geworden, denn er leckte kurz über seine Oberlippe. Bevor er überhaupt noch mehr zu sehen bekam, verließ sie ohne Weiteres das Wohnzimmer. Sie war einfach gegangen. Ins Schlafzimmer. Wo die Rollos schon nach unten gezogen waren.

In dieser Nacht würde sie dabei an ihn denken. So wie die Nacht zuvor. Und zuvor.

StalkedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt