«Yasin! Yasin, bleib stehen! Yasin», ruft mir mein Bruder hinterher. Doch ich bleibe nicht stehen. Ich gehe weiter in Richtung Bahnhof. «Yasin!» Mein Bruder holt mich schlussendlich ein und packt mich an der Schulter. «Yasin bitte... lass uns darüber reden.» Ich drehe mich zu meinem Bruder um und schaue ihn mit Tränen in den Augen an: «Was, Sadet? Was Willst du von mir?! WAS willst du mit mir noch bereden? Es gibt NICHTS, was DU MIR zu sagen hast noch was ICH DIR zu sagen habe! Du hast es verkackt! Du hast es nicht nur als älterer Bruder verkackt, sondern auch als Mensch!» Sadet sieht mich an, seine Hand hat er mittlerweile von meiner Schulter gelöst. «Yasin, lass mi...» will mein Bruder sagen, doch ich unterbreche ihn brüllend: «WAS WOLLTEST DU?». «WAS wolltest du, Sadet? Mich wieder vor der ganzen Familie blossstellen?! Dich WIEDER ins gute Licht rücken?! Wolltest du WIEDER mal der Held sein?!» Mein Blick weicht nicht von ihm. Sadet schweigt und schaut mich mit einer schuldbewussten Miene an. «Sadet, ich verstehe nicht, was du dir dabei gedacht hast, MEIN Geheimnis so offen auszuplaudern! Du WUSSTEST, wie SIE darauf reagieren würden! Du WEISST, was sie für eine Haltung zu diesem Thema haben! Ich verstehe nicht, weshalb du dir das Recht genommen hast, das einfach zu erzählen, als wäre es DEINE Sache! Obwohl es doch MEINE SACHE IST!» Während ich ihn rüge, weicht mein Blick nicht von ihm, wobei Er schon lange seinen Blick von mir abgewandt hat. Er kann mir nicht mehr in die Augen schauen. Ich fahre fort: «Sadet, nur weil es in deinem Leben gerade nicht rund läuft, heisst das nicht, dass du MEINES ruinieren sollst! Das heisst nicht, dass du dich in MEINE Angelegenheiten einfach einmischen darfst! Du hast mir GESCHWOREN du würdest den Mund halten!» Sadet schaut erst jetzt auf und fragt: «Darf ich jetzt zu Wort kommen?» Ich fange an ihn auszulachen. «Nein, Sadet! Du hast absolut NICHTS mehr zu sagen! Du hast gesagt, was du sagen wolltest! Es ist vorbei! Ich werde von jetzt an weder dich noch die anderen aus der Familie stören. Du kannst jetzt zurückgehen. Denn du hast jetzt 'die Schwuchtel' entlarvt! Ich hoffe du bist glücklich! Ich hoffe für dich, dass es für dich was Wert war, dies getan zu haben.» Ich habe mich mittlerweile beruhigt. Sadet schweigt weiterhin.
«Leb wohl, Sadet.» Verabschiede ich mich von meinem Bruder und begebe mich im Bahnhof zum Gepäcklager. Ich hole meine Tasche aus dem Schliessfach und gehe in Richtung meines Gleises. Ich erhalte eine Nachricht auf meinem Handy mit den Worten: «Es tut mir leid, Yasin.» Sie ist von Sadet. Ich antworte ihm zurück: «Mir tuts leid, was für ein Mensch du bist. Ich hoffe für dich, dass du dich irgendwann bessern und aus deinen Taten lernen wirst.» Nach dem ich auf das kleine Symbol gedrückt habe, welches für «senden» steht, kommt in dem Moment mein Zug auf dem Gleis an. Mit Betreten des Zuges entscheide ich mich dazu, alles hinter mir zu lassen.
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Kurzgeschichten
General FictionDies ist ein Sammelsurium einiger von mir geschriebenen Kurzgeschichten mit verschiedensten Themen/Ereignissen.