5. Rauchgebilde (Teil 1)

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Ich weiß noch genau wie er kam. Ich saß auf dieser Bank, im Park. Vögel zwitscherten. Es hatte geregnet und die Luft roch gut. Ich atmete einmal tief ein. Zog die feuchte Luft durch meine Lungen und spuckte sie wieder aus. Im Grunde hatte ich dies später auch mit ihm getan. Ihn genussvoll eingeatmet um ihn brutal auszuspucken, von mir wegzustoßen. Ich war zu schwach, ein beschissener Feigling.
Die Bank war noch feucht. Eine Ameise lief über meine nackten Zehen. Ich zerquetschte sie. Nahm mir das Recht sie zu töten, welches mir nicht zustand. Aber das ist das Problem eines jeden Menschen. Sobald er größer, überlegen ist, hat er alle Rechte für sich gepachtet. Darf tun was er will. Auch wenn das eine Lüge ist. Eine traurige Lüge.
Ich betrachtete den schwarzen Fleck auf meinem dreckigen Fuß. Ein leichtes spöttisches Lachen lag auf meinen Lippen. Gleichzeitig hasste ich mich. Und dann kam er. Er setzte sich neben mich, auf die feuchte Bank. Einfach so. Ohne mich vorher anzuschauen. Meine Augen zuckten nach links. Ich starrte ihn von der Seite an. Mir war egal, dass er es bemerkte. Er hatte sehr weiße Haut. Und sehr dunkles Haar. Er musste es selber geschnitten haben, denn es hing mal kürzer mal länger von seinem Kopf herunter. Es war naß, vom Regen. Dichte dunkle Wimpern umkreisten seine riesigen Augen. Ich habe vergessen welche Augenfarbe er hatte. Jedes mal wenn ich daran denke zerspringt etwas in mir. Ich verstehe nicht, wie ich vergessen konnte welche Farbe es war. Ich habe sie sehr oft angeschaut. Aber vielleicht habe ich das Dahinter gesehen und nicht die Hülle.
Wir saßen beide eine Weile auf der Bank. Dann zündete er sich eine Zigarette an. Blies wunderschönen Rauch in die Luft. Ich beobachtete die Gebilde die entstanden. Ich rauchte nicht, hatte aber ein unglaubliches Verlangen danach, ich wollte auch Rauchgebilde zaubern können. Irgendwann gab er mir die Zigarette. Ich zog. Atmete tief ein, inhalierte den Rauch. Hustete. Verschluckte mich. Meine Augen tränten und ich übergab mich in den nächsten Busch. Dann zog ich noch einmal. Und noch einmal. Ich fühlte mich wie ein Drache. Rauch waberte um meinen Körper, kam aus meiner Nase, meinem Mund. In meinem Innern brannten Flammen. Ich rauchte, bis die Zigarette so klein war wie der Nagel meines Daumens. Ich verbrannte mich an dem glühenden Stummel und ließ ihn fallen. Ich entschuldigte mich nicht bei ihm. Er hatte sie mir freiwillig überlassen. Es war seine Entscheidung gewesen, genau wie alles andere was danach geschah.
Meine Lungen kratzen. Mein Mund schmeckte nach Rauch. In Zigaretten ist Pisse, dachte ich. Ekelhaft. Aber es hatte mir geschmeckt.
Dann stand er auf. Blickte mich lange an. Blickte meine Augen an. Ob er noch weiß, welche Augenfarbe ich habe?
Und dann, ganz plötzlich, griff er nach meiner Hand und zog mich mit sich. Es fing wieder an zu regnen. Meine Schulterlangen schwarzen Haare klebten auf meiner blassen Haut. Ich lief neben ihm. Ganz dicht. Er wärmte mich und dafür war ich ihm dankbar. Ich verschränkte meine Finger mit seinen. Er hatte kurze Nägel und harte Fingerkuppen. Ein Geiger, dachte ich.
"Spielst du mir etwas vor?"
Meine Stimme klang rau und ging im Geprassel des Regens fast unter.
"Ich spiele schon, hörst du es nicht?"
Nein, ich hörte nichts.
"Die Vögel singen nicht mehr."
"Aber ich singe."
"Es ist schon dunkel."
"Es ist ein wenig Zeit vergangen."
"Wie viel ist wenig?"
Ich hatte das Gefühl, als befände ich mich in einem Traum. Ich schwebte. Flog über den Park, über die Bäume hinaus. In den nassen Himmel hinein.
Doch die Zeit sollte vergehen und mein Flug sollte bald enden.

Alle denken, niemand weissWo Geschichten leben. Entdecke jetzt