2 » (Sonnen-)untergang

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„Ist es nicht atemberaubend schön?", fragte sie mich und hatte ihre meerblauen Augen fasziniert auf den Sonnenuntergang vor uns gerichtet. Valerie's kirschroten, vollen Lippen zeigten mir das strahlendste und schönste Lächeln, das ich je gesehen hatte.

Ich hatte sie vorhin von der Arbeit abgeholt, ihr ein schwarzes Tuch vor die Augen gebunden und hierhin mitgenommen, mit einem großen Picknickkorb voller Köstlichkeiten im Kofferraum. Da saßen wir jetzt also, auf einer alten Decke und sahen uns an meinem absoluten Lieblingsplatz den Sonnenuntergang an.

„Du bist viel schöner", murmelte ich nur und schlang meine Arme um ihren kleinen, zierlichen Körper, was ihr ein leichtes Kichern entlockte. Im nächsten Moment hauchte ich einen zärtlichen Kuss auf ihre Lippen, schloss dabei meine Augen und hielt sie fest umklammert.

Aus dem zärtlichen Kuss wurde schnell eine wilde Knutscherei, bis ich nicht mehr wusste, wo ihr Körper aufhörte und meiner anfing. So fest miteinander verschlungen, eher schon verschmolzen, waren unsere Beine, Arme und ganz besonders unsere Lippen, was dazu führte, dass sich in meinem Magen eine wohlige Wärme ausbreitete. Ich fühlte mich bei Valerie zu Hause und dieses Gefühl wollte ich niemals wieder missen.

„Weißt du was?", fragte ich sie leise, obwohl ich wusste, dass sie nicht wissen konnte, was ich ihr als nächstes erzählen würde. „Nein", antwortete sie mir schlicht und einfach, weshalb ich lachen musste und dabei belustigt meinen Kopf schüttelte. „Ich auch nicht", sagte ich immer noch lachend und fing ihre kleinen Fäuste ab, bevor sie meine Brust treffen konnten.

„Das hier ist der schönste Tag, den ich jemals erlebt habe", murmelte Valerie, den Blick auf die Umgebung gerichtet, so leise, dass ich sie beinahe nicht verstanden hätte, weil selbst die Blätter im Wind lauter raschelten, drehte ihren Kopf zu mir und lächelte mich glückselig an.

„Es werden noch sehr viel schönere kommen, das verspreche ich dir", flüsterte ich als Antwort und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel, woraufhin sie sich an mich schmiegte und den Kopf wieder in Richtung der untergehenden Sonne drehte.

„Ich habe so ein Farbenspiel noch nie zuvor gesehen." Valerie's Stimme zitterte ein wenig, vor lauter Euphorie, was mir ein breites Lächeln auf die Lippen zauberte und die Schmetterlinge in meinem Bauch zum tanzen brachte. „Ich wusste, dir würde das hier gefallen", antwortete ich und trug noch immer dieses fette Lächeln, das sie mir mit ihrer Begeisterung geschenkt hatte.

•••

Als die Sonne vollends untergegangen war und wir langsam aber sicher zu frieren begannen, sammelten wir alles auf, was wir mit an diesen besonderen Ort genommen hatten und stiegen in meinen grauen Wagen. Drinnen schaltete ich die Sitzheizung an und legte eine mitgebrachte Jacke um ihre Schultern, damit sie sich aufwärmen könnte und ganz bald aufhören zu zittern würde. Danach schnallte ich mich an, wartete, bis ich auch von ihrem Gurt das Klicken gehört hatte, startete den Wagen und fuhr los.

„Können wir uns ab jetzt jeden Abend hier den Sonnenuntergang anschauen?", fragte sie irgendwann, nachdem sie bereits die Jacke ausgezogen hatte, voller Hoffnung. Valerie griff nach meiner rechten Hand, die nicht am Lenkrad des Autos lag und verschränkte ihre Finger mit meinen, während sie weiterredete. „Ich meine ja nur, weil dieser Ort eine unfassbare Magie ausgestrahlt hat und ich-"

„Vielleicht nicht unbedingt jeden Abend, aber wir können bestimmt noch einmal herkommen", unterbrach ich sie. „Sind wir immer hier, ist das ja nichts besonderes, einmaliges, magisches mehr", erklärte ich und konnte aus dem Augenwinkel ihr zaghaftes Nicken erkennen, gefolgt von einem leisen Seufzen.

Um sie aufzumuntern, ließ ich ihre Hand los, schaltete das Radio ein und griff direkt danach wieder nach ihrer kleinen Hand. Gerade lief eines dieser Lieder, bei denen man einfach mitsingen musste, also taten wir genau das und sofort konnte ich bemerken, dass das Strahlen in ihre Augen zurückgekehrte, das zuvor bei meinen Worten erloschen war.

„Ich liebe dich so sehr, das kannst du dir gar nicht vorstellen", murmelte ich leise und hoffte, das wir für immer und ewig zusammensein würden. „Was hast du gesagt, Gabriel?", fragte sie mich neugierig und ich schüttelte sanft meinen Kopf. „Nicht wichtig", antwortete ich leise und dachte mir währenddessen nur, wie wichtig das war.

Wir verfielen in Schweigen, aber das war vollkommen okay, weil dieses Schweigen keinesfalls unangenehm war. Es war eins von der Sorte, bei dem man sich nicht komisch, sondern geborgen fühlte. Wir konnten uns auch ohne Worte verständigen, das zeigte uns dieses Schweigen und das war sogar weit mehr als nur okay.

•••

„Wach auf, wir sind da", flüsterte ich ihr leise zu, nachdem ich meinen grauen Ford geparkt, den Schlüssel aus dem Zündschloss gezogen und mit einem Blick in Valerie's Richtung festgestellt hatte, dass sie schlief. Am liebsten hätte ich sie einfach schlafen lassen, aber ich wusste aus eigener Erfahrung, dass die Autositze kein bequemer Schlafplatz waren. Die Nackenschmerzen, die ich mir das letzte Mal eingefangen hatte, wünschte ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind und erst recht nicht meiner Freundin

Als sie sich noch immer keinen einzigen Zentimeter bewegt hatte, seufzte ich leise, schnallte mich ab, öffnete meine Autotür und trat in die kalte Nachtluft hinaus. Mit wenigen Schritten umrundete ich meinen Wagen und zog die Tür auf der Beifahrerseite auf, um Valerie abzuschnallen, aus dem Auto zu heben und in unsere Wohnung zu tragen, in der wir mittlerweile schon fast vier ganze Monate zusammen lebten.

Mit meiner rechten Hand drückte ich ihren zierlichen Körper fest an mich, während ich mit der linken meine Schlüssel aus meiner Hosentasche fischte und die Tür zu unserem Zuhause aufschloss. Als ich in den Flur trat und den vertrauten Geruch nach Liebe, Heimat und Geborgenheit einatmete, wurde mir wieder einmal bewusst, was für ein Glück ich hatte. Und als ich sie in unserem Schlafzimmer auf dem großen Bett ablegte, sie kurz die Augen öffnete und mich anlächelte, war ich mit Abstand der glücklichste Mensch auf der ganzen, weiten Welt.

Ich deckte sie zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und schlich mich anschließend aus dem Zimmer, um die restlichen Sachen aus dem Auto zu holen und mich selbst bettfertig zu machen.

Sie machte mich zu einem besseren Menschen, sie machte mich vollständig, sie machte mich so unfassbar glücklich und ich hoffte inständig, dass sie für immer an meiner Seite sein würde. Ich hoffte, dass wir Kinder kriegen und zusammen alt werden würden. Ich wünschte uns beiden ein langes und gesundes Leben, voller Liebe, das niemals enden sollte.

Scheiß auf den Tod, wir werden einfach unsterblich sein, dachte ich, bevor ich mich zu ihr legte, das Licht ausknipste und die Augen schloss.

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