Die Sonne stand tief am Himmel, und das Licht, das durch die goldenen Ahornblätter brach, tanzte in warmen Farben über den Bahnsteig. Sie zog ihren Schal enger um den Hals und sah sich um. Der kleine Bahnhof von Maplewood hatte sich kaum verändert, seit sie ihn das letzte Mal vor vier Jahren verlassen hatte – die alten Backsteinwände, das verblichene Holzschild mit dem Stadtlogo und die sanften Hügel im Hintergrund.
Als der Zug zum Stehen kam, sah sie durch das Fenster eine vertraute Gestalt auf dem Bahnsteig. Ihr Vater stand dort, etwas aufgeregt und in einer dicken Jacke, die ihm fast zu groß wirkte. Seine Hände hatte er tief in den Taschen vergraben, aber auf seinem Gesicht lag ein Lächeln, das so unerwartet war, dass es ihr für einen Moment den Atem raubte.
Sie schnappte sich ihre Tasche und trat aus dem Zug. Kaum hatte sie festen Boden unter den Füßen, hörte sie seinen vertrauten Ruf: „Emily! Da bist du ja!"
Er winkte enthusiastisch, als wäre sie nach Jahren einer langen Reise zurückgekehrt – und in gewisser Weise stimmte das ja auch. Emily fühlte, wie sich ein kleines, unerwartetes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.
„Hey, Dad", sagte sie und ging auf ihn zu, während sie den vertrauten Geruch von Ahorn und frisch gefallenem Laub einatmete.
Ihr Vater kam ihr entgegen, zog sie in eine feste Umarmung und drückte sie, als wollte er sie nicht mehr loslassen. „Ich hab mich so gefreut, dass du kommst", sagte er mit einer Wärme in der Stimme, die Emily überraschte.
„Es ist schön, dich zu sehen", murmelte sie und spürte, wie ihre Anspannung langsam nachließ.
„Und wie schön du aussiehst", sagte er, als er sie losließ und einen Schritt zurücktrat, um sie zu mustern. „Die Stadt hat bestimmt gut auf dich aufgepasst, aber Maplewood hat dich vermisst, das weiß ich."
Emily lachte leise. „Hat sich hier überhaupt was verändert? Es sieht aus, als wäre alles genau wie früher."
„Ein paar neue Läden hier und da", meinte er, während sie gemeinsam zum Auto gingen. „Aber die Ahornbäume sehen immer noch so aus, als würden sie jeden Moment in Flammen aufgehen, nicht wahr?" Er lachte und stieß sie sanft an, als wollte er die Schwere der vergangenen Jahre vertreiben.
Der Wind spielte mit den bunten Blättern, die in kleinen Wirbeln über die Straße tanzten. Sie stiegen in das alte Auto, das Emily nur zu gut kannte, und als sie sich hinsetzte, fühlte sie, wie die vertrauten Geräusche des Motors und das leise Knarren der Sitze eine unerwartete Geborgenheit in ihr auslösten.
„Ich hab uns schon was im Café reserviert. Maple Brew", sagte er, als sie den Bahnhof hinter sich ließen. „Dein Lieblingsplatz ist immer noch frei."
„Echt?" Emily war überrascht. „Du gehst ins Maple Brew?"
„Na ja, vielleicht nicht oft", gab er zu und schmunzelte. „Aber ich dachte mir, das wäre ein guter Ort, um deine Rückkehr zu feiern. Die alte Gewohnheit, weißt du?" Er warf ihr einen kurzen Blick zu, und in seinen Augen lag ein Funken, der sie an frühere Zeiten erinnerte, als sie noch eng verbunden waren – bevor die Trauer sie beide in ihre eigenen Welten gezogen hatte.
Die Straßen von Maplewood glitten an ihnen vorbei, und Emily spürte eine Mischung aus Nostalgie und Aufregung. Die vertrauten Cafés, die kleinen Buchläden und die alten Häuser wirkten jetzt weniger erdrückend, als sie befürchtet hatte. Vielleicht war es die Art, wie ihr Vater auf sie zukam – offener und fröhlicher als erwartet.
Als sie das Auto vor dem Café parkten, drehte sich ihr Vater zu ihr um und grinste. „Bereit für den besten Kaffee der Stadt?"
„Schon gut, Dad", sagte Emily und lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich. „Lass uns reingehen."
Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und Zimt empfing sie, als sie das Café betraten. Ihr Vater nickte den Leuten zu, die ihn kannten, und führte sie zu einem gemütlichen Tisch am Fenster, direkt neben den Bücherregalen, die immer noch vollgestopft mit alten Klassikern waren. Es war, als wäre sie nie wirklich weg gewesen.
„Ich hoffe, du bleibst eine Weile", sagte er, nachdem sie Platz genommen hatten. Seine Stimme war warm, aber nicht drängend. „Wir könnten mal wieder zusammen angeln gehen, wie früher. Oder ich zeig dir die neuen Wege im Wald. Du wirst staunen, wie viel sich dort verändert hat."
Emily nahm einen tiefen Atemzug. „Ja, vielleicht", sagte sie leise, spürte aber, wie sich eine Art Leichtigkeit in ihr breit machte. Ihr Vater war da – nicht nur physisch, sondern wirklich da, auf eine Weise, die sie lange vermisst hatte.
Und plötzlich schien Maplewood nicht mehr ganz so eng...
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Between the maple leaves [DE]
Non-Fiction🍁 In der idyllischen Kleinstadt Maplewood kreuzen sich die Wege von Emily Carter und Matthew Lawson. Emily, eine angehende Schriftstellerin, kehrt nach ihrem Studium in ihre Heimatstadt zurück, um sich neu zu orientieren. Matthew, der die Familienf...