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Seit 6 Monaten war ich hier. 6 Monate, in denen ich nie auch nur ein Wort mit ihm sprach. Seine vorgetäuschte Freundlichkeit konnte mich nicht überzeugen. Vielleicht war er ja ganz nett hinter seiner Brutalität, aber das sah ich nicht. Er kam so oft tief in der Nacht blutverschmiert zurück. Mir musste keiner sagen, was er da tat. Meine Fantasie zeigte mir genug Bilder, die ich nicht vergessen konnte.

Oft genug schreckte ich nachts hoch, schweißgebadet, mit der Angst im Nacken, dass er irgendwann die Kontrolle verlor und mir meine Fingernägel ausriss. Selbst wenn er es nicht tat, würde das dann jemand anders tun. Die Horrorgeschichte von Lunas Entführung hatte sich in meinen Verstand gebrannt.

Luna war nett zu mir und ich glaubte ihr. Sie war die Einzige, die mir damals half, zu fliehen. Selbst wenn die anderen Mädchen auch nett waren, hätten sie das nie getan. Die Angst vor den Konsequenzen war einfach zu groß. Ich wusste, ich könnte auf sie zählen, wenn ich es erneut versuchen würde. Dennoch konnte ich selbst ihr nicht die Wahrheit über mich sagen.

Ich wälzte mich nochmal herum, bevor ich mich streckte. Herrgott, ich wäre froh, mal wieder in einem Bett zu schlafen. Es ist nicht so, als ob ich das nicht könnte, aber ich würde mich sicher nicht zu ihm ins Bett legen. Am Anfang war er nicht gerade begeistert, aber irgendwann bot er mir sogar an, dass ich im Bett schlafen könnte und er auf dem Sofa. Nun, das wollte ich allerdings nicht. Nachher dachte er, ich mache Fortschritte, dass ich mit ihm kommuniziere.

Am Anfang hatte ich mit ihm gesprochen, wobei das eher weniger mit sprechen zu tun hatte. Irgendwann merkte ich, dass es bei ihm mehr Sinn machte, ihn mit Schweigen zu strafen. Was im Übrigen sehr effektiv war. Meine beste Chance, dass er mich gehen ließ, war, wenn ich mich distanzierte. Es war besser wenn er dachte, ich wäre das unsichere Mäuschen, das kurz vorm zerbrechen war. Denn wenn nur ein wenig Menschlichkeit in ihm steckte, würde er mich irgendwann gehen lassen. Wenn nicht, würde ich alles daran setzen ihn zu zerstören.

Wenn ich sie manchmal beobachtete, wirkten sie wie eine normale Familie. Sie lachten zusammen und machten Späße. So als ob sie nicht nachts Menschen folterten und töteten. Wie Nora, Luna und Sarah darüber hinwegschauen konnten, blieb mir ein Rätsel. Besonders Sarah ging mir in den letzten Tagen nicht aus dem Kopf. Sie hatten vor Monaten verkündet das sie schwanger sei. In nur 3 Monaten würde sie Mutter werden. Sie hatte dann die Verantwortung für ein Kind. Wie konnte sie guten Gewissens ein Kind mit so einem Monster groß ziehen?

Ja, er war nett zu ihr und so wie er sie ansah, war auch mir klar, dass er sie wirklich liebte. Aber will man von jemandem geliebt werden, der wortwörtlich für einen mordet? Ich konnte mir das nicht vorstellen. In nur wenigen Jahren würde dieses kleine Kind lernen, wie man einen Menschen tötet. Es wird total verkehrte Wertvorstellungen bekommen.

Die Tür zum Schlafzimmer stand offen und zeigte den oberkörperfreien Salvador. Dass er gut aussah, wusste auch ich, aber das was er war, sein Charakter, machte ihn hässlich. Seitdem er endlich aufgegeben hatte und mich ohne Diskussion auf dem Sofa schlafen ließ, schlief er immer mit offener Tür. Lieber wäre es mir ohne seinen Kontrollzwang, aber da stieß ich gegen eine unüberwindbare Mauer. Ich hasste es, wenn er mitbekam dass ich einen Alptraum hatte.

Ein Blick auf die Uhr an der Wand zeigte mir, dass es gerade mal 5 Uhr morgens war. Ich nahm mir ein paar Klamotten und schlich leise ins Bad. Inzwischen war der Winter beinahe vorbei, dennoch wählte ich den flauschigen Pullover. Salvador musste ziemlich spät gekommen sein, da der ganze Boden noch nass war. Gott, wieso konnten Männer nie duschen, ohne das Bad zu überfluten? Ich machte einen Bogen um die Pfütze und griff zur Kulturtasche. Mit etwas Schminke zauberte ich mir leichte Augenringe. Ich musste meine Zerbrechlichkeit ja verdeutlichen.

Schnell ging ich aus den Räumen und schloss die Tür hinter mir. Ich steuerte gerade in Richtung Garten, als ich zügige Schritte hörte. Ich stockte und blickte über meine Schulter. Zu meiner Beruhigung erschien dort Luna mit ihren beiden Hunden. Don und Attila waren zwei unfassbar süße Riesen. Freudig rannten sie auf mich zu und ich kniete mich hin, um sie zu begrüßen.

"Was machst du denn so früh hier?" Fragte mich Luna mit hochgezogenen Brauen. "Ich konnte nicht schlafen und du?" Sie lachte leise auf und hakte sich bei mir unter. "Don hat sich gerade eben vorm Bett übergeben. Jetzt wischt Dario seine Kotze auf und ich gehe mit den beiden raus." Ich musste schon sagen, dass sie ihn wirklich gut unter Kontrolle hatte. Die Vorstellung, wie er da kniete und Kotze aus seinem 8000 Dollar Teppich schrubbte, verbesserte meine Stimmung erheblich.

Schmunzelnd gingen wir zusammen in den Garten, wo uns die kühle Morgenluft empfing. Nach einer Weile blieb sie mit mir stehen. Ich drehte mich um und konnte gerade noch erkennen, dass jemand aus Darios und Lunas Zimmer in den Garten schaute. Dieses Anwesen war riesig und das Grundstück noch viel größer. Luna winkte in die Richtung vom Haus. Natürlich wusste sie, dass dort Dario stand und uns mit seinen Adleraugen fixierte.

"Wann wirst du es wieder versuchen?" Fragte sie mich plötzlich. Überrascht sah ich zu ihr und war zu perplex für eine Antwort. "Du bist schon lange hier und versucht es mit deiner Taktik, nur befürchte ich das er mehr Ausdauer hat als du. Er wird noch sehr, sehr lange warten können. Wenn du fliehen willst, helfe ich dir." Ich hatte sie nicht mehr gefragt, seit dem einen Tag. Mir ist schnell klar geworden, das er mich freiwillig gehen lassen musste. Ob aus Mitleid oder Hass, war egal.

"Wenn ich nach Hause gehe, wird er mich finden." War das Einzige, was ich darauf sagen konnte. Ich wusste nicht wo ich hin sollte, ohne ihn auf den Fersen zu haben. Im besten Fall ließ er mich gehen. Im schlechtesten würde ich fliehen. Luna nickte und beobachtete mich eine Weile. "Wenn du wirklich wegwillst, lasse ich mir was einfallen. Du wirst aber niemals dein altes Leben zurückbekommen." Ich musste nach Hause, denn dort wartete jemand auf mich.


FEAR - Salvador Mendoza II MafiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt