Es war einmal ein kleines achtjähriges Mädchen, das hieß Agatha. Agatha war ein liebes und nettes Kind, doch in der Schule wurde sie von den anderen Kindern ausgelacht, denn: Sie hatte sehr lange Arme.
"Du Affe!", riefen die anderen Kinder ihr auf dem Schulweg zu.
"Du Tollpatsch!", schimpfte der Hausmeister, als Agatha mit ihren Armen aus Versehen die Mülleimer umschmiss.
"Du Schummler!", sagte Otto im Sportunterricht, wenn Agatha mal wieder am Weitesten warf.
Auch die Lehrer waren nicht erfreut über Agathas lange Arme. "Die müssen umoperiert werden," sagte Frau Pokelpilz ihren Eltern beim Elterngespräch, "die stören nur alle anderen."
Das machte Agatha traurig, denn eigentlich mochte sie ihre Arme. Sie waren sehr stark, sie konnte mit ihnen weit werfen und auch gut auf ihnen tanzen. Klar, oft stieß sie auch Sachen um, doch gab es eben Nachteile und Vorteile. Warum sollte sie ihre Arme operieren, damit die anderen glücklich waren?
Doch ihre Eltern bestanden darauf und so gingen sie eines Samstagnachmittags zu Doktor Messerscharf. Doktor Messerscharf war eine große Frau mit rabenschwarzen Haaren und einer spitzen viereckigen Brille. Ihre Augen blitzten scharf, als Agatha mit ihren Eltern in das Behandlungszimmer kam.
"Du bist also das Kind mit den langen Armen?", fragte Doktor Messerscharf mit einer beißenden Stimme. "Medizinisch gesehen ist das kein Problem, aber es sieht natürlich blöd aus. Da können wir doch bestimmt was gegen machen."
Sie besprach die Operation mit ihren Eltern und obwohl Agatha dagegen war, stand es fest: Ihre Arme würden in drei Wochen kürzer operiert werden.
"Du solltest dich wirklich mit dieser Operation abfinden," sagte Doktor Messerscharf zum Abschied, "Anders zu sein tut schließlich niemandem gut."
Also sah Agatha voller Angst dem Samstag in drei Wochen entgegen.
Am nächsten Montag ging die Klasse von Agatha auf einen Ausflug auf Burg Falkenhof. Agatha mochte Ausflüge nicht, weil sie dort immer Menschen traf, die sie nicht kannte und die auf ihre langen Arme starrten. Vielleicht war die Idee der Operation also doch nicht so schlecht?, überlegte sie, während die Klasse den Berg der Burg hochstapfte. Dann würde sie wenigstens weniger auffallen.
In der Burg angekommen machten sie eine Führung. Als sie an zwei Ritterrüstungen vorbeigingen, schubste Maria Agatha, die sich verzweifelt versuchte, irgendwo festzuhalten. Ihre langen Arme erwischten die Ritterrüstung, die mit einem riesigen Radau zu Boden fiel und Agatha mit ihr.
"AGATHA!", schrie Frau Pokelpilz, "Nie kann man irgendwo mit dir hingehen!"
Agatha entschuldigte sich kleinlaut und verschränkte ihre Arme für den Rest der Führung, damit sie nirgendwo gegen kommen konnten. Sie schämte sich. Insgeheim begann sie, sich auf die Operation in drei Wochen zu freuen.
Zum Ende der Führung gingen sie über die Tieffallbrücke, die so hieß, weil sie über einen Abgrund führte, in den man tief fallen konnte. Staunend sahen die Kinder nach unten, warfen Steine und zählten die Sekunden, bis sie schließlich unten angekommen waren.
Einige aber nahmen die Höhe ganz und gar nicht ernst. Maria und ihre Freunde Anton und Samirah liefen auf der Brücke hin und her und schrien vergnügt. Maria, die mutigste der drei kletterte sogar das Geländer der Brücke hoch, als Frau Pokelpilz nicht hinschaute.
"Schaut mal!", rief sie zu ihren Freunden hin, als sie auf dem Geländer balancierte, "Ich bin eine Zirkusartist- UAAAAAAAAH!"
Sie hatte das Gleichgewicht verloren und rutschte vom Geländer ab. Wie in Zeitlupe sahen die Kinder und Lehrer Maria schreiend in Richtung Abgrund fallen-
Agatha aber handelte geistesgegenwärtig. Sie rannte auf die Stelle zu, an der Maria gefallen war und sprang selbst über das Geländer. Mit einem Arm hielt sie sich fest, mit dem anderen griff sie verzweifelt nach Maria.
Der Schrie unter ihr verstummte, dafür schrien nun alle Personen auf der Brücke. Mit ihren kräftigen Armen zog Agatha sich selbst und Maria wieder nach oben und auf die Brücke. Erleichterte Gesichter erwarteten sie, bald brachen alle in Jubel aus. Samirah umarmte ihre Freundin Maria weinend, während Agatha sich erschöpft gegen das Geländer lehnte.
Frau Pokelpilz kam auf Agatha zugerannt. Ihr fehlten die Worte. "Agatha, das war- du hast-"
"Mich gerettet!", jubelte Maria, "Und das nur wegen deinen langen Armen!"
Agatha lächelte erleichtert. Ja, sie hatte Maria gerettet. Was auch immer für Nachtteile ihre Arme hatten, ohne sie wäre Maria verloren gewesen. Ihre Arme machten sie zu einer einzigartigen Retterin.
"Es tut mir leid, dass ich dich eben geschubst habe, Agatha," entschuldigte sich Maria, "Deine Arme sind doch nicht so blöd. Sie haben mir das Leben gerettet!"
Agatha lächelte Maria nur an. Egal, was sie eben noch gedacht hatte, sie würde es nicht zulassen, dass ihr die Arme operiert wurden. Denn wer wusste schon, wer alles in Zukunft ihre rettenden Arme gebrauchen konnte?
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Agatha mit den langen Armen
General FictionAgatha ist 8 Jahre alt und hat ein Problem: Ihre Arme sind so lang, dass sie bis auf den Boden hängen. In der Schule wird sie ausgelacht und ständig bleibt sie mit ihren langen Armen überall hängen. Doch können lange Arme nicht auch für etwas gut se...