II

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Seine Eltern entschuldigten sich erst am nächsten Morgen, auf dem Weg zu dem Experten, der ihn testen sollte.
Sie würden ihn doch lieben.
Sie würden ihn sehr lieben.
Argumentativ ziemlich schwach.

Der Experte stellte Fragen, schrieb etwas auf, stellte noch mehr Fragen.
Christoph ließ es über sich ergehen und war insgeheim neugierig, was herauskommen würde.

Etliche Tests und Experten später hatten seine Eltern immer noch keine genaue Diagnose, was mit ihm nicht stimmte. Schizophrenie hielten sie für am wahrscheinlichsten.
Zumindest eine Lösung hatten sie gefunden.
Eine Schule, die für „Fälle wie ihn" geeignet war und zufällig im Nachbarort lag.

Manchmal hatte Christoph allerdings eher das Gefühl, dass es in „Schule für Kinder und Jugendliche mit schwierigen Eltern" umbenannt werden sollte.
Die waren um Einiges schlimmer als ihre Töchter und Söhne.

Allerdings konnte niemand den Schulleiter William Werfel übertreffen, der von den Schülern hinter vorgehaltener Hand T-Rex Werfel genannt wurde. Er soll mal netter gewesen sein, aber das konnte sich Christoph beim besten William nicht vorstellen.
Der Typ hatte eindeutig etwas zu verbergen.

Doch den eigentlichen Zweck, ihm mit seiner „Krankheit" zu helfen, erfüllte die Schule nicht.
Im Gegenteil, es wurde noch schlimmer.
Manchmal klangen die Stimmen so schrill und panisch, dass seine Ohren anfingen zu pfeifen und seine Sicht verschwamm.

Mit der Zeit gewöhnte Christoph sich daran und freundete sich sogar mit einer Stimme beziehungsweise Statue an.
Er folgte ihr eines Nachts (es war nicht das erste Mal, dass er heimlich in der Schule übernachtete) und fand sie eingesperrt auf dem Dachboden.
Ein Schüler in seinem Alter mit einem Loch in der Brust.

„Hey" Eigentlich lagen ihm tausende Fragen auf der Zunge, aber er stellte keine.
Die Statue zuckte zusammen, drehte sich um und starrte ihn an als hätte er sich vor seinen Augen nackt ausgezogen.
„Du bist meinen Rufen gefolgt. Du kannst mich hören" Weshalb sollte Christoph in sonst begrüßen? Er war kein Verrückter, der sich mit Brunnenfiguren unterhielt (Gut, das war gelogen).

„Ja, nicht nur dich" Doch seine Stimme war... nun, durchdringend.
„Das... ist, also wie... seit wann? Und wer bist du?"
„Wie weiß ich nicht; schon ziemlich lange. Ich heiße Christoph", stellte er sich vor. „Und du?"
„Clemens, erfreut ihre Bekanntschaft zu machen" Er deutete eine Verbeugung an.
Ganz schön extravagant, der Gute.

„Warum schreist du dauernd? Du übertönst sogar das Listening und das soll was heißen"
„Ich..." Clemens griff sich an die Stirn, bevor er fortfuhr. „Ich versuche die Schüler vor Werfel zu beschützen. Er ist der Grund für das hier"
Er deutete erst auf sich und dann den Dachboden.

Neben den üblichen Schulüberresten wie veraltete Karten und kaputte Stühle gab es einen Haufen Schutt, der bei genauerem Hinschauen nicht nur aus Spinnen, Netzen und Staub bestand.
Christoph stellte entsetzt fest, dass es zerbrochene Statuen waren.
Farblich ein Himmel kurz vorm Regen mit vereinzelten Wolken. Eine Hand zeigte in eine undefinierbare Richtung und einem Gesicht fehlte die Nase.
Außerdem spürte der Sechzehnjährige neugierige Blicke auf sich. Ein leises Tuscheln dröhnte in seinem Kopf.

Er ist hierhergekommen
Wir sind gerettet
Wir kennen ihn doch gar nicht, Flo
Vielleicht ist das nur ein Trick

Christoph presste sich die Hände auf die Ohren, auch wenn er wusste, dass es nichts brachte. Die Stimmen waren schließlich in seinem Kopf.
Aber so hörte er zumindest nur die Stimmen und nichts Anderes.
Er zählte im Kopf langsam und konzentriert von 100 herunter. Sein Ohr, dass sehr geräuschempfindlich war, beruhigte sich und hörte auf zu pfeifen.

Mein Beitrag zum Ideenzauberaward 2024Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt