5 - Min Joon

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Es war nun eine Woche vergangen als Dad uns mitgeteilt hatte, dass Mom tot war.
Für mich ergab es einfach keinen Sinn, wieso Mom sterben musste. Es musste einen Grund geben. Aber welchen? Diese Ungewissheit gab mir fürchterliche anxiety. Am liebsten würde ich selber Ermittlungen anstellen, aber das kam natürlich nicht in Frage.
Ich versuchte, mich mit Uni stuff abzulenken, klappte aber nur semi-gut. Min Won erging es ähnlich. Doch ihm viel es dennoch etwas einfacher.
Die meiste Zeit blieben wir nur unter uns und es kam mir auch so vor, als würden die anderen Studierenden auch gar keine Notiz von uns nehmen. Vielleicht war dies auch das Beste. Genau so wollte es Dad ja auch haben.
Nach dem Mittagessen verabschiedete ich mich von Min Won und wir gingen jeweils zu unseren Kursen.
Ich setzte mich rechts an den Rand und hörte Musik, bis der Professor in den Hörsaal kam. Und als ich meine AirPods aus meinen Ohren herausnahm, konnte ich Gesprächsfetzen ausmachen.
>> Es ist einfach ein Mord in meinem Wohnkomplex passiert. <<
>> Omg, ich würd sofort umziehen. <<
Weiter hörte ich nicht, weil die zwei Mädels nun zu weit weg von mir waren.
>> Sorry, kann ich mich setzen? <<
Ich wandte mich um und sah einen attraktiven Studenten neben mir. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Ich konnte nur nicken.
>> Schluss mit dem Geschnatter <<, sprach nun der Professor für Rechnungswesen ein Machtwort. Sofort verstummten alle.
>> Geht doch. <<
Anschließend öffnete er die PowerPoint Presentation und begann mit dem Kurs.
Ich schrieb alles mit, was ich für wichtig hielt. Und wenn der Professor eine Frage stellte, hob ich meine Hand nur, wenn ich es wirklich wusste. Oftmals wurde ich auch gar nicht dran genommen.
Ich war eigentlich nur froh, als der Professor seine Sachen packte und ging.
Abermals aktivierte ich meine AirPods und hörte Musik. So musste ich wenigstens das laute Gerede um mich herum nicht ertragen.
Gerade wollte ich mein Smartphone wieder auf den Tisch legen, da trudelte eine Nachricht von Min Won rein.

Min Won
wann hast du heute Schluss?

Ich
16 Uhr

Min Won
okay, warte dann in der Mensa auf dich
wollen wir dann noch irgendwo was essen?

Ich
Gerne

Dann legte ich mein Smartphone wieder auf den Tisch, wartete darauf, dass der nächste Professor den Raum betrat und sah die ganze Zeit zur Tür. Deswegen erschrak ich mich, als ich ein Tippen auf meiner rechten Schulter wahrnahm.
Reflexartig zog ich meine Kopfhörer aus meinen Ohren und sah zur Seite. Ich wusste nicht, wie mein Gesichtsausdruck aussah, aber anscheinend wirkte ich auf den jungen Mann einschüchternd, doch bekam sich recht schnell wieder in den Griff. Zudem lächelte er leicht.
>> Hi, ich wollte dich schon letzte Woche ansprechen, aber bin nicht dazu gekommen <<, begann er. >> Ich bin Mentor und mir wurde gesagt, dass ich es einen neuen Studenten im Betriebswirtschaftlichen Bereich gibt. Das musst wohl du sein. << Abermals lächelte er.
>> Ja, das ist richtig <<, konnte ich nur erwidern bei dieser Informationsflut.
>> Mein Name ist Jae Jun. Kannst mich aber einfach nur Jae nennen. <<
Ich nickte.
>> Wenn du Hilfe brauchst, kannst du mir schreiben oder anrufen. Wie du willst <<, sagte Jae, der gerade dabei war, mir seine KakaoID aufzuschreiben. Lächelnd schob er mir den Notizzettel zu, wo auch nochmals sein Name vermerkt war.
>> Danke. << Und hoffte, er würde mich nun in Ruhe lassen.
Zwar schien er nett zu sein, aber im Moment hatte ich keine große Lust, mich mit anderen Personen einzulassen. Am liebsten würde ich mich in meinem Zimmer verkriechen, aber das wäre eher kontraproduktiv.

Pünktlich um 16 Uhr beendete der Professor den Kurs und entließ uns für heute. Redend packte jeder seine Sachen zusammen.
Ich machte extra langsam, sodass ich ganz am Schluss hinaus gehen konnte. Und ich war sehr froh darüber, als Jae mit den anderen Studierenden aus dem Lehrsaal ging. Und wie ich es wollte, bildete ich das Schlusslicht. Na ja, außer noch eine andere Studentin, die anscheinend tief und fest schlief.
Schnurstracks ging ich zur Mensa, wo ich sofort Min Wons Hinterkopf ausmachen konnte.
Ich tippte ihn an, als ich neben ihm stand. Wie ich, hörte er ständig Musik.
Min Won wandte sich zu mir und sofort stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht als er merkte, dass ich es war, schaltete die Musik aus.
>> Alles okay bei dir? <<, fragte er nach, woraufhin ich nickte. >> Wollen wir dort hin? <<
Während Min Won das fragte, streckte er mir sein Smartphone entgegen.
Kurz las ich mir durch, was es so gab und sagte dann: >> Ja, ist in Ordnung. <<
>> Supi. <<
Anschließend verließen wir die Uni und gingen zum Rand des Bürgersteigs, sodass Min Won ein Taxi zu uns winken konnte.
Es dauerte nicht lange, bis eines anhielt und wir stiegen ein.
Mein Bruder sagte dem Fahrer die Adresse, welcher daraufhin los fuhr. Über der ganzen Fahrt über wurde nicht gesprochen, was mir auch ganz lieb war. Und obwohl wir nicht über den Tod von Mom sprachen, wussten wir beide von einander, dass es uns weh tat. Uns war es auch genauso klar, dass wir es verdrängten.

The Missing BloodlineWo Geschichten leben. Entdecke jetzt