Und dann warst du da, als ich dich brauchte.

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Nervös lief Annalena die langen Bürgersteige in New York entlang, immer wieder klackerten ihre Absätze auf dem Beton. Eine „spontane" Pressekonferenz auf der Wiese vor dem UN-Gebäude, dabei hatte Annalena eigentlich Besseres zu tun. Sie musste nach Mélanie sehen. Ihre beste Freundin, die jedes Mal, wenn sie sie sah, ein Kribbeln auslöste.

Denn eigentlich waren die beiden gestern Abend noch in der Hotelbar verabredet gewesen, so wie bei jedem Treffen, das sie gemeinsam hatten. Annalena hatte dort gesessen, schon ihr erstes Getränk geleert, als Mélanie ihr schrieb, dass sie heute nicht mehr nach unten kommen würde. Enttäuscht war die Deutsche in ihr Hotelzimmer nach oben gefahren, hatte ihre Schuhe in die Ecke getreten und war frustriert ins Bett gefallen.

Sie genoss die Momente mit Mélanie immer am meisten, jeder Stress war verschwunden, wenn die Kanadierin bei ihr war. Gerade als Annalena an der Ampel stehen bleiben musste, trieben ihre Gedanken dahin.

Mélanie wie sie neben ihr saß, wie sie ihr nach einem oder zwei Drinks eine Hand auf den Oberschenkel legte und näher an sie heran rutschte. Der süßliche Duft ihres Parfüms und die Outfits, die für Annalenas Gefühl immer auffälliger wurden. Aber sie hatte sich noch nie getraut, die Kanadierin auf das Offensichtliche anzusprechen, dafür war Annalena doch zu unsicher. Außerdem verfolgte sie die Angst, was passieren würde, wenn Mélanie sich von ihr distanzieren würde.

„Frau Baerbock?", ihre Assistentin stand schon in der Mitte der Straße und schaute sie fragend an.

Schnell lief Annalena auf sie zu, versuchte die Gedanken in ihrem Kopf zu sortieren. Jetzt war nicht die Zeit dafür, sie musste sich fokussieren, die Journalisten würden sie sonst hopsnehmen.

Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich schon, als sie auf den Platz gelangte, in dessen Nähe sie ihr Statement geben würde. Die Journalisten drehten sich wie programmiert alle in ihre Richtung und begannen nervös, ihre Technik bereitzustellen.

Zielstrebig ging sie auf die Wartenden zu versuchte den fremden Mann mit dem Mikro zu ignorieren, der sich immer wieder in ihr Sichtfeld drückte. Noch lief er ihr nur nach, sie konnte ihn gut ignorieren. Nur einmal ließ sie ihren Blick wandern, wollte sehen, von welchem Sender dieser Mann war, um ihn später auf die schwarze Liste des BKA setzen zu lassen.

Doch diesen Blick registrierte auch der Reporter und begann sie erst auf Russisch und dann auf Englisch anzusprechen, zum Teil auch anzuschreien. Es waren alles haltlose, vermutlich von Putin diktierte Sätze. Annalena schluckte, so was hatte sie schon einmal überstanden.

Ihre Angst wuchs, als sich der Mann nicht zurückdrängen ließ und immer näher an sie herantrat. Vor ihrem inneren Auge sah sie die schlimmsten Bilder aufleuchten, was war noch mal die Bewegung, die sie machen sollte, wenn sie jemand angriff?

Nach einigen weiteren Schritten erreichte sie die Journalisten, die neugierig ihre Objektive auf Annalena ausgerichtet hatten. Sie atmete einmal tief ein und aus, bevor sie sich den Anzug glattstrich und ihre Stimme erhob.

Bereits nach ihrem ersten Wort wurde sie unterbrochen und der russische Journalist kam ihr wieder bedrohlich nah, wo waren denn nur ihre BKA-Beamten, sie mussten doch einschreiten! Immer näher kam der Mann an sie heran, gleich würde er sie greifen können.

„Nehmen sie ihre Finger von der Außenministerin", blonde Haare flogen an Annalena vorbei, als eine Frau sich zwischen ihr und den Journalisten drängte. Die andere Frau griff nach dem Mikrofon, drückte es so zurück, dass der Russe aufschrie und mit verdrehtem Arm auf den Boden ging.

Mélanie drehte sich um und lächelte Annalena zu, während sich BKA-Beamten um den Journalisten kümmerten. Annalena schüttelte mit dem Kopf, sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.

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