Ich beginne, dich auf den Rücken zu wälzen. Du bist so seltsam schwer, viel schwerer, als bei unseren unzähligen Liebesnächten, in denen ich dich aufs Bett geworfen habe. Ich achte darauf, dass meine blutigen Finger nicht dein Kleid besudeln. Du trägst dasselbe wie auf unserem ersten Date. Zunächst hat es mich verletzt, dich darin zu sehen, weil ich weiß, von wem du gekommen bist, als du eben die Hofeinfahrt hinaufgeradelt bist – aber verflucht, dieser Fetzen Stoff steht dir so verdammt gut.
Bevor du stirbst, will ich dir das noch sagen. Und wie sehr ich dich brauche und dass ich dir verzeihen will. Denn vielleicht hast du dich ja selbst verirrt und wünscht dir die Zeit, die wir miteinander hatten, genauso zurück.
Selbst dein jetzt so erbärmlicher Anblick lässt mich nicht kalt – die Stirn voller Blut und die Augen geschlossen, die Nase ist bei deinem Sturz gebrochen. Als ich mich erhebe, trage ich dich auf Händen, um dich ein Stück weiter ins Gras zu legen, unter den wilden Wein, der sich an unserer Hausfassade entlangrankt. Doch dabei stolpere ich und lasse dich fast fallen.
Es ist ein schwerer Felsbrocken, der ursprünglich als Zierde in den Steingarten gehört. Stattdessen ist er so seltsam grotesk in der Hofeinfahrt gelandet und versperrt uns nun den Weg zu deinem Ruhebett. Ich merke, wie meine Hände unter der antrocknenden Blutschicht zu schwitzen beginnen. Die Hände, die vorhin nicht dich, sondern den schweren Stein aus dem Garten getragen haben.
Ich musste ihn holen, mein Zorn ist förmlich explodiert, als ich dich deine Fahrradklingel schellen lassen hörte, als sei nichts vorgefallen. Unverfroren, als wolltest du mir wie immer das Signal deiner Heimkehr geben, mir Erleichterung verschaffen, während du dich noch im Parfüm des anderen suhlst. Dreist, als wolltest du mich in Sicherheit wiegen, während du mir gleichzeitig ein Dolch ins Herz rammst.
Der schwere Stein holte und trug sich viel leichter als jetzt dich – beflügelt von meinem Schmerz, meiner Enttäuschung, meiner Wut, wusste ich, es brauch eine Katharsis, um uns neu aufzubauen. Ich habe dich gesehen, wie du mit dem Rücken zu mir dabei warst, von deinem Fahrrad zu steigen. Ich wollte die Schlange in dir erschlagen, dir mit dem Brocken dein falsches Lächeln im Gesicht zerschmettern – aber vor allem den Dolch zwischen uns zertrümmern...
Und nun bin ich wieder ganz ruhig – ich weiß, dass mir zum falschen Zeitpunkt eine Sicherung durchgebrannt ist. Du darfst noch nicht gehen. Bevor du stirbst, muss ich noch einmal mit dir sprechen. Du wirst dich entschuldigen und ich werde dir verzeihen. Ich werde uns rächen und unsere Liebe retten, damit wir im nächsten Juni wieder im Weinberg unter den Sternen tanzen können. Ich mit dir. So und nicht anders sollte es jemals sein.
„Komm zu mir zurück", wispere ich. „Ich weiß, es tut dir leid."
Plötzlich flattern deine Lider, ein heller Blick flackert darunter auf. Und du fauchst mir entgegen: „Du Arschloch! Ich wusste es." Gleichzeitig versenkst du etwas in mir. Ich glaube, es ist eine Klinge, vielleicht ein echter Dolch. Und du lässt ihn nicht los, selbst dann nicht, als ich dich fallen lasse. Mich durchfährt ein glühender Schmerz und du reißt das Messer aus mir heraus, während ich neben dir zu Boden gehe.
„Du bist tot, bevor ich sterbe", ächzt du.
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