Das eher ländliche Princeton und das chaotische Chicago waren ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während es in Princetown, in meiner Heimatstadt ab circa 23 Uhr totenstill auf den Straßen war, wurde es in Chicago niemals ganz still. Irgendjemand war immer noch draußen und schrie rum oder tat was weiß ich was. Nicht weit entfernt schmetterten die Züge alle halbe stunde über die gleise. Wirklich schnell lernte ich, in Chicago war es niemals still und es war die Stille, die ich zuerst am meisten an Zuhause vermisste. 

Doch alles von Anfang an. 

Mein Leben lang lebte ich in einem kleinen Reihenhaus mit weißen Zaun vor der Türe in Princeton, einer Kleinstadt mit gerade einmal 8.00 Einwohnern. Ganze 17Jahre lang lief alles so ziemlich nach Plan. Nach dem Plan einer perfekten amerikanischen, Kleinstadt- Familie. Mein Vater arbeitete als Rechtsanwalt und verdiente gutes Geld, meine Mutter zog meinen Bruder und mich in einem großen, ordentlichen und sicheren Haus groß. Daher kam es, dass ich mich mein Leben lang als ziemlich gewöhnlich beschrieben hatte. Ich fiel nicht besonders aus aber ging in meiner Kleinstadt Idylle auch nicht komplett unter. Ich war höflich und nett und traf meistens auf Menschen, die genauso waren. 

Dieser Sommer war einer der heißesten seit Jahren gewesen. Als ich nach 4 Wochen bei meinen Großeltern zurück kam war jedes Feld ausgetrocknet und der Bach, der eigentlich an manchen stellen in der Stadt floss, existierte schon lange nicht mehr. Obwohl ich froh war, als mir die kalte Luft im Haus entgegenkam, fühlte es sich doch komisch an jetzt hier zu sein, denn diesen Sommer hatte sich alles geändert. Entgegen all meiner Vorstellungen und allem was ich bis jetzt kannte, platze der amerikanische Traum für die meisten Menschen früher oder später immer. Bei mir geschah das als ich 17 war. irgendwann im Mai hatte meine Mom rausgefunden, dass mein Vater eine Affäre hatte und zog überstürzt aus. Ein Haus auf dem Land konnte sie sich wohl kaum leisten also mietete sie mit ihrem wenigen Geld eine Wohnung in einem Wohnkomplex in der Millionenstadt Chicago. Ohne sie war das Haus so leer, gespenstisch ruhig. 

Ich war ein letztes mal hier um meine letzen, prall mit Klamotten, gefüllten Sporttaschen abzuholen. Denn hier mit einem Vater zu leben, der mit seinem alten Leben abschließen wollte, kam mir nicht in den Sinn. Und so kam es, dass aus 8.000 Mitbewohnern meiner Stadt, 2.800.000 wurden und ich einen weiß lackierten Gartenzaun, gegen ein mit Graffiti besprühtes Treppenhaus austauschen musste. Tief holte ich Luft und stieg in den laufenden Wagen vor der Tür. Ich sah sie von der Seite an. Oft wurde mir gesagt ich sah aus wie meine Mom. Die selben langen schwarz, lockigen Haare. Die selben warmen braunen Augen.  Ich sah ihr ähnlich und das nahm ich auf jeden Fall als Kompliment. 

Sie sah mich aus dem Augenwinkel an. "Hast du alles? nichts vergessen?" "nein." sagte ich nur. In ihren Augen funkelten wieder die verräterischen Tränen auf. "Du musst nicht gehen, nicht weil du mir etwas beweisen willst. Ein Neuanfang ist nicht leicht, Eve." sagte sie dann. Wieder dieses Thema. Sie machte sich Vorwürfe weil sie mich und Alex aus einem Leben zog in dem eigentlich alles perfekt für uns zu laufen schien.

Beim fahren griff ich nach ihrer Hand. "Wenn du einen Neuanfang machst, dann will ich auch einen" sagte ich nur und lächelte sie leicht an. Das lächeln überspielte die Angst, die ich zurecht vor meinem neuen Leben hatte. Ich wusste nicht viel über Chicago aber was ich wusste war, dass dieses Leben Welten von meinem jetzigen entfernt war. Man könnte sie nicht mal auf dem gleichen Kontinent vereinen, auf dem gleichen Stern. Es war ein anderes Leben und eigentlich war es nicht meins. 

In Chicago angekommen griff ich nach den beiden Taschen und lief hoch. vier Stockwerke und der Aufzug war zur zeit defekt. Wenigstens wurde ich, dann fitter und das hatte ich nötig. Ich klingelte und Rang dabei nach Luft. Alex öffnete. Die Wohnung war klein, jeder hatte aber ein Zimmer also reichte sie. Meine neue Schule war 10 Minuten entfernt und jede Nacht, wenn ich in meinem Bett lag und an meinen ersten Tag dachte brach der Angstschweiz aus. Die Schule war groß und kalt, zumindest das Gebäude. Wenn man den Namen der schule googelte handelte es sich bei den ersten drei Artikeln um festnahmen nach einer Razzia an der Schule. 

An dem Abend vor meinem ersten Schultag, kam meine Mutter noch einmal in mein Zimmer. "Du warst schon immer mutig. du findest neue Freunde, Eve. Du konntest dich schon immer gut anpassen. Ich mache mir eher sorgen um Alex. Er ist noch so jung, dass er leicht beeinflusst wird" sagte sie. Wenigstens war ich nicht das Sorgenkind. Etwas sorgen machte ich mir auch um Alex. Er war 15, ein Alter in dem man einfach nur dazu gehören wollte. Die Wahrheit war aber, dass ich wegen meinem Drang von jedem gemocht werden zu wollen, wohl mindestens genauso dazu gehören wollte. Mit diesem Gedanken schlief ich schließlich zu den fernen Stadtgeräuschen, die durch mein Fenster drangen ein. 


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