Freitag, 07. Juli 2023

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Mittlerweile bewegte ich mich in einem ständigen auf und ab. Seit meinem letzten Suizidversuch hatte ich viel an mir gearbeitet, um weniger auf schädliche Verhaltensweisen zurückzugreifen, die Alpträume, die Schlaflosigkeit, die Flashbacks und der Alkohol waren dennoch mein täglicher Begleiter. Meine Eltern verstanden sich nun sehr gut und meine Mutter war zufrieden, dass sie mit meinem Vater zusammengeblieben war, die beiden hatten ihre Krise überwunden. Auch wenn meine Mutter mir des Öfteren verletzende Sprüche an den Kopf warf, war ansonsten alles friedlich zu Hause. Es war fremd, denn das erste Mal in den 17 Jahren meines Lebens kehrte Ruhe und Harmonie ein.

An diesem Freitagabend war ich mit einer Freundin in der Stadt unterwegs. Wir setzten uns in verschiedene Bars, tranken Alkohol, rauchten Zigaretten und redeten. Es tat mir gut und ich fühlte mich wohl. In einer der Bars trafen wir einen älteren Herren, anfangs wirkte er sehr charmant und freundlich. Ich dachte mir nicht viel dabei, er hatte vermutlich schon einiges getrunken. Ganz schnell kippte das Ganze jedoch, als ich plötzlich merkte, wie er mit seiner Hand meine Hüfte umschloss, es war dieselbe Stelle, welche der Täter beim sexuellen Missbrauch und der Belästigung berührt hatte. Sofort waren alle Gefühle zurück, die Angst, die Scham, der Ekel und es zerriss mich von innen heraus. Die Flashbacks setzten ein und ich sah den Täter vor mir stehen, als wäre er wirklich da. Vor meinen Augen blitzte auf, was er mit mir getan hatte und geistig war ich erneut am Freitag, dem 18. November 2022. Der Mann versuchte mich zu überreden mit ihm mitzugehen und meine Freundin zurückzulassen. Innerhalb von Sekunden war das Trauma wieder hochgekommen, ich hatte es nie verarbeitet in der Hoffnung ich würde es einfach vergessen können, aber dafür war es nun zu spät. Ich wimmelte das Arschloch von Mensch ab, entschuldigte mich bei meiner Freundin und ging an die frische Luft. Sofort zündete ich mir eine Zigarette an und versuchte nicht zusammenzubrechen, indem ich mich auf das Rauchen fokussierte. Ich hatte ein Engegefühl in der Brust, ich konnte nicht atmen und mir wurde schwindelig.

Da kein Zug mehr nach Hause fuhr hatte ich nur eine Möglichkeit, ich musste zu meinem Vater auf die Arbeit fahren. So oft hatte ich Angst vor ihm gehabt, auch wenn wie momentan alles harmonisch war, blieb die ständig wehrende Panik er könne jeden Moment wieder in die Luft gehen, verbal auf mich losgehen, mich für seine Fehler verantwortlich machen, bis ich mich bei ihm entschuldigte, dafür das er mich anschrie, weil er mit sich selbst nicht zurechtkam. Trotz unserer Vergangenheit fühlte ich mich geborgen bei ihm, denn er war der einzige Mann, bei dem ich ganz sicher sein konnte, das er mich nicht sexuell belästigte oder missbrauchte, er war schließlich mein Vater. Völlig fertig fiel ich am nächsten Morgen in mein Bett, mit einem hervorgeholten Trauma und insgesamt 25 Stunden ohne Schlaf. Nun war mir klar, mein völliger Absturz stand bevor, ich war mir sicher, mir würden nur noch ein paar Tage bleiben.

Mein Tagebuch über den Sinn des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt